Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Ernst P. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Hiller-Ohm,
Sie und Ihre Parteikollegen weisen im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld immer wieder gern darauf hin, dass die Nachfrage an Krippenplätzen durch das vorhandene Angebot noch nicht gedeckt wird. Ich möchte heute einmal diese Zahlen hinterfragen.
Sicher ist richtig, dass viele Eltern sich für ihr Kind heutzutage einen Krippenplatz wünschen. Mir stellt sich aber die Frage, wieviele das tun, weil sie unbedingt arbeiten WOLLEN, und wie viele es tun, weil sie arbeiten MÜSSEN, weil ansonsten das Familieneinkommen nicht ausreicht. Nicht jeder sieht allein in der Erwerbsarbeit den Sinn des Lebens; ich kenne mehrere Eltern, auch explizit Mütter, die ihr Kind eigentlich liebend gern in den ersten drei Jahren selbst betreuen würden. Nur können sie es meistens aber nicht, weil heute ein Einkommen nicht mehr ausreicht, um die Familie zu ernähren.
Nun habe ich aber aus verschiedenen Quellen gehört, dass ein Krippenplatz von Bund, Ländern und Gemeinden im Monat mit 800 bis 1000 Euro (!) subventioniert wird. Wenn das so ist, warum überlassen Sie dann nicht den Eltern die Entscheidung, ob sie dieses Geld (und nicht nur 150 Euro Betreuungsgeld) als "Erziehungsgehalt" ausgezahlt bekommen möchten, um einem Elternteil zu ermöglichen, sich in Vollzeit um den Nachwuchs zu kümmern, oder ob sie dafür einen staatlich subventionierten Krippenplatz nutzen möchten? Wäre diese freie Wahlmöglichkeit nicht die gerechteste Lösung?
Weiterhin bezeichnen Sie das Betreuungsgeld (z.B. in HL-Live) als “Bildungs-Fernhalteprämie”. Implizieren Sie mit dieser Aussage, dass unsere Generation, in der es (zumindest im Westen) ganz selbstverständlich war, dass Kinder unter drei Jahren zuhause betreut wurden, ungebildet ist?
Mit freundlichen Grüßen
E. Parheim
Sehr geehrter Herr Parheim,
Erwerbsarbeit ist für alle Menschen wichtig, denn sie sorgt für den Lebensunterhalt und die soziale Absicherung ̶ auch im Alter.
Sowohl mit Blick auf die Alterssicherung von Frauen als auch auf die angestrebte Gleichstellung von Mann und Frau hat sich die SPD gegen das Betreuungsgeld ausgesprochen. Es ist falsch, Müttern einen Anreiz zu setzen, länger als ein Jahr dem Arbeitsmarkt fernzubleiben. Die Frau vornehmlich in der Rolle als Hausfrau und Mutter mit einem alleinverdienenden Mann an ihrer Seite zu sehen, ist nicht mehr zeitgemäß.
Hinzu kommt, dass besonders Frauen oft nur eine sehr kleine Rente erhalten, da sie wegen der Betreuung ihrer Kinder gar nicht oder nur in Teilzeit arbeiten können. Nicht selten ist der Berufseinstieg nach einer Kinderpause schwierig und der Aufstieg in Führungspositionen fast unmöglich.
Trotzdem, und da haben Sie vollkommen recht, wünschen sich viele Frauen und Männer neben ihrem Berufsleben mehr Zeit, die sie mit ihren Kindern verbringen können; das belegen Umfragen deutlich. Daher wurde im November diesen Jahres das neue Elterngeld Plus beschlossen, mit dem Mütter und Väter ab Juli 2015, dem Beginn der neuen Regelung, ihre Elternzeit besser, weil flexibler nach ihren persönlichen Bedürfnissen einteilen können.
