Frage an Fritz Felgentreu von Sabine K. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Dr. Felgentreu,
als jahrzehntelange SPD-Wählerin (seit 1972, als ich das erste Mal wählen durfte und dieses Recht durchaus als staatsbürgerlichen Auftrag wahrnahm, so sehr, dass ich davon träumte, der RCDS wolle mir meine Stimme abkaufen - das kann sich heute wahrscheinlich keiner vorstellen),
als langjährige SPD-Wählerin also frage ich Sie:
Warum verspricht die SPD (nicht zum ersten Mal), sich für mehr Bildung einzusetzen?
Die SPD ist seit elf Jahren als führende oder beteiligte Partei
an der Regierung. In dieser Zeit hätte sie für dieses Ziel viel mehr tun können.
Aber nein, es gibt ja Hindernisse:
Der Förderalismus, der den Ländern ausdrücklich die Hoheit über die Bildung zubilligt, und so den Bund von seiner Verantwortung exkulpiert.
Ist es da nicht billig, im Wahlkampf Forderungen zu stellen, die von einer Bundespartei niemals eingelöst werden können?
Bitte erklären Sie mir diesen Widerspruch.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Käufer
Sehr geehrte Frau Käufer,
ich danke Ihnen für Ihre Frage vom 22. September 2009.
Auch wenn Bildungs- bzw. Schulpolitik in unserem föderativen System Ländersache ist, hat der Bund einen begrenzten Gestaltungsspielraum, durch Gesetze in bestimmten Bereichen Einfluss zu nehmen (z.B. Ausbau der Kita-Plätze).
Die Große Koalition hat Mitte 2006 die Föderalismusreform I beschlossen. Beim Bund verbleiben im Rahmen derer lediglich die Kompetenzen zur Regelung der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse - von der die Länder abweichen können - sowie jene für den betrieblichen Teil der beruflichen Bildung im dualen System. Die bisherige Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau geht ebenso in die Autonomie der Länder über wie die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung. Damit zog sich der Bund aus der Finanzierung des Hochschulbaus und aus den direkten Finanzhilfen im Schulbereich zurück.
Diese Entscheidung stieß auch innerhalb weiter Teile der SPD-Fraktion auf - zum Teil scharfe - Kritik. Wäre ich an der Entscheidung des Bundestages beteiligt gewesen, hätte ich mich klar gegen den Rückzug des Bundes aus der Finanzierungshilfe und den direkten Finanzhilfen im Schulbereich ausgesprochen. Das Kooperationsverbot ist falsch, schädlich und muss wieder weg. Auch die 16 unterschiedlichen Schulgesetze sind ein großes Problem für Deutschlands Schulkinder. Das ist weltweit einmalig und wird dem internationalen Wettbewerb um Köpfe nicht gerecht. Außerdem läuft ein 16-Länder-Bildungssystem der Chancengleichheit zuwider. Da oben Genanntes jedoch nur ein Bestandteil der Föderalismusreform I war und die Regierungsparteien untereinander Kompromisse eingehen müssen, um Entscheidungen herbeiführen zu können, wurde die Föderalismusreform I am Ende beschlossen. Die SPD regiert im Bund eben leider nicht allein.
Dass der SPD trotz dieser Umstände eine gute und kostenlose Bildung für alle wichtig ist, ist nicht nur eine hohle Phrase. Die SPD hat in ihrer Regierungsverantwortung von 1998-2005 unter Kanzler Gerhard Schröder, als Regierungspartner in der Großen Koalition seit 2005 und mit ihren Ministerpräsidenten in den Bundesländern viel Gutes auf den Weg gebracht.
In den Bundesländern, in denen die SPD regiert, gibt es keine Studiengebühren. Wo die SPD regiert, werden die Kita-Gebühren abgeschafft. Die Regierung von Kurt Beck hat Rheinland-Pfalz zum ersten Bundesland mit kostenlosen Kindergarten-Plätzen für drei- bis sechsjährige Kinder gemacht. Und in Berlin hat der Senat von Klaus Wowereit dafür gesorgt, dass die Eltern seit 2007 nicht mehr für das letzte Kitajahr vor Schulbeginn zahlen müssen. Die beiden anderen Jahre folgen 2010 und 2011.
In Berlin arbeitet der Senat zur Zeit zudem an der Umsetzung der Schulstrukturreform. Ab dem Schuljahr 2010/2011 wird es das dreigliedrige Schulsystem in Berlin nicht mehr geben. Unsere Schülerinnen und Schüler werden zukünftig auf eine integrierte Stadtteilschule oder auf ein Gymnasium gehen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass jede Schülerin und jeder Schüler das Recht auf einen Gymnasiumsplatz haben wird. Durch Abschaffung des dreigliedrigen Systems sorgt die SPD für mehr Chancengerechtigkeit und ein durchlässigeres System.
