Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Günther P. bezüglich Recht
Gedanken zum ALG II
Werfen Sie doch mal einen Blick auf das gegenwärtige Leistungsniveau des Arbeitslosengeldes II (weiterführend Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband DPWV 2004): Vom Regelsatz in Höhe von 345 Euro (Westdeutschland) sind für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren 132,71 Euro vorgesehen, was etwa 4,40 Euro pro Tag entspricht. Kinder bis zum Alter von 13 Jahren erhalten demgegenüber einen um 40 Prozent reduzierten Regelsatz in Höhe von 207 Euro. Rechnet man dies auf den Anteil für Lebensmittel am Tag hoch, kommt man auf etwa 2,66 Euro. Für die Nutzung von Bahn, U-Bahn, Auto, Taxi usw. sind lediglich 18,11 Euro pro Monat veranschlagt. Das in Berlin geplante Sozialticket soll dagegen allein schon 32 Euro kosten. Dafür kann man nach der Pauschalierung einmaliger Leistungen mit monatlich 0,74 Euro auf ein Fahrrad sparen, für dessen Reparatur etwa 0,35 Euro im Regelsatz enthalten sind. Für die Kommunikation mit Telefon, Telefax und Internet stehen inkl. der Grundgebühren 17,85 Euro zur Verfügung. Dies reicht immerhin für die Grundgebühr eines Telekom-Anschlusses in Höhe von 15,66 Euro, an dessen Höhe auch der bestehende Sozialtarif nichts ändert, da er in Form einer Gutschrift von Telefoneinheiten gewährt wird. Freizeitveranstaltungen wie Theater, Kino und Sportveranstaltungen können sich Arbeitslosengeld II-Empfänger 4,63 Euro kosten lassen, Kinder erhalten dafür 2,78 Euro monatlich. Für Kneipengänge und Essengehen sind 10,06 Euro im Regelsatz enthalten, für Bücher weitere 5,98 Euro. Die Liste ließe sich fortsetzen. Wer dies für ausreichend hält, der hat den Selbstversuch noch nicht gewagt.
Leidtragende sind vor allem Kinder, die in besonderem Maße unter Armut leiden. Ihre Regelsätze bemessen sich in Prozentangaben von den Werten des Eckregelsatzes, die zuvor genannt wurden. Kinder im Alter von 0 bis 13 Jahren erhalten 60 Prozent des Eckregelsatzes, Kinder von 14 bis 17 Jahren 80 Prozent des Eckregelsatzes. Entsprechend niedriger sind natürlich auch die Leistungen, beispielsweise für Bücher und andere Schulsachen.
Man muss nun nicht besonders viel Phantasie aufbringen, um sich auszumalen, wie sich die neuen Leistungsregelungen zum Beispiel zum Schuljahresbeginn auswirken. Das Kind braucht dann erst mal eine Fahrkarte für den Weg zur Schule. Hinzu kommen in der Regel die Kosten für Schulbücher und für andere notwendige Lernmittel, zum Beispiel den häufig schon ab der 7. Klasse geforderten grafikfähigen Taschenrechner, der allein leicht 80 Euro kostet. Auch für Schulbücher wird leicht ein dreistelliger Euro-Betrag fällig. Beiträge zur Klassenkasse sind da noch gar nicht enthalten, ganz zu schweigen von dem Euro für einen täglichen Kakao in der Schulcafeteria. All dies muss jedoch aus dem Sozialgeld für das Kind – im Fall eines zwölfjährigen Kindes in Ostdeutschland sind das z. B. 199 Euro – bezahlt werden. Im Gegensatz zum früheren Sozialhilferecht ist die Gewährung von einmaligen Leistungen auf Antrag aber heute weitgehend ausgeschlossen, weil dafür bereits eine Pauschale im Regelsatz enthalten ist.
Sind Sie bereit, nur ein Jahr lang mit monatlich 345,00 Euro zu leben?
Kann es sein, dass es auf der Strasse brodelt, dass die Menschen vor Wut überschäumen?
Viele Grüße
Günther Perlick
Sehr geehrter Herr Perlick,
lassen Sie mich zunächst ein paar allgemeine Worte zu unseren Reformen am Arbeitsmarkt sagen, bevor ich auf Ihre konkrete Frage antworte.
Mit unseren großen Arbeitsmarktreformen wollen wir neue Wege aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung eröffnen. Der eingeleitete grundlegende Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BA) zu einem modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt wird Ende 2005 abgeschlossen sein. Die BA wird dann den Arbeitssuchenden die bestmögliche Dienstleistung zur Verfügung stellen. Arbeitssuchende und offene Stellen werden künftig sehr viel schneller zusammengebracht. Wir wollen, dass keine Jugendliche und kein Jugendlicher sein Arbeitsleben mit Arbeitslosigkeit beginnen muss. Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass die Arbeitsvermittler besonders viel Zeit und Mühe auf Jugendliche verwenden und sich künftig um nur noch 75 jugendliche Erwerbslose intensiv kümmern müssen, statt wie bisher um 400. Unser Ziel ist: kein junger Mensch unter 25 Jahren soll länger als 3 Monate ohne Arbeit, Ausbildung oder weiterführende Beschäftigung sein.
Mit der von Ihnen angesprochenen Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV) haben wir eine Grundsicherung für alle arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen eingeführt. Dadurch ist die Zahl der Arbeitslosen zwar statistisch um einige Hunderttausende gestiegen. Aber wir haben so über eine Million erwerbsfähige Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger aus der Sozialhilfe herausgeholt. Sie erhalten jetzt endlich das gleiche umfassende Angebot an Förderung und Jobvermittlung wie alle anderen Arbeitssuchenden. Mit der Reform bieten wir zudem Langzeitarbeitslosen neue verbesserte Chancen, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Kein Arbeitsuchender muss mehr zum Sozialamt. Auch die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger erhalten jetzt das neue Arbeitslosengeld II. Ebenso wie Arbeitslose werden sie von den neuen Job-Centern betreut,die auch ihre Beiträge zur Kranken-,Pflege- und Rentenversicherung zahlen. Jeder Arbeitsuchende wir in den neuen Job-Centern von einem persönlichen Berater individuell unterstützt.
Sie kritisieren in Ihrer Frage vor allem die Höhe des Arbeitslosengeldes II. Um es vorweg zu sagen: Als Sozialdemokratin wünsche ich mir natürlich die bestmögliche soziale Absicherung des Einzelnen, es war ja schließlich die SPD, die diese Errungenschaften in der Geschichte erst erkämpft hat. Die SPD steht auch heute für dieses Ziel. Wenn man sich aber die aktuelle Lage anschaut, so ist es unverantwortlich, eine starke Erhöhung des ALG II in Aussicht zu stellen, wie dies beispielsweise die PDS tut, da dies schlichtweg nicht finanzierbar ist!
Die Höhe des ALG II entspricht in der Regel dem bisherigen Sozialhilfesatz (345 Euro im Westen, 331 im Osten) und wird ergänzt durch Zuschüsse zu Wohnung, Heizung und anderen Zusatzausgaben. Es gibt vor allem zwei Gründe, die hinter dieser Höhe stehen. Da ist natürlich zum einen der finanzielle Aspekt. Die öffentlichen Haushalte sind verschuldet und selbst mit einer Grundsicherung in dieser Höhe schreitet die Verschuldung voran, da enorme Kosten für die Sozialkassen entstehen. Der zweite Hintergrund ist das so genannte "Lohnabstandsgebot". Es gibt heute schon Beschwerden darüber, dass es sich unter bestimmten Umständen eher lohnt, ALG II zu beziehen, als zu arbeiten. Die Grundsicherung kann also nicht höher sein, als der Lohn in den untersten Lohngruppen, da sie sonst für viele den Anreiz, arbeiten zu gehen, zunichte macht.
Vielleicht wird sich dieses Problem aber ein wenig entspannen, wenn wir es schaffen, durch Einführung eines Mindestlohnes, die unteren Löhne anzuheben.
Sie wollten wissen, ob ich bereit bin, von ALG II zu leben. Natürlich möchte ich nicht von ALG II leben und ich wünsche das auch niemandem.
Wenn ich aber müsste, wäre ich froh, überhaupt diese Grundsicherung zu haben. Denn es handelt sich bei ALG II ja nicht um eine Art Gehalt, sondern um einen Beitrag zur Existenzsicherung, der hoffentlich nur kurzfristig in Anspruch genommen werden muss. Es ist deshalb das zentrale Ziel der so genannten Hartz IV-Reform gleichzeitig die schnelle Vermittlung in Arbeit zu verbessern. Auch mit Hilfe der zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten kann man seine Grundsicherung aufbessern. Es ist klar, dass die Reformen noch Zeit brauchen, bis sie richtig wirken. Und es werden weitere Reformen folgen müssen, um möglichst vielen Menschen wieder Arbeit zu geben.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm