Frage an Gerhard Schick von Roland F. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr. Schick,
zu meinem Entsetzen musste ich in der Welt online vom 17.9. in dem Artikel "der Rettungsschirm überfordert Deutschlands Kraft" einen Satz lesen, der mich daran zweifeln lässt, das Abgeordnete des Bundestages noch die Interessen des Deutschen Volkes vertreten.
Der Satz lautet wörtlich:
"Der Rettungsschirm ESM wird von Deutschland unbegrenzt und ohne Vetorecht Geld fordern können. Das lässt die deutsche Finanz-Statik einstürzen.
Nun meine Fragen: Wie ist es möglich, das die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands in die Hände von sogen. Gouverneuren gelegt wird, die nichts und niemandem rechenschaftspflichtig sind, die sich vor keinem Gericht verantworten müssen und die Deutschland unbegrenzt Geld abverlangen können?
Nun zu meiner zweiten und letzten Frage:
Wie ist Ihr Abstimmungsverhalten im Bundestag in dieser Angelegenheit?
Für Ihre Mühe danke ich Ihnen sehr,
Roland Fath
Sehr geehrter Herr Fath,
vielen Dank für Ihre Fragen, zu denen ich wie folgt Stellung beziehen möchte:
Sie äußern Bedenken, dass Deutschland seine Souveränität verliere. Diese Bedenken sind unbegründet: Der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) bedeutet keine Übertragung von nationalen Haushaltsrechten an Brüssel. Der (ESM) stellt Kredite für Staaten zur Verfügung, die Schwierigkeiten haben, am Kapitalmarkt Geld zu bekommen. Dabei ist die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag, und sie kann nicht überschritten werden.
Ferner sind Sie besorgt, dass der ESM „Deutschland unbegrenzt Geld abverlangen“ könne. Auch diese Sorge ist unbegründet:
Einer Ausweitung des ESM müssten alle 17 Euro-Staaten einstimmig zustimmen. In Deutschland geht das nicht ohne eine Beteiligung des Bundestags. Wie bei der EFSF (dem derzeitigen Euro-Rettungsschirm) gilt: ohne Zustimmung des Bundestages keine Erhöhung.
Die Gouverneure des ESM agieren auch nicht – wie es in Ihrer Frage anklingt – im rechtsfreien Raum: Die von Ihnen vermutlich gemeinte Immunität der ESM-Gouverneure (also der Finanzminister der Euro-Zone) bezieht sich auf ihre amtlichen Handlungen. Die Immunität erstreckt sich jedoch nicht auf strafbare Handlungen, die nichts mit Amtshandlungen zu tun haben. Zudem kann die Immunität aufgehoben werden. Und natürlich ist und bleibt der (demokratisch legitimierte) deutsche Bundesfinanzminister auch als Gouverneur im ESM dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit über die Bandbreite seines Handelns rechenschaftspflichtig – und damit auch über von ihm getroffene Entscheidungen und sein Handeln im ESM.
Es ist auch nicht richtig, dass es keine Klagemöglichkeiten geben wird: Die Vertragspartner (17 Eurostaaten) entscheiden Streitigkeiten innerhalb des Gouverneursrats (Euro-Finanzminister). Diesbezügliche Entscheidungen des Gouverneursrats können vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig gemacht werden. Das Urteil ist dieses Rechtsstreits ist verbindlich.
Ferner fragen Sie nach meinem Abstimmungsverhalten: Über den ESM-Vertrag selbst hat der Deutsche Bundestag noch nicht abgestimmt. Grundsätzlich ist es richtig, eine Art Europäischen Währungsfonds zu etablieren. Der ESM geht in diese Richtung, was ich unterstütze. Bisher, also im (alten) ESM-Vertrag war jedoch vorgesehen, dass künftig ein überschuldeter Staat erst dann Kredithilfen aus dem ESM bekommt, wenn die privaten Gläubiger (zum Beispiel Banken) beteiligt werden. Das ist richtig, denn wer Wertpapiere eines Landes kauft und Zinsen kassiert, muss auch das Risiko eines Ausfalls tragen. Auf ihrem letzten Gipfel vom Dezember haben die Staats- und Regierungschefs der Eurozone sich von diesem Prinzip der Gläubigerbeteiligung im Falle insolventer Staaten allerdings verabschiedet: entsprechende Passagen aus dem ESM-Vertrag sollen gestrichen werden. Damit werden auch künftig die Risiken für Staatsinsolvenzen beim Steuerzahler abgeladen, während die Chancen bei den Investoren bleiben. Auch sind eine Reihe weiterer Fragen beim ESM noch ungeklärt. Deshalb kann ich derzeit noch nicht sagen, ob ich einem überarbeiteten ESM-Vertrag meine Zustimmung geben werde oder nicht.
Ich hoffe, Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Schick