Frage an Gerda Hasselfeldt von Jörn S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Hasselfeldt,
wie ich heute in der Presse lesen konnte, haben Sie sich zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe geäußert und wurden u.a. mit Aussagen zitiert "Das Bundesverfassungsgericht legt seinen Auftrag aus meiner Sicht in den letzten Jahren besonders weitreichend aus" und "Karlsruhe ist nicht der bessere Gesetzgeber".
Stimmen diese Zitate und bitte stellen Sie klar, in welchem Zusammenhang Sie diese getätigt haben.
In dem Artikel wurde behauptet, dass Sie die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes u.a. auch auf das Urteil zum Kopftuchverbot und zur Erbschaftssteuer getätigt haben sollen.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir jedoch die Frage, warum das Bundesverfassungsgericht so viele Entscheidungen der Regierungen und der Parlamente in den vergangenen Jahren für rechtswidrig und korrekturbedüftig beurteilen mussten? Kann es nicht eher sein, dass die Gesetzgebung der vergangen Jahre (und zwar parteienunabhängig) eher den Stammtischen und Festzelten sowie der BILD-Zeitung gefolgt ist und dabei ggf. das Grundgesetzt missachtet hat? Warum sonst sollte das oberste Gericht politische Gesetzesentscheidungen aufheben, wenn diese einwandfrei gewesen wären?
Vielleicht ist Karlsruhe doch der bessere Gesetzgeber. Bestimmt jedoch ist Karlsruhe der bessere Hüter des Grundgesetzes.
Mit freundlichen Grüßen
Jörn Saß
Sehr geehrter Herr Saß,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 20. April bezüglich des Auftrags des Bundesverfassungsgerichts, die Sie mir über abgeordnetenwatch.de haben zukommen lassen.
Sie beziehen sich in Ihrer Nachricht auf zwei Zitate, die ich im Zuge der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zur Erbschaftssteuer gemacht habe. Unbestreitbar ist die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Hüter unseres Grundgesetzes. Seit seines Bestehens nimmt es diese Rolle zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger wahr. Und dennoch ist in der letzten Zeit ein zunehmender politischer Gestaltungswille durch konkrete Festlegungen bei den Urteilen erkennbar. Im Urteil zum Erbschaftssteuergesetz schrieb das Gericht mit der geforderten Bedürfnisprüfung beispielsweise ein Instrument vor, dass das Steuerrecht bisher nicht kannte. Es fordert damit die Einführung eines artfremden Instruments in das Erbschaftssteuerrecht und macht eine saubere ordnungspolitische Lösung für die Legislative schwierig.
Es geht in diesem Zusammenhang nicht darum, den generellen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts in Frage zu stellen. Gelangt es zum Urteil, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist, so ist das seine ureigenste Aufgabe. Kritisch zu sehen sind vielmehr konkrete Festlegungen, denn dadurch greift das Bundesverfassungsgericht in die politische Entscheidungsfreiheit der Legislative ein. Ich kann Ihnen versichern, dass der Deutsche Bundestag bei der Gesetzgebung in Bezug auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit nicht blauäugig handelt und dass die Qualität der verabschiedeten Gesetze nicht abgenommen hat. Vielmehr werden die Anforderungen an den Gesetzgeber und die zu regelnden Bereiche zunehmend komplexer. Es ist normal, dass der Bundestag und das Bundesverfassungsgericht durch unterschiedliche Blickwinkel bei Problemstellungen bisweilen zu abweichenden Lösungen kommen. In dem Rahmen, in dem der Bundestag die Entscheidungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts nicht in Frage stellt, sollte das Bundesverfassungsgericht jedoch auch die Gesetzgebungskompetenz des Bundestages nicht in Frage stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Gerda Hasselfeldt