Gabriele Hiller-Ohm
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Frage von Peter N. •

Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Peter N. bezüglich Umwelt

Liebe Gabriele Hiller-Ohm,

in den letzten Wochen berichteten die LN mehrmals über Munitionsrückstände in der Ostsee und der Lübecker Bucht.
Über 100 000 Tonnen wurden in den letzten Kriegstagen in der Ostsee entsorgt. Vor kurzer Zeit wurde sogar ein Torpedo in Timmendorfer Strand angeschwemmt. Jetzt, 60 Jahre nach Kriegsende, so haben Experten errechnet, werden langsam die Geschosshülsen durchgerostet sein. Sprengstoff und Giftgase werden in das Meer gelangen , daß Meer, die Menschen und den Tourismus in höchstem Maße gefährden.
Was will die Bundesregierung konkret in dieser Sache unternehmen ? (bevor wirklich etwas passiert !).

Viele Grüsse vom Timmendorfer Strand
Peter Ninnemann

Gabriele Hiller-Ohm
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Ninnemann,

sie sprechen ein wichtiges Thema an, dass mich in meiner Arbeit als Lübecker Bundestagsabgeordnete ebenfalls beschäftigt. Der letzte Fund in Timmendorfer Strand, wo ein vier Meter langes Torpedoteil angespült wurde, zeigte erneut, dass die Lübecker Bucht nicht frei ist von Kampfmittelresten. Auch wenn in diesem Fall kein Sprengstoff enthalten war, kann dieses bei neuerlichen Funden nicht ausgeschlossen werden.

Klar sein muss, dass die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger höchste Priorität hat. Genauso muss unseren Urlaubsgästen garantiert werden, dass sie an unseren Stränden ohne Bedenken baden gehen können.

Auf dem Ostseegrund lagert noch eine Vielzahl von Munitionsaltlasten als Folge des Zweiten Weltkriegs. Deutschland ist beim Umgang mit den durch Verwitterung möglicherweise entstehenden Problemen auf die Zusammenarbeit mit den anderen Ostseeanrainern angewiesen, die bis auf Russland auch Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind. Die Bundesregierung engagiert sich deshalb in der Helsinki-Kommission HELCOM. Ende letzten Jahres wurde ein Ostseeaktionsplan verabschiedet, der auch die in der Ostsee enthaltenen und eingeleiteten gefährlichen Stoffe als Belastung des Ökosystems Ostsee und Gesundheitsrisiko für Menschen angeht.

Laut HELCOM-Angaben geht allerdings keine unmittelbare Gefahr von den Munitionsaltlasten aus, da ein Großteil davon in Wassertiefen zwischen 70 und 120 m, im Skagerrak sogar zwischen 200 und 700 m liege. Dort ist der nach oben gehende Stofftransport sehr gering. Die Bergung von Munitionsaltlasten aus dem Meer ist zudem mit einem hohen Risiko für Bergende, aber auch für das Ökosystem verbunden. Laut einem 2004 veröffentlichten Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen könnten durch mechanische Beschädigungen größere Mengen der Kampfstoffe freigesetzt werden. So kann zum Beispiel der früher sehr häufig verwendete Marinesprengstoff „Schießwolle 39“ aufgrund seiner Instabilität sowohl mit als auch ohne Zünder nicht geborgen, an Land gebracht und dort vernichtet werden. Hinzu kommt, dass gerade in der Ostsee die Kampfmittel inzwischen nicht selten durch Sedimentation bedeckt im Schlickboden liegen, zum Teil bis zu einem Meter tief. Dies erschwert einerseits eine Bergung, andererseits werden Lösungs- und Abbauprozesse in solchen Schichten noch einmal stark verlangsamt.

Notwendig ist hier in erster Linie die genaue Aufklärung insbesondere von Fischern über die bekannten Fundstellen und mögliche Gefährdungen.

In Küstennähe besteht aus meiner Sicht allerdings erhöhter Handlungsbedarf. Laut Grundgesetz ist die Beseitigung von Kampfmitteln und Kampfmittelresten aus der Zeit der beiden Weltkriege als Gefahrenabwehr im ordnungsrechtlichen Sinn Aufgabe der Länder (Artikel 30, 83 GG). Das gilt auch für den Umweltbereich.

Laut Landesumweltministerium gibt es derzeit keine Nachweise dafür, dass von den Kampfmitteln, die im Bereich der schleswig-holsteinischen Küstengewässer versenkt wurden, eine Umweltgefahr ausgeht.

In den schleswig-holsteinischen Küstengewässern versenkte Kampfstoffe, also zum Beispiel Giftgas-Munition, wurden schon in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder geborgen. Von dieser Art Munition ist nach Beurteilung des Landes in schleswig-holsteinischen Gewässern keine besondere Gefährdung mehr vorhanden.

Kampfmittel, das ist konventionelle Munition, wurden dagegen zum Beispiel in Form von Granaten, Bomben, Minen, Panzerfäusten und Patronen in großer Menge nach dem Zweiten Weltkrieg im Meer versenkt. Auszugehen ist von insgesamt 18 Munitionsversenkungsgebieten in den Küstengewässern von Nord- und Ostsee.
Die Gesamtmenge der Munition ist unbekannt. Erhebliche Mengen auch
solcher Munition wurden aber bereits geborgen, besonders in den
Fünfziger und Sechziger Jahren.

Im Frühjahr dieses Jahres wurde im Auftrag des Landes möglicherweise versenktes Giftgas in der Lübecker Bucht gesucht. Laut Abschlussbericht der beauftragten Firma UTM wurde an den untersuchten Stellen kein Giftgas gefunden, allerdings mehrere leere Grundminen, Fliegerbomben sowie weitere nicht genauer identifizierte Metallkörper. Im letzten Monat erkundigte ich mich bei der Stadt über den Stand der Bergungsmaßnahmen. Bürgermeister Bernd Saxe teilte mir mit, dass die ersten Metallkörper vom Kampfmittelräumdienst Schleswig-Holstein bereits geborgen wurden und die Bergung weiter fortgeführt wird. Zugleich versicherte er, dass die Lübecker Bucht in ihrer Nutzung als Badegewässer insgesamt nicht beeinträchtigt ist.

Bei frei am Meeresboden lagernder Munition besteht das von Ihnen angesprochene Problem der Korrosion und der allmählichen Schadstofffreisetzung. Grundsätzlich gilt laut Umweltministerium, dass beispielsweise dickwandige Rohrwaffenmunition nur gering oxidiert ist, dünnwandige Munition und vor allem Zünder aber stärker.

Gefährdet durch Kampfmittel sind in erster Linie Menschen in der gewerblichen Fischereiwirtschaft, zum Beispiel im Falle einer unbeabsichtigten Aufnahme beim Fischen. Aufklärungsmaßnahmen für diese Personengruppe wurden deswegen in der Vergangenheit intensiv vom Land durchgeführt. Darüber hinaus bestehen Gefährdungen für die Schifffahrt oder Sporttaucher. Deswegen sind die bekannten Munitionsversenkungsgebiete in den vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie herausgegebenen Seekarten besonders gekennzeichnet.

Das Ministerium behält sich auch zukünftige Räumungen bzw. Sprengungen von im Meer lagernden Kampfmitteln vor, zum Beispiel zur Gewährleistung der Sicherheit der Schifffahrt. Hierfür ist in Schleswig-Holstein als oberste Fachbehörde das Innenministerium zuständig.

Bislang ergaben Untersuchungen der schleswig-holsteinischen Küstengewässer keine signifikante Belastung der Meeresumwelt durch Kampfmittel, weder auf dem Meeresgrund noch in der Wassersäule. Erforderlich sind hier Monitoringprogramme zur regelmäßigen Kontrolle. Dies geschieht in Schleswig-Holstein im Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, in der der gute ökologische Zustand der Küstengewässer laufend überwacht wird.

Ich spreche mich hierbei für eine weitergehende Untersuchung der Lübecker Bucht aus, insbesondere in den küstennahen Gebieten. Deshalb begrüße ich die Einrichtung einer Arbeitsgruppe Munitionsaltlasten im Meer, die sich jetzt beim Landesumweltministerium konstituiert hat. Alle Institutionen mit relevanten Kompetenzen sind beteiligt, also neben dem Umweltministerium das Innenministerium Schleswig-Holstein (für den Katastrophenschutz), das Bundesverteidigungsministerium, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie sowie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Ein besser abgestimmtes Lagebild über die Munitionsaltlasten soll dabei erarbeitet werden.

Notwendig ist auch eine größere Verbindlichkeit der HELCOM-Beschlüsse. Mit einem Antrag an die Bundesregierung haben die Koalitionsfraktionen im letzten Jahr die Bundesregierung aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass sich die Ostsee bis zum Jahr 2015 zum saubersten und sichersten Meer Europas entwickelt. Hierfür wurde auch die Schaffung eines Netzes ökologisch repräsentativer und wertvoller Meeresschutzgebiete vorgeschlagen. Ebenso fordern wir ein verstärktes Engagement, um die Schadstoff- und Nährstoffeinträge aus Landwirtschaft, Schifffahrt und Industrie und die Überfischung in der Ostseeregion zu reduzieren. Weiterhin wurden Maßnahmen zur Verhinderung von Schiffsunglücken in der Ostsee – wie eine allgemeine Lotsenpflicht – zur Prüfung vorgeschlagen. Auch die Landstromversorgung – bei der wir mit dem Lübecker Hafen seit Sommer 2008 das Pilotprojekt vor Ort haben, für das ich mich eingesetzt habe – und die Verminderung der Schiffsemissionen sollen vorangetrieben werden.

Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm