Portrait von Gerhard Botz
Gerhard Botz
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Gerhard Botz zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Gerd N. •

Frage an Gerhard Botz von Gerd N. bezüglich Wirtschaft

Haben Sie eigentlich auch an die Folgen einer Bahnprivatisierung gedacht, als sie mit braver Parteidisziplin dafür stimmten ? Die bürgerfeindlichen Folgen spüren wir jetzt schon; Stillegungen von Zugangsstellen zur Bahn (Heinersdorf), Streckenstillegungen, Einstellung von IC-Verbindungen etc. In Neuseeland, Argentinien u.a. wurden zur gleichen Zeit die Eisenbahnen wieder verstaatlicht, weil sie privatisiert zugrundegerichtet wurden. Sind Sie eigentlich schon einmal in der Schweiz mit dem Zug gefahren und haben Sie dort gesehen, wie eine Eisenbahn funktionieren kann ?

Portrait von Gerhard Botz
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Nagel,

ich pflege alle tiefgreifenden Entscheidungen im Bundestag nach eingehender Beschäftigung mit den Sachverhalten und Beratung mit Vertretern auch sehr unterschiedlicher Standpunkte zu treffen. Ich handele hier nicht als "braver Parteisoldat", wovon Sie auszugehen scheinen. Mit dem Beschluss zur Teilprivatisierung der DB AG am 30. Mai 2008 hat der Deutsche Bundestag ein neues Kapitel in der Entwicklung der DB AG aufgeschlagen. Ich werde Ihnen im Folgenden darlegen, wofür die Große Koalition gestimmt hat. Die Weiterentwicklung der Bahnreform, die, wie Ihnen sicher bekannt ist, schon unter der Regierung Kohl im Jahr 1994 begonnen hat, sichert in erster Linie den Einfluss des Bundes.

Im Kern beschlossen wir folgende Punkte:
- Die Deutsche Bahn AG bleibt zu 100 Prozent im Bundesbesitz. Die Infrastruktur, also Schienen, Bahnhöfe und Energieversorgung, sind weiterhin vollständig in staatlicher Hand.
- Der Beschluss des Bundestages ermöglicht die Beteiligung privaten Kapitals in Höhe von maximal 24,9 Prozent an einer Bahntochter, in der der Güterverkehr und die Logistik, der Fern- und der Regionalverkehr sowie die dazu gehörenden Dienstleistungen zusammengefasst sind. Im Umkehrschluss heißt das: 75,1 Prozent der Gesellschaft werden nicht privatisiert.
- Die Bewirtschaftung der Infrastruktur wird für 15 Jahre an die DB AG übertragen. Wenn der Gesetzgeber nichts anderes beschließt, fällt diese nach einer dreijährigen Abwicklungsfrist auch wirtschaftlich an den Bund zurück. Der Gesetzgeber kann aber auch die Sicherungsübereignung an die DB AG verlängern.

Wir haben zwei weitere Sicherungen eingebaut, damit die Gemeinwohlinteressen gewährt bleiben und der Bund seinen Verpflichtung im Rahmen des § 87e Grundgesetz sogar besser wahrnehmen kann.
- Die Bundesregierung schließt einen Beteiligungsvertrag mit der DB AG. In diesem Vertrag sind die wesentlichen Merkmale der künftigen Unternehmensstruktur festgehalten. Nur so können wir den notwendigen Gestaltungsspielraum sichern.
- Der Bund erhält durch die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zum ersten Mal ein ergebnisorientiertes Instrumentarium an die Hand, um die Durchsetzung seiner grundgesetzlichen Infrastrukturverantwortung deutlich zu verbessern und die Qualität im Schienennetz und bei den Bahnhöfen durchzusetzen.

Sie haben in Ihrer Anfrage die Sorge geäußert, dass die geplante Teilprivatisierung der DB AG das Angebot eines flächendeckenden Schienenverkehrs gefährden könnte. Darauf möchte ich nun detailliert eingehen.

Seit der Bahnreform von 1994 gilt in Deutschland im Regionalverkehr das Bestellerprinzip. Demnach sind es die Länder, die entscheiden, auf welchen Strecken, in welchem Umfang und durch welches Eisenbahnverkehrsunternehmen Nahverkehr stattfindet. Mit anderen Worten: Es sind die jeweiligen Bundesländer die Herren über die Qualität und den Umfang des Schienenpersonennahverkehrs sind. Sie bestellen die entsprechenden Leistungen. Daran ändert auch der neuerliche Beschluss zur Teilprivatisierung der Bahn nichts. Der Bund gewährt den Bundesländern die entsprechenden Regionalisierungsmittel. Für 2008 wurden Mittel in Höhe von 6,675 Milliarden Euro gewährt. Diese Mittel werden jährlich um 1,5 % steigen und im Jahr 2014 eine Höhe von ca. 7,3 Milliarden Euro erreichen. Mit der Neufassung des Regionalisierungsgesetzes werden die Bundesländer verpflichtet, die Verwendung der Bundesmittel jährlich transparenter zu machen. Des Weiteren erhält die DB AG für Investitionen in das Bestandsnetz bedarfsgerecht 2,5 Mrd. Euro jährlich.

Sowohl die DB AG als auch ein potentieller Investor sind nicht befugt, über Stilllegung von Strecken zu entscheiden. Allein dem Eisenbahnbundesamt obliegt die Entscheidungsbefugnis. Es gibt hierfür ein klar geregeltes gesetzliches Verfahren. Eine Streckenstilllegung - oder genauer, die Aufgabe der Bewirtschaftung durch die DB AG muss vom Eisenbahnbundesamt unter Einbeziehung der zuständigen Bundesländer genehmigt werden. Wird dann einer Aufgabe der Bewirtschaftung durch die DB AG tatsächlich zugestimmt, wird diese Strecke neu ausgeschrieben. Konkurrenten der DB AG erhalten dann die Möglichkeit eine solche Strecke zu bewirtschaften. So stieg z.B. im Güterverkehr der Anteil der zur DB AG konkurrierenden Eisenbahnunternehmen in 2007 auf über 20 Prozent.

Die Gefahr, dass verstärkt Stilllegungen drohen, besteht also nicht. Eine Zahl mag dies verdeutlichen: Die meisten Stilllegungen von unrentablen Strecken sind in der Zeit vor und unmittelbar nach der politischen Wende erfolgt - mit rückläufiger Tendenz: In 2006 wurden im gesamten Bundesgebiet nur noch 100 km nach diesem Verfahren aufgegeben, also weniger als 0,3 Prozent des Gesamtnetzes.

Vergleiche mit den Entwicklungen in Neuseeland, England, Australien oder in der Schweiz sind nicht hilfreich, da es sich um völlig verschiedene Vorgänge handelt. Eines der wichtigsten Unterschiede: In England und Neuseeland bspw. wurde auch das Netz an einen privaten Investor verkauft. In Deutschland wird - wie oben schon erwähnt - das gesamte Schienennetz beim Bund verbleiben. Auch ich bin in der Schweiz schon mit der Bahn gereist. Im Gegensatz zu Deutschland fahren dort auch verhältnismäßig deutlich mehr Bürger mit der Bahn.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gerhard Botz