Frage an Gerhard Schick von Stefan S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Schick,
das Bruttoeinkommen ist eine fiktive Berechnungsgröße, die nicht viel über das tatsächlich zur Verfügung stehende Einkommen aussagt. Z.B. lassen sich die Bruttoeinkommen von vollalimentierten Beamten, Richtern, etc. nicht mit den Bruttoeinkommen von Selbständigen vergleichen, da letztere sich ihre soziale Absicherung und Altersvorsorge aus dem Bruttoeinkommen finanzieren müssen, erste nicht.
Das geltende Steuerrecht macht darum etliche Klimmzüge, um diese Unterschiede zu kompensieren.
Dennoch wird in allen Veröffentlichungen, Diskussionen, etc. um das neue grüne Steuermodell immer der Bruttoverdienst als diejenige Einkommensgröße zitiert, die zukünftig die Steuerlast definiert.
Meine Frage:
Warum machen die Grünen nicht Schluß mit dem sowieso unvergleichbaren Bruttoeinkommen und benutzen als Besteuerungsgrundlage nicht das pro Haushaltsmitglied zur Verfügung stehende Einkommen nach Abzug aller sozialversicherungsspflichtigen Abgaben?
Voila: Anzahl der Kinder, Ehepartner, Großeltern werden automatisch berücksichtigt. Wer wenig Sozialversicherung zahlt, zahlt eben mehr Steuern. Reiche sind nur dann reich, wenn sie tatsächlich viel Geld aus ihrem Einkommen zur Verfügung haben. Und Arme sind nur dann arm, wenn ihnen tatsächlich nur wenig Geld aus ihrem Einkommen bleibt.
Wir alle wissen, dass bei unserer heterogenen Einkommensstruktur bei Zugrundelegung des Bruttoeinkommens zur Besteuerung erst nach vielen, vielen Finanzgerichtsurteilen die "alte Gerechtigkeit" wieder hergestellt sein wird.
Warum also dieses Klammern am Bruttoverdienst? Meinen die Grünen, wir Bürger verstehen das Steuerrecht nicht?
Danke im Voraus für ihre Antwort.
Sehr geehrter Herr Schwager,
vielen Dank für Ihre Frage. In der Tat haben Sie recht, dass das Bruttoeinkommen für die Diskussion von Steuerbelastungen im Grunde eine nicht sehr präzise Größe ist, da jede und jeder Steuerpflichtige unterschiedliche Abzüge - z.B. Freibeträge, Werbungskosten oder Vorsorgeaufwendungen - hat, bevor die Steuerlast festgelegt wird. Aus diesem Grund nennen wir Grüne in unserem Wahlprogramm das zu versteuernde Einkommen als präzise Größe, wie sie ja dann auch im Einkommensteuergesetz stehen würde. Daraus könnte jedeR die für ihn oder sie nach unserem Modell entstehenden Ent- und Belastungen berechnen.
Dennoch ist es so, dass in der Bevölkerung und in der öffentlichen Debatte das Bruttoeinkommen weitaus bekannter ist als das zu versteuernde Einkommen - wenige Menschen wissen genau, wie hoch ihr zu versteuerndes Einkommen ist. Deshalb ist unsere Erfahrung in der Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern, dass für die meisten eine realistische Einschätzung, was ein Steuerkonzept für sie bedeutet, eher mithilfe des Bruttoeinkommens möglich ist.
Sie finden also in grünen Publikationen beide Größen. Wenn wir vom Bruttoeinkommen sprechen, müssen wir dabei Annahmen treffen, wie dieses im Verhältnis zum zu versteuernden Einkommen steht. Diese Annahmen sind sehr restriktiv, d.h. dass es viele Menschen gibt, deren Differenz zwischen Brutto- und zu versteuerndem Einkommen noch größer sein dürfte, als wir es zugrundelegen - aber kaum welche, bei denen sie geringer ist. Das ist eigentlich nachteilig für unser Modell, aber m.E. die richtige Vorgehensweise.
Meinen wir, dass die Menschen das Steuerrecht nicht verstehen? Ganz ehrlich: Es gibt wahrscheinlich wenige Menschen, die dieses komplexe Steuerrecht komplett verstehen. Jedenfalls halte ich es für richtig, sowohl die steuerrechtlich präzise Formulierung zu veröffentlichen, damit Fachleute und Interessierte eine präzise Berechnung auf der Grundlage unserer Vorschläge vornehmen können, als auch für diejenigen Menschen, die sich mit dem Fachjargon schwer tun, eine "Übersetzung" in die für die meisten Menschen bekannteren Begriffe anzubieten.
Ihren Vorschlag, das "zur Verfügung stehende Einkommen" als Grundlage zu verwenden, müsste ich mir noch einmal genauer überlegen, denn auch dieser Begriff ist für viele Menschen schwer faßbar. Außerdem variiert das zur Verfügung stehende Einkommen natürlich sehr stark je nach persönlicher Konstellation.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Schick