Frage an Gerhard Schick von Brandner J. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Schick,
ich arbeite als selbständiger Freiberufler in der IT Branche als SAP Entwickler. Dabei akquiriere meine Kunden selber, viele auch über persönliche Kontakte. Und auf Grund meiner hohen Qualifikationen und langjähriger Erfahrungen werde ich bislang gerne von Unternehmen gebucht.
Dies geschieht mit unter auch längerfristig (1-2 Jahre) mit einer 100%igen Auslastung. Die Arbeiten sollen überwiegend zu den normalen Arbeitszeiten auf den Rechnern des Auftraggebers in den Räumen des Auftraggebers durchgeführt werden. Und in gewissem Rahmen muss ich natürlich auch die Vorgaben (Weisungen?) des Auftraggebers erfüllen.
Damit entspricht meine Arbeit nach dem Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes §611a BGB, der nächste Woche dem Kabinett vorgestellt weden soll, in vielen Punkten einem Arbeitsvertrag. Das würde für mich bedeuten, dass mich meine Auftraggebern in Zukunft aus Angst vor Klagen nicht mehr buchen werden. Bestenfalls könnte ich dann noch als Sub-Unternehmer über grössere Beratungsfirmen und Managed Service Provider wie z.B. Gulp oder Hays arbeiten. Das würde aber für und meine Auftraggeber eine deutliche Verschlechterung der Bedingungen bedeuten.
Ich kann mich und meine Familie sehr gut von meiner Arbeit ernähren und sichere meine Zukunft umfangreich durch private Renten- und Krankenversicherung ab. Warum soll ein Gesetzt verabschiedet werden, dass mir diese Art der Arbeit verbietet? Ich möchte nicht wieder als Angestellter arbeiten. Das habe ich über 18 Jahre lang gemacht und mich selber aus freien Stücken für eine selbständige Arbeit entschieden.
Bitte finden Sie Kriterien für die Definition der Scheinselbständigkeit, die es hochqualifizierten Selbständigen mit hohem Einkommen weiterhin ermöglicht, Ihrer Arbeit selbständig nachzugehen.
Viele Grüße,
Jens Brandner
Sehr geehrter Herr Brandner,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu der anstehenden Regulierung der Werk- bzw. Dienstverträge. Die Schwarz-Rote Koalition hat sich schon im Koalitionsvertrag auf einige Maßnahmen verständigt. Zurzeit wird ein entsprechender Gesetzesentwurf zwischen den Ministerien abgestimmt.
Ziel dieses Gesetzes ist es, den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen zu unterbinden sowie sogenannter Schein-Selbstständigkeit von Personen, die durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit in prekäre Situationen gedrängt werden, entgegen zu wirken. Dieses Ziel unterstützen wir, die von Ministerin Nahles geplante Umsetzung lehnen wir jedoch ab.
Die Bundesregierung plant Abgrenzungskriterien abhängiger Beschäftigung von anderen Vertragsformen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und will damit den Missbrauch von Werkverträgen an Drittfirmen sowie Schein-Selbstständigkeit gleichermaßen und mit denselben Kriterien unterbinden. Wir sind der Auffassung, dass das den unterschiedlichen Problemen nicht gerecht wird.
Insbesondere die Unterscheidung zwischen Schein-Selbstständigkeit und tatsächlicher Selbstständigkeit ist schwierig. Ein Grund dafür ist, dass die Gruppe der Selbstständigen sehr uneinheitlich ist. Viele haben sich bewusst für die Selbstständigkeit entschieden und brauchen – sofern sie tatsächlich für das Alter abgesichert sind – den Schutz und die Fürsorge des Staates nicht. Sie können im Regelfall gut von ihren Honoraren leben.
Uns ist bewusst, dass unzeitgemäße Abgrenzungskriterien, langwierige Statusfeststellungsverfahren, viel Bürokratie und widersprüchliche Gerichtsurteile eine massive Beeinträchtigung für viele Selbstständige und Freiberufler darstellt. Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sind zentrale Leitmotive für grüne Politik und wichtige Gründe für Menschen, sich selbständig zu machen. Wir wollen mit unserer Politik Risikobereitschaft und Kreativität fördern und sie nicht behindern. Dumpinghonorare und Scheinselbstständigkeit sind mit einer nachhaltigen und fairen Gründungskultur nicht zu vereinbaren. Wir dürfen Selbstständige aber nicht unter Generalverdacht stellen. Das Statusfestellungsverfahren muss daher rechtssicher und transparent reformiert werden – z.B. mit einer Positivliste, die gut abgesicherten Selbständigen Rechtssicherheit verschafft. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, die gesetzlichen Abgrenzungskriterien im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht zu vereinheitlichen, um mögliche Doppel- bzw. Dreifachprüfungen zu vermeiden.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Teil der formal Selbstständigen - meist unfreiwillig - mit niedrigsten Einkommen auskommen müssen, die kaum ihre Ausgaben decken. Dazu gehören z.B. viele PaketzustellerInnen, Lehrkräfte und Pflegende. Viele von ihnen haben nur einen Auftraggeber, von dem sie wirtschaftlich abhängig sind. Ein Viertel aller Selbstständigen erzielt rechnerisch ein Einkommen von weniger als 8,50€ pro Stunde (DIW 2015). Oft landen diese Menschen spätestens im Alter in der Grundsicherung.
Notwendig sind deshalb klare, an eine moderne Arbeitswelt angepasste Kriterien, die Scheinselbstständigkeit unterbindet, ohne die tatsächlichen Selbstständigen in ihrer Tätigkeit zu beeinträchtigen, sondern vielmehr diese zu unterstützen. Die in der Bundesregierung angedachten Regelungen sind nach unserer Überzeugung dafür ungeeignet. Ein Gesetzentwurf in dieser Form, werden wir im parlamentarischen Verfahren deutlich kritisieren. Wir selbst arbeiten gerade an einem Vorschlag, der eine einfache und praxistaugliche Abgrenzung möglich macht. Für Ihre Anregungen sind wir dankbar.
Für uns Grüne steht im Vordergrund, den Missbrauch der Werk- und Dienstverträge zu verhindern und gleichzeitig die Rechtssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggebenden zu erhöhen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Schick