Gabriele Hiller-Ohm
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Frage von Marc W. •

Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Marc W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Hiller-Ohm,

unsere Familienministerin, Frau von der Leyen, versucht zur Zeit, gegen massive Bedenken von Experten und Datenschützern, eine sog. Sperrliste für Internetseiten durchzusetzen. Heute hat sie hierzu einen Gesetzesentwurf vorgelegt.

Als Vorwand für diese Sperrliste nennt die Regierung den Kampf gegen Kinderpornographie, was ja ein sehr zu unterstützendes Ziel ist. Mehrfach wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Sperren für ernsthaft an solchem Material interessierte Personen kein Hindernis darstellen, dafür aber alle Bürger unter Generalverdacht stellen und de facto eine Internetzensur errichten.

Wie stehen Sie zu der Frage, dass ausschließlich das BKA diese Sperrliste erstellen soll und diese geheim gehalten werden soll? Wie ist dies mit dem Grundverständnis einer Demokratie zu vereinbaren?

Unterstellt man einmal, der zur Zeit amtierenden Regierung zu vertrauen und ihr nichts Böses zu unterstellen: Dieses Vertrauen kann aber nicht für künftige Regierungen im Voraus erteilt werden. Wie soll also sichergestellt werden, dass künftige Regierungen/Behörden dieses Zensurinstrument nicht missbrauchen und beispielsweise missliebige politische Äußerungen oder freie Presseorgane sperren?

Mich würde Ihre persönliche Meinung zu diesem Thema interessieren.

Vielen Dank im Voraus,

Marc Willmann

Gabriele Hiller-Ohm
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Willmann,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die Ihre unterstützenswerte kritische Auseinandersetzung mit Einschränkungen hinsichtlich unserer demokratisch-rechtsstaatlichen Prinzipien erkennen lässt.

Ich widerspreche Ihnen aber dahingehend, dass der Kampf gegen Kinderpornographie lediglich ein Vorwand für die Einführung einer Sperrliste sei.

Kinderpornographie ist die Dokumentation von Kindesmissbrauch und der sexuellen Ausbeutung von Kindern. Hinter jedem Bild und jedem Film steht ein missbrauchtes Kind und dessen bedrückendes Schicksal. Den Kampf hiergegen führt die SPD bereits seit längerem als einen umfassenden Ansatz. Hierzu hat die SPD-Bundestagsfraktion kürzlich einen Zehn-Punkte-Plan mit weiteren konkreten Maßnahmen verabschiedet. Sie finden ihn unter folgendem Link:
http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_dok/0,,47298,00.html .

Trotz internationaler Anstrengungen zur Täterermittlung und Schließung von Websites bleiben Angebote mit kinderpornographischen Inhalten im Internet abrufbar und nehmen beständig zu. Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet seit Jahren einen Anstieg bei der Verbreitung der Kinderpornographie im Netz. So ist allein in Deutschland im Zeitraum von 2006 auf 2007 ein Zuwachs von 111 % zu verzeichnen (2936 auf 6206 Fälle). Die Dimension der Verbreitung von Kinderpornographie über das Internet in Deutschland verdeutlicht die Anzahl der Beschuldigten in einzelnen großen Ermittlungskomplexen allein in Deutschland, z. B. Operation Marcy: 530; Operation Penalty: über 1.000; Operation Mikado: 322; Operation Himmel: 12.000; Operation Smasher: 987 (laut Pressemitteilung des Bundeskriminalamtes vom 27. August 2008 zu aktuellen Entwicklungen im Bereich schwerer und organisierter Kriminalität: http://www.bka.de/pressemitteilungen/2008/pm080827.html ).

Der Großteil der Kinderpornographie im Bereich des World Wide Web wird mittlerweile über kommerzielle Internetseiten verbreitet, die in Drittländern außerhalb der Europäischen Union betrieben werden. Trotz aller nationalen und internationalen Anstrengungen bleiben viele Kinderpornographie-Seiten im Netz verfügbar. Es gelingt in vielen Staaten nicht, Betreiber kinderpornographischer Angebote (so genannte Content-Provider) haftbar zu machen oder ihnen die Plattform (über so genannte Host-Provider) zu entziehen.

Klar ist: Gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln vorgegangen werden. Die Täter müssen weiterhin mit Hochdruck ermittelt und kinderpornographische Seiten geschlossen werden. Der von Ihnen angesprochene Entwurf eines Kinderpornographie-Bekämpfungs-Gesetzes, der in dieser Woche in 1. Lesung im Bundestag beraten wurde, ist dabei ein Teil der Gesamtstrategie gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und seiner Darstellung im Internet.

Mit dem Gesetzentwurf werden Änderungen des Telemediengesetzes (TMG) und des Telekommunikationsgesetzes (TKG) eingeführt. Damit werden die am 25. März 2009 beschlossenen Eckpunkte der Bundesregierung umgesetzt. Wie in den Eckpunkten vorgesehen, beschränkt sich der Gesetzentwurf darauf, dass der Zugang zu kinderpornographischen Inhalten im Internet erschwert wird. Dabei erfasst das Bundeskriminalamt (BKA) Informationen über solche Angebote und stellt allen großen privaten Internetanbietern eine Sperrliste zur Verfügung. Die Anbieter wiederum sind verpflichtet, den Zugang zu entsprechenden Inhalten zu blockieren. Die betroffenen Nutzer werden über eine Stopp-Meldung informiert. Zugleich können die Daten für die Strafverfolgung genutzt werden.

Der Gesetzentwurf wird im Übrigen auch vom Kinderschutzbund Schleswig-Holstein ausdrücklich in seiner Pressemitteilung vom 30.04.2009 begrüßt und unterstützt: http://www.kinderschutzbund-sh.de/presse/PI%20Kinderpornografie%20im%20Internet.pdf.

Ich gehe davon aus, dass die Sperrung die Nachfrage dämpfen wird. Auch wenn man mit einer solchen Zugangssperre nicht jegliche Verbreitung von Kinderpornographie im Internet ausschließen sondern nur erschweren kann – es ist wichtig, die Hemmschwelle und damit die Sensibilität im Umgang mit solchen kriminellen Inhalten deutlich zu erhöhen. Dazu dient auch die vorgesehene Umleitung auf eine Stoppseite, die sich bereits in anderen Ländern bewährt hat.

Sperrungen werden seit vielen Jahren in Ländern wie Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland, den Niederlanden, Italien, Großbritannien, der Schweiz, Neuseeland, Südkorea, Kanada und Taiwan durchgeführt. Dieses geschieht auf gesetzlicher Grundlage in Italien und Finnland, durch verbindliche Vereinbarungen mit den Zugangsanbietern in den skandinavischen Ländern und durch freiwillige Selbstverpflichtung in den USA. Erfahrungen in diesen Staaten zeigen, dass täglich Zehntausende von Zugriffen auf kinderpornographische Angebote verhindert werden können. Zum Beispiel werden in Norwegen täglich 15.000 bis 18.000 Zugriffe und in Schweden täglich 50.000 Zugriffe auf Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten verhindert.

Ihre Befürchtungen der Ausweitung der auf den speziellen Fall der Kinderpornographie begrenzten „Internetzensur“ nehme ich ernst. Immerhin wird mit dem Gesetz das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) durch die Absätze 2, 4 und 5 eingeschränkt.

Diesen speziellen Eingriff halte ich unter Abwägung der Verhältnismäßigkeit insbesondere im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel der Bekämpfung von Kinderpornographie für angemessen. Mir vorliegende Gutachten zur Bewertung der bisherigen „Internet-Rechtsprechung“ der Gerichte und insbesondere des Bundesverfassungsgerichtes kommen zu der Einschätzung, dass eine Sperre kinderpornographischer Seiten rechtmäßig ist, wenn sie auch verhältnismäßig ist. Das ist dann der Fall, wenn der mit ihr erstrebte Zweck in angemessenem Verhältnis zur Beeinträchtigung des Adressaten steht. Die Verhältnismäßigkeit ist dann gegeben, wenn die Maßnahme zur Erreichung des Zieles geeignet, erforderlich und angemessen ist. Diese Voraussetzungen sind meiner Ansicht nach in diesem Fall erfüllt.

Einem Missbrauch wird grundsätzlich durch die Unabhängigkeit der Justiz entgegengewirkt, wodurch es jedem Bürger jederzeit offen steht, dieses Gesetz einschließlich der Rechtmäßigkeit der hierdurch gesperrten Seiten durch Klage überprüfen zu lassen.
Zusätzlich enthält der Gesetzesentwurf diesbezüglich in Artikel 1 Satz 8 folgende Dokumentationspflicht – insbesondere für eventuelle Nachfragen oder gerichtliche Auseinandersetzungen – seitens des BKA: „Das Bundeskriminalamt ist verpflichtet, Unterlagen vorzuhalten, mit denen der Nachweis geführt werden kann, dass die in der Sperrliste aufgeführten Einträge zum Zeitpunkt ihrer Bewertung durch das Bundeskriminalamt die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllten. Es erteilt Diensteanbietern im Sinne dieses Gesetzes, die ein berechtigtes Interesse darlegen, auf Anfrage Auskunft darüber, ob und in welchem Zeitraum ein Telemedienangebot in der Sperrliste enthalten ist oder war.“

Da die Koalitionsfraktionen wissen, dass mit den Regelungen des Kinderpornographie-Bekämpfungs-Gesetzes gesetzgeberisches Neuland betreten wird, wird im Gesetzesentwurf festgelegt, dass innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Evaluierung erfolgt.

Wir werden die Bedenken hinsichtlich der Zensur-Maßnahme ernst nehmen
und in den weiteren parlamentarischen Beratungen prüfen, an welchen
Stellen es möglicherweise Verbesserungsbedarf gibt, etwa im Hinblick auf
Datenschutz und verfahrensrechtliche Regelungen.

Am Grundsatz des freien Internets halten wir fest, deshalb braucht die ausnahmsweise Sperrung in diesem besonderen Fall einen rechtsstaatlich einwandfreien Rahmen.

Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm