Gabriele Hiller-Ohm
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Frage von Reiner S. •

Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Reiner S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Hiller-Ohm

ich bin seit fast 36 Jahren bei einem großen Verkehrsdienstleister in SH im Schichtbetrieb tätig und kann mir bei dieser körperlichen Belastung im Wechselschichtbetrieb nicht vorstellen bis zum Alter von 67 Jahren zu arbeiten.
Gibt es eine EU-Richtlinie oder einen ähnlichen Entwurf, welche Arbeitnehmer mit 35 Jahren ohne Abzüge in Ruhestand gehen läßt?
Meines Wissens können Italiener und Franzosen im Verkehrssektor diese Möglichkeit in Anspruch nehmen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie zur Umsetzung solch einer Richtlinie? Wie stehen Sie persönlich dazu?

Mit freundlichem Gruß

Reiner Siemers

Gabriele Hiller-Ohm
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Siemers,
Ihre Befürchtung, aufgrund der körperlichen Belastung Ihrer Arbeit diese nicht bis zum 67. Lebensjahr ausführen zu können, kann ich nachvollziehen.

Für solche Fälle – gerade auch in Verbindung mit langjährigen Berufsjahren, die bei gesundheitlich stärker belastenden Tätigkeiten häufig anzutreffen sind – existieren trotz der grundsätzlichen Regelaltersrente von 67 Jahren verschiedene Regelungen, die einen früheren Renteneintritt (ohne Rentenabschläge) ermöglichen.

Da Sie zwar nicht direkt geschrieben haben wie alt Sie sind, nehme ich jedoch aufgrund Ihrer 36 Berufsjahre ein Geburtsjahr von Mitte der 50er Jahre an. Dies bedeutet generell bereits für Sie, dass Ihre normale Regelaltersgrenze nicht bei 67 Jahren liegt, da diese erst schrittweise zwischen 2012 und 2029 von 65 Jahren auf 67 Jahre angehoben wird. Beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1947 erfolgt die Anhebung ab 2012 zunächst in Ein-Monats-, von 2024 an in Zwei-Monats-Schritten, so dass dann für Versicherte ab Jahrgang 1964 die Regelaltersgrenze von 67 Jahren gilt. Konkret bedeutet dies, dass die Regelaltersgrenze für den Jahrgang 1947 danach 65 Jahre und einen Monat beträgt. Für den Geburtsjahrgang 1948 beträgt sie 65 Jahre und zwei Monate und setzt sich entsprechend fort. Ab dem Jahrgang 1959 erfolgt die Anhebung in Zweimonatsschritten. Erst für Versicherte, die 1964 oder später geboren sind, gilt dann das neue Rentenalter.

Darüber hinaus existiert die Möglichkeit für besonders langjährig Versicherte, die eine Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben und mindestens 65 Jahre alt sind, frühestens mit erreichen des 65. Lebensjahres ohne Abschläge in Rente zu gehen. Nach Ihren Angaben dürften Sie diese Regelung nutzen können.

Weiter bestehen auch für langjährig Versicherte abweichende Regelungen: Wer 35 Versicherungsjahre aufweist, kann bereits mit 63 Jahren in Rente gehen, allerdings mit einem Abschlag von zirka 10 Prozent.

Zusätzlich bietet die staatlich geförderte Altersteilzeit für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen die Möglichkeit über eine Reduzierung der Arbeitszeit oder eine vorzeitige Beendigung der aktiven Tätigkeit den Übergang in den Ruhestand vorzubereiten. Voraussetzungen sind die Vollendung des 55. Lebensjahres und die versicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeit von mindestens 1.080 Kalendertage (entspricht etwa drei Jahren). Durch Vereinbarung mit dem Arbeitgeber wird die bisherige wöchentliche Arbeitszeit halbiert. Denkbare Modelle der Altersteilzeit sind Halbtagsbeschäftigung, Arbeit und Freistellung im täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Wechsel sowie das so genannte Blockmodell. Hierbei wird die Altersteilzeit in zwei gleich lange Beschäftigungsphasen unterteilt. In der ersten, sogenannten Arbeitsphase bleibt die wöchentliche Arbeitszeit ungekürzt. In der zweiten Phase, der Freistellungsphase, wird der Arbeitnehmer von seiner Arbeitsleistung freigestellt. Über die Gesamtdauer ergibt sich also auch hier eine Reduzierung der Arbeitszeit. Die Auswirkungen auf das Gehalt während der Altersteilzeit sowie die spätere Rentenhöhe sind je nach den abgeschlossenen Vereinbarungen individuell.

Sollten die körperlichen Belastungen Ihrer Tätigkeit zu dauerhaften gesundheitlichen Folgen und damit eventuell dazu führen, dass Sie Ihre Arbeit nicht mehr bzw. nicht mehr im vollen Umfang nachgehen können, bestünde zusätzlich die Möglichkeit der Rente wegen Erwerbsminderung. Hierbei ist grundsätzlich mit einem Abschlag von etwa 0,003 Prozent für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, zu rechnen. Bei über 40 Arbeitsjahren erfolgt der Abschlag nur für die Monate vor dem 63. Lebensjahr.

Eine detaillierte Beratung unter der Berücksichtigung Ihrer konkreten Gegebenheiten und daraus resultierenden Möglichkeiten erhalten Sie bei der Deutsche Rentenversicherung. Die Niederlassung in Lübeck finden Sie in der Ziegelstraße 150 (Telefon 0451/485-0), die bundesweite kostenlose Servicenummer lautet 0800/10004800. Weitere Informationen finden Sie auch auf der Internetseite der Deutschen Rentenversicherung: www.deutsche-rentenversicherung.de

Die von Ihnen erwähnten europäischen Regelungen sind mir – auch nach ausführlichen Recherchen – nicht bekannt. Die aktuelle Beschäftigungsstrategie und die beschäftigungspolitische Leitlinien der Europäischen Union sind hingegen auf die Anhebung des Erwerbsaustrittsalters bzw. den Verbleib im Erwerbsleben und die Verlängerung des Erwerbslebens ausgerichtet. Die Rentensysteme in der Europäischen Union sind, wie die gesamte Sozialpolitik, immer noch einzelstaatlich sehr verschieden und auch kaum vergleichbar. Eine eventuelle frühere Renteneintrittsmöglichkeit sagt beispielsweise auch wenig über die tatsächliche Leistung des Systems (Rentenhöhe, Beitragsdauer und -höhe) aus. Die von Ihnen angesprochenen Staaten Frankreich und Italien sehen sich mit demselben Problem wie nahezu alle westlichen Länder konfrontiert – die demographische Entwicklung – und müssen dementsprechend reagieren. Durch das Zusammenwirken von Geburtenrückgang und ansteigender Lebenserwartung stehen immer weniger Erwerbstätige einer immer größer werdenden Zahl von Rentenempfängern gegenüber. Dadurch werden viele EU-Länder in den nächsten Jahrzehnten mit großen Herausforderungen konfrontiert sein: angemessene und finanzierbare Rentensysteme für ihre alternde Bevölkerung zu gewährleisten, während gleichzeitig die Zahl der erwerbstätigen Personen stark zurückgeht und die Zahl der Rentnerinnen und Rentner rasch wächst. Angesichts dieser unumgänglichen demografischen Fakten arbeitet die Europäische Union mit den einzelnen Mitgliedstaaten zusammen, um Reformen an den Rentensystemen zu unterstützen und zu beobachten sowie um zu beurteilen, wie diese Reformen sich auf das erklärte zweifache Ziel auswirken, für angemessene Rentenzahlungen zu sorgen und die Nachhaltigkeit, d. h. den langfristigen Bestand der Rentensysteme zu sichern. In vielen Mitgliedstaaten wurden radikale Umstrukturierungsmaßnahmen ergriffen – in Frankreich war sogar die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre im Gespräch –, um zum Erreichen dieser Ziele beizutragen.

Persönlich setze ich mich zusammen mit meiner Partei, der SPD, für die Verankerung sozialer (Mindest-)Standards auf europäischer Ebene, sprich einem „sozialen Europa“ ein. Nach der Wirtschafts- und Währungsunion ist die Zeit für eine europäische Sozialunion längst überfällig. Daher muss auch das Wirtschaften im europäischen Binnenmarkt in eine politische und soziale Ordnung eingefasst werden. Wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille, denn nur auf dem Boden sozialer Gerechtigkeit kann Wohlstand so gedeihen, dass er die Völker im Frieden verbindet. Dieser Frieden ist jedoch insbesondere angesichts der Weltwirtschaftskrise gefährdet. Viele Konservative und Neoliberale sprechen nun in Sonntagsreden auch davon. Wenn es aber um Entscheidungen für eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik geht, die weitere Katastrophen vermeiden kann, zögern sie. Mindestlöhne gegen Lohndumping – nicht nur in Deutschland, sondern auch europaweit, Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Lohngerechtigkeit für Frauen, Bekämpfung von Steueroasen, Entkoppelung der Managergehälter von kurzfristigen Spekulationsgewinnen - all das und mehr steht zur Entscheidung an. In Europa muss gelten: gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort! Einem einseitig marktliberalen Modell von Europa erteilen wir Sozialdemokraten eine klare Absage. Für uns steht in Europa nicht der Markt, sondern der Mensch im Mittelpunkt.

Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm

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Gabriele Hiller-Ohm, MdB