So wird die Elternzeit künftig ausgeweitet – auf 24 statt wie bisher auf 12 Monate. Die Elternzeit kann nun zwischen dem dritten und dem achten Geburtstag des Kindes genommen werden und die Monate können in drei, statt in zwei Abschnitte aufgeteilt werden. Hinzu kommt der neue Partnerschaftsmodus, der greift, wenn beide Partner mindestens vier Monate lang pro Woche 25 bis 30 Stunden parallel arbeiten. Sie erhalten dann vier Monate Elterngeld Plus zusätzlich und profitieren in dem Fall von 28 Monaten Elternzeit. Auch Alleinerziehende gewinnen Partnerschaftsbonusmonate, wenn sie ein gemeinsames Sorgerecht mit ihrem Partner vereinbart haben.
Das Elterngeld Plus ist ein wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer paritätisch geteilten Familienarbeitszeit in Form einer 32-Stunden Woche, die von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig Anfang des Jahres in die politische Diskussion eingebracht wurde. Leider ist die Akzeptanz für diese Idee noch nicht groß, aber wir arbeiten weiter daran, dass das Modell der Familienarbeitszeit verwirklicht wird.
Ein weiterer Grund für meine Ablehnung des Betreuungsgeldes liegt in den Vorzügen von Krippen und Kindergärten. Kinder lernen gemeinsam mit anderen Kindern, sie entwickeln dabei spielerisch ihre sprachlichen und sozialen Fähigkeiten in der Gruppe und schließen dort erste soziale Kontakte. Bitte denken Sie hierbei auch an die Chancen auf Entwicklung und Förderung, die die Kinder in einer Kita bekommen. Allein die Auswahl von unterschiedlichen didaktischen Lern- und Spielmaterialien, die gezielte Anleitung und Beschäftigungen zum Ausbilden motorischer, musischer, logischer und kreativer Fähigkeiten sowie die räumlichen Möglichkeiten zum Bewegen und Toben kann zumindest nicht jedes Elternhaus bereitstellen.
Es ist bekannt, dass die Förderung vieler Fähigkeiten gerade im Kleinkindalter den Grundstein für spätere Leistungen in der Schule legt und nicht wieder aufgeholt werden kann.
Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Eltern einer Generation ungebildet und nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu fördern. Nur geht die Förderung in Krippen und Kitas in vielen – sicher nicht allen - Fällen über das hinaus, was Eltern leisten können.
Zudem ist es kein Geheimnis, dass eher Menschen, die sozial benachteiligt sind und teilweise aus Familien mit Migrationshintergrund stammen, aus finanziellen Gründen zum Betreuungsgeld greifen. Das belegen Studien, zum Beispiel von der Technischen Universität Dortmund und vom Deutschen Jugendinstitut. Dabei würden gerade diese Kinder vom Besuch einer Kita besonders profitieren, weil sie hier vor allem sprachlich eine bessere Förderung erhalten würden.
Der Bund investiert derzeit in den Kitaausbau, um die Qualität der Kinderbetreuung weiter zu steigern. Das wurde im Übrigen auch mit der Union im Koalitionsvertrag festgeschrieben. So werden mit Bundesmitteln in Höhe von 550 Millionen Euro ab 2015 weitere Kita-Plätze geschaffen. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Berücksichtigung der differenzierten Elternbedarfe und auf die gesunde Verpflegung gelegt. Weitere 400 Millionen Euro werden für die Sprachförderung eingesetzt. Das birgt viele Chancen für Kinder, die im Elternhaus eben nicht die nötigen Chancen auf eine optimale Förderung erhalten.
In Bayern hat man beim Vergleichen aktueller Zahlen ( http://www.sueddeutsche.de/bayern/zahlen-aus-bayern-familien-kassieren-offenbar-beim-betreuungsgeld-ab-1.2239173 ) festgestellt, dass viele Familien offenbar beides in Anspruch nehmen: Betreuungsgeld und einen Kitaplatz. So gehen 52 Prozent der bayerischen Kleinkinder in die Krippe, zugleich zahlt der Freistaat für 73 Prozent Betreuungsgeld. Das bedeutet, dass es Eltern gibt, die Betreuungsgeld bekommen, aber trotzdem ihr Kind einen Kindergarten besuchen lassen. Offenbar sind diese Eltern von der Betreuungsqualität in einem Kindergarten so überzeugt, dass auch das Betreuungsgeld sie nicht davon abhält.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm