Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Heike R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Hiller-Ohm,
Sie wissen als MdB sicher genau, dass in Deutschland vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind.
Ich lese:
In Kiel sollen Polizisten die Anweisung erhalten haben, kleinere Delikte von Migranten weniger intensiv zu verfolgen. Der Aufwand sei zu hoch, die Erfolgsaussicht zu gering, hieß es in der Leitlinie.
quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/article151569369/Polizei-verzichtet-bei-Fluechtlingen-auf-Ermittlungen.html
1. Existiert solch eine Leitlinie?
2. Falls ja, konkret welcher Verantwortliche hat damit geltendes Recht gebrochen?
3. Falls ja, wie wird dem Rechtsbrecher verfahren, der diese Leitlinie autorisiert hat, ist bereits Anzeige erstattet?
4. Falls ja, weshalb kann ich nicht so verfaren wo doch vor dem GG alle gleich sind? Gilt der gesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz, oder werden hier deutsche Staatsangehörige diskriminiert, wenn sie einseitig verfolgt werden. Gäste (rechtbrechende Flüchtlinge)aber nicht;
5. Ist eine ehrliche und eindeutige Beantwortung meiner Fragen Staatsgeheimnis?
6. Können Sie sich ansatzweise vorstellen, dass derartige Pressemeldungen zu weiterer Politikverdossenheit und "Ekel" führen?
Heike Rogall
Sehr geehrte Frau Rogall,
Sie haben vollkommen Recht: Vor dem Gesetz sind wir in Deutschland alle gleich. Das ist in Artikel 3 des Grundgesetzes festgehalten. In Artikel 3(1) heißt es: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Ich möchte Ihnen außerdem Artikel 3(3) nahelegen, in dem festgehalten ist: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Ich lese diese Worte immer wieder gerne und finde, dass sie gerade in unserer heutigen Zeit nicht häufig genug erwähnt werden können.
Nun zu Ihren Fragen: Ich möchte gerne mit der fünften Frage beginnen und anschließend Ihre Fragen der Reihe nach durchgehen.
5. Ist eine ehrliche und eindeutige Beantwortung meiner Fragen Staatsgeheimnis?
Nein, selbstverständlich nicht. Wir sind auf allen Ebenen außerordentlich bemüht, unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zu informieren. Außerdem haben Sie jederzeit die Möglichkeit Ihre Abgeordneten zu kontaktieren, falls Sie über gewisse Themen mehr Informationen erhalten möchten. Die Antworten auf die Fragen 1-4 gehen alle aus der öffentlich einsehbaren Niederschrift der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtags vom 3. Februar 2016 hervor. Sie finden alle Informationen ab Seite 7 des folgenden Dokumentes: http://www.landtag.ltsh.de/export/sites/landtagsh/infothek/wahl18/aussch/iur/niederschrift/2016/18-121_02-16.pdf
Dennoch möchte ich Ihre Fragen auch noch persönlich beantworten:
1. Existiert solch eine Leitlinie?
Nein. Eine solche Leitlinie hat nicht existiert. Es ist für kein einziges Delikt die Strafverfolgung ausgesetzt worden. Richtig ist, dass es eine Vereinbarung am 7. Oktober 2015 zwischen der Staatsanwaltschaft Kiel und der Polizeidirektion Kiel gab, bei Bagatelldelikten keine Erkennungsdienstliche Behandlung zur Identitätsfeststellung, für die die Polizei auch nur 12 Stunden Zeit hat, unternommen wird. Strafanzeige wurde in jedem Fall gestellt. Es ging also nicht um das "ob" sondern um das "wie" der Strafverfolgung.
Darüber hinaus ist die Vereinbarung faktisch kaum zur Anwendung gekommen. Konkret ging es um drei Fälle: Einen Ladendiebstahl im Wert von unter 30 Euro, einen Handydiebstahl von Flüchtlingen untereinander und um zwei in einem Rucksack eingenähte Patronen. In allen Fällen wurden Strafanzeigen gestellt, Vernehmungen durchgeführt und es wurde belehrt.
Der Generalstaatsanwalt hat diese Praxis später als nicht rechtsstaatskonform bewertet. Leider wurde diese Bewertung nicht unmittelbar von der Staatsanwaltschaft Kiel an die Polizeidirektion Kiel weitergeleitet, so dass sie gut zwei Monate in Kraft war.
