Frage an Gerhard Schick von Roman B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Schick,
ich beziehe mich auf einen Artikel. Gelesen in Welt-Online 03.10.09
Die Entrüstung über die Äußerungen von Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin über Berliner Arme und Ausländer hält auch nach dessen Entschuldigung an. Scharfe Kritik kam vor allem von der Gewerkschaft Ver.di, den Grünen sowie aus Sarrazins eigener Partei, der SPD.
Im Kern geht es um diese Ausage: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert“
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick sagte der „Frankfurter Rundschau“: „Diese Äußerungen finde ich widerlich.“ Sarrazin habe mit seinem Interview dem Ansehen der Bundesbank geschadet und klar gegen den Verhaltenskodex.
Was ist daran widerlich?
Gegen welchen „Verhaltenskodex“ allgemein oder speziell hat Herr Sarrazin den verstoßen?
Gegen der der Bundesbank, oder den der „Politik“, die solche Wahrheite nicht gerne hört?
MFG
R. Baumgaertner
Sehr geehrter Herr Baumgaertner,
Sie haben mich wegen meiner Kritik an den Interviewäußerungen von Herrn Sarrazin angeschrieben. Diese Kritik bezog sich auf die Wortwahl von Herrn Sarrazin, auf die Art, wie er eine Realität beschreibt und welchen Teil der Realität er beschreibt und welchen er weglässt. Äußerungen wie z.B.: „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. Das würde mir gefallen wenn es osteuropäische Juden wären mit einem um 15% höheren IQ als dem der deutschen Bevölkerung.“ und ähnlich lautende Passagen in dem betreffenden Interview zeigen meiner Meinung nach, dass Herr Sarrazin ein ethnisches Problem darstellt, wo es in Wahrheit ein soziales Problem gibt. Und genau das ist diskriminierend, weil es diejenigen herabsetzt, die derselben ethnischen Gruppe angehören, aber gut integriert und hoch gebildet sind. So spricht er auch immer wieder von einer spezifischen türkischen und arabischen Eigenart bzw. Mentalität. Mit dieser Tonlage macht er es rechtsextremen und rechtsradikalen Kreisen leicht, seine Äußerungen als Bestätigung ihrer menschenverachtenden Ideologie heranzuziehen. Ein politisch erfahrener Mann wie Herr Sarrazin ist sich über diese Wirkung seiner Aussagen bewusst.
In seiner früheren Tätigkeit als Berliner Senator für Finanzen hätte es Herrn Sarrazin gut angestanden, die sozialen und Integrationsprobleme in Berlin genau zu analysieren und konkrete Vorschläge zur Überwindung der vorhandenen Probleme zu machen. Erst nach Ausscheiden aus diesem Berliner Amt den Mund aufzumachen, dann, wenn man nicht mehr zuständig ist, spricht nicht gerade von Zivilcourage.
Meine Kritik bedeutet keineswegs, dass ich, meine Fraktion und meine Partei sich der Diskussion über Fehler in der Integrationspolitik verweigern würden. Im Gegenteil sind wir an einer - auch öffentlich geführten - Debatte über Integrationsprobleme sehr interessiert. Diese muss aber in sachlicher Art und Weise erfolgen! Die Darstellung von sozialen Problemen als ethnische ist diesem Anliegen jedoch nicht dienlich. Das wir uns intensiv mit dem Thema Integration auseinandersetzen und dazu auch politische Antworten liefern können sie in unserer Info-Broschüre, unter
http://www.gruene-bundestag.de/cms/publikationen/dokbin/185/185928.integration.pdf
abrufbar, selbst nachlesen. Wenn man sich ernsthaft und sachlich - möglicherweise jedoch weniger öffentlichkeitswirksam als Herr Sarrazin - mit dem Thema Integration befasst, ist dies dem Thema unserer Meinung nach angemessener, als pauschale Urteile in den Medien zu verbreiten. Ich selbst habe mich mit verschiedenen Aspekten der Integrationsschwierigkeiten von Migrantinnen und Migranten in meinem Wahlkreis Mannheim beschäftigt. Ich rede dabei allerdings nicht nur über „die Türken, die Araber, die Jugoslawen“, sondern auch mit ihnen und ich differenziere. Denn es gibt eben auch eine türkisch-stämmige Mittelschicht, die gut integriert ist, ebenso wie es deutschstämmige Bevölkerungsgruppen gibt, die immer mehr abgehängt werden.
Ich habe auch kritisiert, dass sich Herr Sarrazin nicht an den Verhaltenskodex für Bundesbank-Vorstände gehalten hat. In diesem ist insbesondere auch das Auftreten in der Öffentlichkeit thematisiert. Zum genauen Ablauf bei der Freigabe des Interviews gibt es in den Medien inzwischen unterschiedliche Darstellungen. Jedenfalls muss Herr Sarrazin als Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank besonders darauf achten, den Ruf dieser Institution nicht zu beschädigen. Durch diskriminierende und undifferenzierte Äußerungen in der Öffentlichkeit geschieht jedoch genau das.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Schick