Frage an Gerhard Schick von Dieter F. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr. Schick,
da Sie der finanzpolitische Sprecher der Grünen im deutschen Bundestag sind, werden Sie mit dem Sachverhalt der BVerG-Entscheidung vom 12.09.2012 sicher detailliert vertraut sein.
Der Zweite Senat des BVerfG forderte mit seiner Entscheidung, die völkerrechtliche Sicherstellung
a) der Haftungsbeschränkung für sämtliche Zahlungsverpflichtungen der BRD auf 190.024.800.000 Euro, welche nur mit Zustimmung des deutschen Vertreters in den ESM-Gremien zu höheren Zahlungsverpflichtungen führen darf.
b) dass die Unverletzlichkeit der Unterlagen und die Schweigepflicht der für den ESM tätigen Personen einer umfassenden Unterrichtung des Bundestages nicht im Wege stehen darf.
In beiden Fällen muss seitens der BRD zum Ausdruck kommen, dass man insgesamt nicht an den ESM-Vertrag gebunden sei, wenn die geltend gemachten Vorbehalte unwirksam sein sollten.
Wie wurde die völkerrechtliche Sicherstellung der BVerfG-Auflagen umgesetzt?
Welche ESM-Vertragsunterlagen wurden von Bundespräsident Gauck an welcher Stelle unterschrieben?
Wodurch ist das Einverständnis der restlichen ESM-Mitglieder zu den Auflagen des BVerfG dokumentiert und völkerrechtlich sichergestellt?
Herzlichen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Fritsch
Sehr geehrter Herr Fritsch,
vielen Dank für Ihre Fragen. Sie haben richtig zusammengefasst, dass das Bundesverfassungsgericht den ESM Vertrag im Rahmen zweier Bereiche präzisiert wissen möchte.
Artikel 8, Absatz 5 des Vertrages, welcher regelt, dass die Haftungssumme der ESM-Mitglieder auf deren Anteil am Stammkapital begrenzt ist, wird um eine sogenannte „interpretative Erklärung“ erweitert, die für den Haftungsteil wie folgt lautet:
„Artikel 8 Absatz 5 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden "Vertrag") begrenzt sämtliche Zahlungsverpflichtungen der ESM-Mitglieder aus dem Vertrag in dem Sinne, dass keine Vorschrift des Vertrags so ausgelegt werden kann, dass sie ohne vorherige Zustimmung des Vertreters des Mitglieds und Berücksichtigung der nationalen Verfahren zu einer Zahlungsverpflichtung führt, die den Anteil am genehmigten Stammkapital des jeweiligen ESM-Mitglieds gemäß der Festlegung in Anhang II des Vertrags übersteigt.“
Diese Regel unterstreicht damit die Kontrolle der nationalen Parlamente für den ESM. Sämtliche Haftungserweiterungen – übrigens auch Auszahlungen von Hilfskredite oder das Abrufen neuer Finanzinstrumente – müssen zuerst von den nationalen Parlamenten bewilligt werden.
Für die Präzisierung im Bereich der Informierung der Abgeordneten lautet die offizielle Formulierung:
„Artikel 32 Absatz 5, Artikel 34 und Artikel 35 Absatz 1 des Vertrages stehen der umfassenden Unterrichtung der nationalen Parlamente gemäß den nationalen Vorschriften nicht entgegen.“
Die erwähnten Artikel sind jene, die sich mit der Schweigepflicht und der Immunität der ESM MitarbeiterInnen auseinandersetzen.
Geeinigt hat man sich darauf im Rahmen der Eurogruppensitzung vom 14. September in Nikosia. Das Bundeskabinett hat am 26.09. die dazugehörige völkerrechtliche Erklärung beschlossen. Am 27. 09. haben die Euro-Staaten eine Erklärung unterzeichnet, welche völkerrechtlich sicherstellt, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eingehalten werden. Außerdem hat Bundespräsident Gauck am selben Tag die Urkunde unterzeichnet, mit welcher der ESM ratifiziert wird, nach dem er das Gesetz dazu einen Tag nach der Urteilsverkündung, also am 13. September unterschrieben hat.
Der ESM soll nun am 8. Oktober an den Start gehen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Schick