2. Falls ja, konkret welcher Verantwortliche hat damit geltendes Recht gebrochen?
Geltendes Recht wurde nicht gebrochen, da es sich hier um eine Verfahrensvereinbarung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei handelte. Dieses war nach Auffassung des Generalstaatsanwalts nicht mit dem geltenden Recht vereinbar. Um zum "Rechtsbrecher" zu werden, gehört allerdings das vorsätzliche Handeln dazu und nicht eine irrtümliche Rechtseinschätzung. Auch Verwaltungsgerichte heben häufiger Verwaltungsakte wegen Unvereinbarkeit mit dem geltenden Recht auf. Das macht den Beamten, der für den Verwaltungsakt verantwortlich ist aber noch lange nicht zum Rechtsbrecher im strafrechtlichen Sinn.
3. Falls ja, wie wird mit dem Rechtsbrecher verfahren, der diese Leitlinie autorisiert hat? Ist bereits Anzeige erstattet?
Es liegt von keinem Beteiligten strafbares Handeln vor. Anzeigen sind mir nicht bekannt, da müssten Sie in der Justiz Schleswig-Holstein nachfragen.
4. Falls ja, weshalb kann ich nicht so verfahren wo doch vor dem GG alle gleich sind? Gilt der gesetzliche Gleichbehandlungsgrundsatz, oder werden hier deutsche Staatsangehörige diskriminiert, wenn sie einseitig verfolgt werden; Gäste (rechtbrechende Flüchtlinge) aber nicht?
Ihre Frage geht von falschen Vorrausetzungen aus. Wie oben erläutert, wurden alle Straftaten verfolgt, es hat nur in drei Fällen keine Erkennungsdienstliche Behandlung stattgefunden.
6. Können Sie sich ansatzweise vorstellen, dass derartige Pressemeldungen zu weiterer Politikverdrossenheit und "Ekel" führen?
Einige Medienberichte haben den Eindruck erweckt, als ob die Strafverfolgung von Flüchtlingen ausgesetzt worden sei und als ob es sich um eine große Zahl von Fällen handeln würde. So zum Beispiel auch der mittlerweile zehn Monate alte Artikel, den Sie mir empfohlen haben. Die absolut verfälschten Darstellungen in den sozialen Netzwerken haben ein völlig verzerrtes Bild erzeugt. Diese Art der Berichterstattung und der aus dem Zusammenhang gerissenen Wiederholungen ist sicher geeignet, das Vertrauen in die Politik zu vermindern, deshalb werden diese ja auch gezielt, noch fast ein Jahr später verbreitet. Wer auch immer Ihnen die Quelle zur Verfügung gestellt hat, hat meiner Ansicht nach bewusst weggelassen, dass sich der Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags bereits Anfang Februar mit diesem Thema beschäftigt hat (siehe oben).
Mir ist es wichtig, am Ende noch folgende Fakten festzuhalten:
1. Es war gar kein Parlamentarier oder Regierungsmitglied in irgendeiner Weise an dieser Vereinbarung beteiligt. Es eignet sich also nicht zur Politikerbeschimpfung. Der einzige Grund Ekel zu empfinden, ist meines Erachtens der, dass in den sozialen Netzwerken gezielt Unwahrheiten verbreitet werden, die nicht hinterfragt werden. Das ärgert mich ebenfalls maßlos.
2. Auch die genannte Vereinbarung (2 Diebstähle und ein unerlaubter Patronenbesitz) eignet sich nicht zur Aufregung. Da mache ich mir mehr Sorgen um sogenannte Reichsbürger, die Waffen in ihren Kellner lagern. An diesem Beispiel wird doch sehr schön deutlich, wie durch die Verbreitung solcher Fehlinformationen versucht wird, Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen.
3. Zeigt der Vorgang, dass unser Rechtsstaat funktioniert, da der Generalstaatsanwalt lange vor dem Bekanntwerden der Vereinbarung, diese als nicht rechtskonform eingestuft hat.
Sehr geehrte Frau Rogall, ich denke, Sie haben eine ausführliche und informative Antwort auf jede Ihrer Fragen erhalten. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie meine Antworten auf Ihre Fragen mit dem gleichen Engagement verbreiten, wie Sie sich über die Fehlinformationen aufgeregt haben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Gabriele Hiller-Ohm