Gabriele Hiller-Ohm
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SPD
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Frage von Jürgen B. •

Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Jürgen B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Hiller-Ohm,

augenreibend verfolge ich die Kapriolen der SPD - und ihren nahen Untergang. Bis zuletzt hatte ich die Hoffnung, die SPD würde ihre Themen und vor allem ihr Gewissen wiederfinden, Fehler benennen, analysieren und korrigieren.

Nicht nur mit Martin Schulz ist der Niedergang der SPD und die nur in einem Punkt bedeutsame Frage, die die WählerInnen und die Medien sehr bewegen wird: nämlich ob die SPD bei der nächsten Wahl im knappen zweistelligen Bereich landen wird, eingeleitet.

Die Volten zeugen von Instinktlosigkeit, Frechheit (angesichts der offenkundigen Postengeilheit), vollkommener Ideen- und Gestaltungslosigkeit, politischem und sprachlichem Unvermögen und moralischer Verwahrlosung:

„In jedem Fall Opposition“ - und das mit sehr starken Argumenten!: Der AFD nicht die Oppositionsführerschaft im Bundestag zu überlassen und eine grundlegende Analyse und Erneuerung der SPD einzuleiten. Danach: „In jedem Fall GroKo“ - und das mit außerordentlich windigen und schlechten Argumenten!

Keinen Posten unter einer Regierung Merkel! Danach: Schulz möchte einen Ministerposten.

Auch der geschäftsführende Justizminister Maas fällt durch Gesetze auf, die ich für unmöglich von einem SPD-Mitglied initiiert gehalten hätte: Das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz". Dieses wird vom UN-Beauftragten für Meinungsfreiheit, vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages und von etlichen Organisationen und Menschen (von denen die meisten von jeglichem Verdacht frei sind, "rechts" zu sein - s. netzpolitik.org) als erheblicher Eingriff in die Meinungsfreiheit und als verfassungswidrige Übergabe richterlicher Entscheidungen in Privathände gewertet.

Es ist ein Trauerspiel, dass sich niemand hätte ausdenken können. Es ist das Ende der Sozialdemokratie als gestaltende und gewissenhafte Kraft in Deutschland.

Wie stehen Sie zu einer Regierungsbeteiligung der SPD mit CDU und CSU? Wie begründen Sie dies?

Mit freundlichen Grüßen

J. B.

Gabriele Hiller-Ohm
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Anfrage, auf die ich Ihnen gerne antworte. Leider bin ich erst jetzt dazu gekommen und bitte dafür um Verständnis.

Sie haben mich gefragt, wie ich zu einer Regierungsbeteiligung der SPD mit CDU und CSU stehe.

Ehrlich gesagt, war ich froh, dass Martin Schulz am Abend der für die SPD und auch die Union verloren gegangenen Bundestagswahl am 24. September 2017 den Gang in die Opposition angekündigt hatte. Diese Entscheidung musste die SPD angesichts des Scheiterns der Sondierungen von CDU, CSU, FDP und Grünen nach monatelangen Verhandlungen im November 2017 und der Intervention des Bundespräsidenten für eine Regierungsbildung gründlich überdenken. Und zwar vor allem aus Respekt vor den Wählerinnen und Wählern. Ich bin wie meine Partei der grundsätzlichen Auffassung, Wahlergebnisse in höchstem Maß zu respektieren und es nicht vorsätzlich auf Neuwahlen ankommen zu lassen. Diese wären aber nach Lage der Dinge die Folge, wenn sich die SPD Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen entzogen hätte. Denn CDU und CSU fehlt es an gestalterischer Kraft für eine Minderheitsregierung. Das hat sich in den ergebnisoffenen Sondierungsgesprächen bestätigt, bei denen die SPD-Führung der CDU und CSU mit Nachdruck „auf den Zahn gefühlt“ hat, sich anderen Regierungsoptionen zu öffnen. Mögliche politische Optionen wie eine tolerierte Minderheitsregierung von CDU/CSU oder eine Kooperations-Koalition von SPD und Union mit festen Absprachen in einigen Politikfeldern und der Suche nach Mehrheiten im Parlament bei anderen strittigen Themen, haben CDU und CSU vehement ausgeschlossen. Als SPD haben wir daraufhin auf unserem letzten Bundesparteitag beschlossen, in Koalitionsverhandlungen einzutreten, um unsere gestalterische Kraft dafür einzubringen, das Leben vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger an vielen Stellen konkret zu verbessern.

Dabei ist es der SPD aus meiner Sicht gelungen, dem nun vorliegenden Koalitionsvertrag eine deutliche sozialdemokratische Handschrift zu geben. Gerade im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik haben wir mit der Einschränkung der sachgrundlosen Befristung, einer Grundrente über Hartz-IV-Niveau und einem sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose eine Menge Verbesserungen erreichen können. Auch in der Gesundheitspolitik haben wir Fortschritte durchgesetzt, wie die Angleichung der Beitragshöhe von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der gesetzlichen Krankenversicherung, von der Millionen von Beschäftigten profitieren würden. Ein besonderes Anliegen ist mir die Modernisierung unserer Schulen und Kitas. Kinder und Jugendliche brauchen die besten Startchancen. Als SPD ist es uns gelungen, insgesamt 14,5 Milliarden Euro dafür im Koalitionsvertrag zu verankern – das wäre das größte Bildungspaket aller Zeiten, was über 400 Millionen Euro zusätzlich für Schleswig-Holstein bringen würde. Vom Ausbau der Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter können viele arbeitende Eltern – gerade Allleinerziehende – profitieren. Auch die verstärkte Förderung des sozialen Wohnungsbaus sowie eine Verdreifachung der Bundesmittel für den ÖPNV sind sozialdemokratische Erfolge im Koalitionsvertrag, die für viele Bürgerinnen und Bürger – auch in Lübeck und der Region – Verbesserungen bringen würden.

Ich finde es gut, dass wir als Partei gemeinsam unseren weiteren Weg in allen Gliederungen intensiv diskutieren und am Ende unsere Mitglieder nach Abwägung aller Argumente die Entscheidung treffen, ob wir uns an einer Regierung beteiligen. Richtig finde ich den Verzicht von Martin Schulz, ein Regierungsamt in einer möglichen neuen Koalition anzustreben.

Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu dem von Ihnen angesprochenen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) machen: Ich finde, Justizminister Heiko Maas hat Recht, wenn er sagt: „Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief, um Straftaten zu begehen“. Die Meinungsfreiheit ist und bleibt für die SPD ein hohes Rechtsgut. Rassistische Hetze oder sonstige strafbare Äußerungen dürfen aber weder online noch offline verbreitet werden. Mit dem NetzDG soll geregelt werden, was in analogen Medien selbstverständlich ist: Die Haftung der Plattformen. So wie eine Zeitung Leserbriefe auf strafbare Inhalte überprüft, so müssen auch soziale Netzwerke auf Beschwerden von Nutzern hin Inhalte auf strafrechtliche Relevanz prüfen. Das Gesetz ist die Folge davon, dass die Anbieter der sozialen Netzwerke ihrer Verantwortung bislang nicht gerecht wurden. Das NetzDG an sich schränkt nicht die Meinungsfreiheit ein. Es muss aber aus meiner Sicht genau beobachtet werden, wie die Umsetzung in der Praxis funktioniert. Verhindert werden muss in jedem Fall, dass eine Löschung eigentlich legaler Beiträge stattfindet.

Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm