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Georg Schirmbeck
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Frage von Daniel W. •

Frage an Georg Schirmbeck von Daniel W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Schirmbeck,

mit Interesse verfolge ich die Politik unseres Landes. Leider bemerke ich immer mehr, wie die Politikverdrossenheit (jetzt auch wieder bei der Wahl in Niedersachsen) weiter zunimmt.

Könnte dem Ihrer Meinung nach durch mehr Bürgernähe und mehr direkter Demokratie entgegengewirkt werden?

Wie ist Ihre Meinung zu dem Thema: gebt dem Bürger mehr Mitverantwortung?

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Weßling,

ich danke Ihnen für Ihre Frage, ob man durch mehr Bürgernähe und mehr direkte Demokratie einer Politikverdrossenheit vieler Bürgerinnen und Bürger entgegenwirken kann.

Eigentlich ziehe ich den direkten Kontakt vor. Zum direkten Kontakt gehört für mich, dass ich auch die wesentlichen Daten – also zumindest die E-Mail-Adresse und die Postanschrift - meines Gegenübers kenne. Ich antworte Ihnen dennoch, weil Sie mir mitgeteilt haben, dass Sie aus meinem Wahlkreis kommen und weil ich den Gegenstand der Fragen nach den vergangenen Landtagswahlen wichtig finde.

Allgemein wird unter „Bürgernähe“ die Vorstellung einer Verwaltungsvereinfachung/Entbürokratisierung verstanden. Die Union bemüht sich seit Jahren auf allen Ebenen der Verwaltung um eine unbürokratische Vorgehensweise. Das muss aber auch einhergehen mit einer gerechten und richtigen Verwaltung.

Wenn Sie unter „Bürgernähe“ einen bürgernahen Bundestagsabgeordneten verstehen, so möchte ich Sie auf meine Internetpräsenz – www.schirmbeck.info – verweisen. Dort können Sie einen Einblick in meine 7-Tage-Woche gewinnen. Dabei werden Sie feststellen, dass ich außerhalb der Sitzungswochen des Deutschen Bundes-tages regelmäßig im Osnabrücker Land unterwegs bin und mich um die Belange der Bevölkerung vor Ort kümmere und in Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern mei-nes Wahlkreises bin. Aus diesem Grund kann es meiner Meinung nach, zumindest im Osnabrücker Land, nicht zu einem wachsenden Desinteresse an Wahlen kommen.

Könnte einer Politikverdrossenheit der Wählerinnen und Wähler eventuell durch die Einführung plebiszitärer Elemente entgegengewirkt werden? Das Volksbegehrensrecht der Weimarer Republik eröffnete den radikalen Parteien erhebliche Mobilisierungschancen. Der Parlamentarische Rat hat sich auch deswegen 1949 bei der Formulierung des Grundgesetzes (GG) vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Weimarer Republik für eine strikt repräsentative Demokratie entschieden und bis auf die Neugliederung des Bundesgebietes (Art. 29) plebiszitären Elementen eine Absage erteilt. Wenn es in Art. 20 Abs. 2 GG heißt, die Staatsgewalt werde vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt, dann räumt das Grundgesetz den Ländern damit durchaus die Option ein, für ihren Bereich und den der Kommunen Plebiszite durchzuführen.

"Bonn ist nicht Weimar" und Berlin auch nicht. Dennoch sprechen auch heute noch gravierende Gründe gegen eine Aufnahme plebiszitärer Elemente (Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid) in das Grundgesetz, wenn ich selber auch Sympathien für direkte Demokratie hege:

1. Die Komplexität einer Gesetzgebungsmaterie und ihre Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen lassen in einer modernen pluralistischen Demokratie eine Ja/Nein-Alternative nicht zu. Gefordert ist ein Entscheidungs- und Gesetzgebungsverfahren, das auf ein hohes Maß an Kompromisssuche und Kompromissfindung angelegt ist. Dafür ist das parlamentarische Verfahren mit seinen drei Lesungen und den Ausschussberatungen am besten geeignet.

2. Demagogie und Populismus wären bei einem Plebiszit Tür und Tor geöffnet. Die Entrationalisierung bewirkt auch, dass sachfremde Erwägungen in den Entscheidungsprozess einfließen oder gar den Ton angeben. Es geht dann nicht um das Gesetzgebungsvorhaben als solches, sondern darum, die Regierung oder die Opposition allgemeinpolitisch "abzuwatschen".

Plebiszite sind sehr stark momentanen Stimmungen unterworfen. Würde heute ein Kinderschänder einen grausamen Mord verüben, würde die Zustimmung zur Einführung der Todesstrafe sprunghaft ansteigen, nach ein, zwei Monaten aber wieder abnehmen, da der unmittelbare emotionale Eindruck des Ereignisses verflogen ist.

3. Der Minderheitenschutz wäre gefährdet, da weder die Gruppen, die für die "richtige" Entscheidung werben, noch die Stimmbürger dem Gemeinwohl verpflichtet sind.

4. Plebiszite geben darüber hinaus aktiven Minderheiten und gut organisierten Vertretern zweitrangiger Interessen das Instrumentarium, ihre Macht noch stärker als bisher auf Bundesebene durchzusetzen. Die Bürger könnten angesichts der erforderlichen Quoren ihre Initiativen in aller Regel nicht selbst vorantreiben, sondern wären auf die Unterstützung von Verbänden und Vereinigungen angewiesen. Infolgedessen besteht die Gefahr der Bevormundung des Bürgers durch demokratisch nicht legitimierte Vereinigungen.

5. Plebiszite zögen unweigerlich die Schwächung föderaler Strukturen nach sich. Darin änderte sich auch nichts durch die Einführung eines Länderquorums. Dem Bundesrat, der nicht lediglich eine Summe der Länder, sondern eine selbständige Einheit innerhalb unseres Systems ist, wäre die Möglichkeit der Mitgestaltung genommen. Damit ginge die ausgewogene Balance zwischen zentral- und gliedstaatlichen Entscheidungsbefugnissen in der Bundesgesetzgebung, vermittelt durch das Miteinander von Bundestag und Bundesrat, verloren.

6. Die Einführung plebiszitärer Elemente würde das parlamentarische Regierungssystem nicht ergänzen, sondern grundlegend verändern. Denn das ausbalancierte Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander müsste neu justiert werden. Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und auch das Bundesverfassungsgericht erleiden eine Einbuße ihrer Befugnisse, die anderweitig irgendwie kompensiert werden müsste. Bisher bildet die Bundestagsmehrheit zusammen mit der Bundesregierung eine "Staatsleitung zur gesamten Hand". Ein Großteil der Gesetzesinitiativen geht von der Bundesregierung aus. Nicht nur der Bundestag, sondern auch die Bundesregierung verlö-ren rapide an Einfluss und politischer Gestaltungskraft. Das gleiche gilt für den Bundesrat. Das Bundesverfassungsgericht wird sich ungleich schwerer tun, ein vom Volk beschlossenes Gesetz aufzuheben, als wenn es vom Parlament verabschiedet worden ist.

Ich würde mich freuen, wenn Sie, sehr geehrter Herr Weßling, meine Argumente nachvollziehen können.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Georg Schirmbeck, MdB