Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Christian S.
Welche Gründe führten zu Ihrer Ablehung des Kriegseinsatzes?
Hat es in der Fraktion Druck gegeben oder wird das Verhalten einer Einzelnen angesichts der großen Mehrheit großzügig akzeptiert?
Sehr geehrter Herr Sternberg,
vielen Dank, dass Sie sich mit Ihrer Anfrage zum Bundeswehreinsatz in Syrien an mich gewandt haben.
Für mich ist die Frage nach Bundeswehreinsätzen stets eine Gewissensentscheidung, da ich Krieg und Gewalt grundsätzlich nicht als Möglichkeit zur Lösung von Konflikten sehe.
Im Fall des Bundeswehreinsatzes in Syrien kommt erschwerend hinzu, dass dieser völkerrechtlich nicht durch ein UN-Mandat abgesichert ist. Ich habe dem Einsatz aus folgenden Gründen nicht zustimmen können:
1.) Terrorismus, wie ihn zum Beispiel Terrororganisationen wie der „Islamischer Staat“, „Al-Qaida“ oder nahestehende Organisationen und Netzwerke zeigen, ist eine besonders verachtenswerte Form von Kriminalität. So werten auch die UN-Resolutionen 2170, 2199 und 2249 solche Attacken als kriminelle Akte – nicht als militärische. Ob das Militär das richtige Organ ist, um dagegen vorzugehen, wage ich zu bezweifeln.
Artikel 51 der UN-Charta enthält das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs. Darauf berufen sich jetzt die Befürworterinnen und Befürworter einer militärischen Intervention. Mir kommen dabei aber Zweifel. War die Intensität der Attentate in Paris, Beirut, etc. groß genug, um sich auf das Recht der Selbstverteidigung zu beziehen? Und falls ja: Können sich Staaten dann darauf berufen, wenn sie sich gegen Nicht-Staaten oder Private verteidigen wollen?
Ich habe Zweifel, ob wir uns politisch auf Artikel 51 der UN-Charta berufen können. Klarheit würde nur ein UN-Mandat bringen.
Von Artikel 51 der UN-Charta sind auch Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags und Artikel 24, Absatz 2 des Grundgesetzes abhängig.
2.) Grundsätzlich vermisse ich ein schlüssiges Gesamtkonzept. Man versucht jetzt, möglichst schnell auf die Anschläge zu reagieren, insbesondere auf die Anschläge in Paris. Wenn wir jetzt mit Aufklärungsflugzeugen über Syrien und dem Irak fliegen und Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer, das Rote Meer, den Persischen Golf und angrenzende Meere schicken, ist das Problem nicht gelöst. Und wenn Luftangriffe auf Syrien und den Irak geflogen werden lösen wir auch nichts, sondern verschärfen wahrscheinlich noch die Situation. Es ist unklar, welches Ziel am Ende des Einsatzes steht. Es ist ebenfalls unklar, bis wann ein solches Ziel erreicht werden könnte. Somit erscheint der Einsatz übereilt und unüberlegt.
3.) Die Attentäter von Paris stammten mutmaßlich aus Frankreich, Belgien oder anderen europäischen Staaten. Es wird mit dem Einsatz nicht in den Blick genommen, dass also offensichtlich überwiegend Menschen aus dem eigenen Land diesen Terror verursachen. Eine entscheidende und überzeugende Antwort wäre also eine soziale und bildungsfördernde Initiative für junge Menschen in den jeweiligen Brennpunkten der europäischen Länder. Nur so kann durch Integration verhindert werden, dass sich Menschen Terror-Organisationen zuwenden. Ebenso ist bis heute nicht geklärt, ob die Terroranschläge von Paris tatsächlich von Syrien aus geplant und koordiniert wurden. Entsprechende Beweise konnten nicht vorgelegt werden.
Darüber hinaus ist die Bekämpfung von Kriminellen Aufgabe der Ermittlungsbehörden, also von Polizei und Justiz.
4.) Die Kriege in Afghanistan und im Irak, die ebenfalls mit dem Kampf gegen Terror begründet wurden, haben gezeigt, dass es mit einem militärischen Einsatz keine Perspektive für einen geordneten Friedensprozess gibt, sondern die Regionen durch das vorschnelle militärische Eingreifen Gefahr laufen, weiter destabilisiert zu werden.
5.) Die Konfliktursachen im Nahen Osten werden ebenso wenig bearbeitet, wie die Rekrutierungsmöglichkeiten für die menschenverachtende Ideologie, der unter anderen auch der sog. IS anhängt, in Europa. Auch hierfür fehlt es einer schlüssigen Analyse und Strategie.
Zu Ihrer Frage, ob Druck in meiner Fraktion ausgeübt wurde oder ob abweichendes Verhalten „großzügig akzeptiert“ wird:
Abweichendes Verhalten ist immer ein Problem, für die Fraktion und auch für einen selbst. Denn die Entscheidung der Fraktion ist ja nach demokratischen Regeln erfolgt und es gab in diesem Fall eine sehr deutliche Mehrheit, die den Einsatz in Syrien für richtig empfunden hat. Direkter Druck auf mich - zum Beispiel durch unseren Fraktionsvorsitzenden - ist nicht erfolgt. Dies ist eigentlich auch nicht nötig, denn man setzt sich durch abweichendes Abstimmungsverhalten in der Regel selbst unter starken Druck, da man sich ja ein Stück weit unsolidarisch verhält - und wer will das schon.
Wir entscheiden im Bundestag, nach unserem Gewissen. Natürlich sind wir uns in der SPD-Fraktion in den allermeisten Fällen einig. Aber auch mal anderer Meinung zu sein, muss in Ordnung sein.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm