Frage an Gerd Friedrich Bollmann von Christian P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Bollmann,
Tschetschenien stirbt!
Völkermord ist das schlimmste Verbrechen, zu dem Menschen fähig sind. In Tschetschenien – am Rande Europas – wurde von 1994 bis heute jeder Fünfte Opfer von Genozid. Unter den 200.000 Toten sind 50.000 Kinder und Jugendliche, schätzt die Gesellschaft für bedrohte Völker. Täglich verschwinden Zivilisten spurlos, werden gefoltert und getötet. Zehntausende sind kriegsverletzt. Viele können nicht ausreichend versorgt werden. Jetzt weitet sich der Krieg auf die Nachbarregionen aus.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Tschetschenien-Politik des befreundeten russischen Präsidenten Wladimir Putin vorbehaltlos unterstützt: Er entsandte eine Delegation des BND in die tschetschenische Hauptstadt Grosny, nachdem sie dem Erdboden gleichgemacht worden war. Bundeswehr und russische Armee vereinbarten gemeinsame Übungsmanöver, und ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher begleitete den russischen Präsidenten im Frühjahr 2005 zur Messe nach Hannover.
Wir fragen Sie: Welche Initiativen werden Sie für die Wiederherstellung des Friedens in Tschetschenien entwickeln? Welche Maßnahmen könnte Deutschland ergreifen, um die Verfolgungen und Morde in Tschetschenien zu beenden?
Für die Beantwortung bedanke ich mich bereits im Voraus.
MfG
Christian Preuß
Regionalgruppe Wanne Eickel der Gesellschaft für bedrohte Völker
Sehr geehrter Herr Preuß,
der Tschetschenienkonflikt ist in der Tat einer der tragischsten, der sich zur Zeit auf dem europäischen Kontinent abspielt. Es wäre vermessen zu behaupten, dass es irgendjemanden gibt auf dieser Welt, der über ein Patentrezept zur Lösung dieses langjährigen Konflikts verfügt. Die Bundesregierung und die SPD-Bundestagsfraktion bemühen sich seit vielen Jahren, die russische Seite davon zu überzeugen, dass Voraussetzung für eine Konfliktlösung die Beachtung der Menschenrechte bei der Verfolgung von Straftätern, seien es Terroristen oder gewöhnliche Kriminelle, ist. Solange das Fehlverhalten von Angehörigen russischer Sicherheitskräfte nicht oder nur unzureichend geahndet wird, wird es der russischen Führung auch nicht gelingen, das verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung in Tschetschenien wieder herzustellen.
Deutschland und die Europäische Union haben Russland eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, um gemeinsam aus dem Teufelskreis der Gewalt herauszukommen. Dazu gehört das Angebot der grenzüberschreitenden Kooperation in Anlehnung an Erfahrungen aus dem Stabilitätspakt Südosteuropa, der Ausbildung lokaler und regionaler Verwaltungsbeamter und praktische technische Hilfe zur Wiederherstellung der Infrastruktur. Der kürzlich begangene erste Jahrestag des Geiseldramas von Beslan, dem über 300 Menschen, darunter 186 Kinder, zum Opfer fielen, mahnt uns, nichts unversucht zu lassen, eine friedliche Lösung des Tschetschenienkonflikts herbeizuführen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerd Bollmann