Unter Rot-Grün haben wir mit unserem 4 Mrd. Euro umfassenden Programm den Grundstein für den Ausbau der Ganztagsschulen gelegt. Wir stehen für mehr Ganztagsbetreuung. Das Angebot wird flächendeckend gern von den Eltern angenommen.
SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat in seinem "Deutschland-Plan" u.a. dargestellt, was die SPD bis 2020 für die Bildung tun möchte.
So sollen 10% des BIP in Bildung investiert werden. Das ist ein engagiertes Ziel. Aber Aus- und Weiterbildung haben absolute Priorität. Ab 2013 wird es einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz geben. Das stärkt die frühkindliche Bildung und setzt voraus, dass die Anzahl der Kita-Plätze ausgebaut werden. Das ist bereits beschlossene Sache. Die SPD will den Rechtsanspruch, dass ein Schulabschluss nachgeholt werden kann, wenn dies die Chancen zur Berufsausübung verbessert. Die SPD will zudem einen Ausbildungsbonus.
Bildung ist jedoch ein dehnbarer Begriff. Bildung beginnt nicht erst in der Schule und endet nicht mit dem Verlassen der Schule oder der Hochschule. Bildung ist ein lebenslanger Lernprozess. Aufgrund dessen sollen Ausbildungsnetzwerke des Mittelstandes ein breites Angebot an Ausbildungsplätzen schaffen. Weiterbildungsfonds sollen es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus kleinen und mittleren Unternehmen ermöglichen, sich weiterzubilden. Zudem wollen wir die Hochschulen öffnen für Studierende, die über eine Berufsausbildung plus Berufserfahrung verfügen, nicht aber das Abitur absolvierten.
Die SPD will eine Bildungsoffensive für die MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken. Dies ist die größte Konjunkturbremse. Allein der Mangel an Ingenieuren verursacht jährlich einen Wertschöpfungsverlust von 5 Mrd. Euro.
Dies sind nur einige Beispiele. Nun werden Sie sich sicherlich wie viele andere auch die Frage stellen: Wie wollt Ihr das bezahlen? Die globale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise reißt große Löcher in die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. Von dem ursprünglich anvisierten ausgeglichenen Haushalt 2011 müssen wir uns mental verabschieden. Zur Finanzierung neuer Bildungsinvestitionen wollen wir den Spitzensteuersatz auf 47% erhöhen - durch einen "Bildungs-Soli". Es gibt Stimmen gegen die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Dabei liegen 47% Spitzensteuersatz weit unter dem, was uns die letzte Regierung Kohl hinterlassen hat. Die SPD widerum war es als einzige Steuersenkungspartei der vergangenen Jahrzehnte, die die Bürgerinnen und Bürger steuerlich entlastet hat.
Aus vielen Gesprächen habe ich mitgenommen, dass Besserverdiende in der Regel gern dazu bereit sind, einen höheren Anteil für die Solidargemeinschaft zu leisten - wenn sie denn wissen, dass ihr "Bildungs-Soli" zielgerichtet in Bildung und Forschung fließt.
Wir stehen für kostenlose Bildung von der Kita bis zur Uni - denn Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Bildung muss für alle da sein.
Ich hoffe Ihnen verdeutlicht zu haben, welchen Gestaltungsspielraum der Bund auf die Bildungspolitik hat. Meines Erachtens ist es legitim, für diesen Bereich auch im Bundestagswahlkampf Forderungen aufzustellen.
Für Neukölln und vergleichbare Orte ist es mir wichtig, eine Debatte darüber anzustoßen, wie wir bei der Familien- und Bildungsförderung vom Prinzip der Individualförderung durch Kindergeld und pro Kopf einer Familie berechnete Leistungen wegkommen und mehr auf institutionelle Förderung durch Ausbau und Qualitätsverbesserung bei Kita und Schule setzen. Internationale Vergleichsstudien zeigen, dass es Ländern wie Finnland, Frankreich und sogar den USA durch diesen Ansatz gelingt, den Bildungserfolg von Kindern weniger abhängig von ihrer Herkunft zu machen, als das in Deutschland der Fall ist. Auch diese Debatte kann nur auf Bundesebene geführt werden. Sie ist aber bisher kein Teil der SPD-Programmatik.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Fritz Felgentreu