Frage an Franz-Josef Jung von Gerlinde L. bezüglich Soziale Sicherung
Kostenlose Krankenversorgung für nicht in Deutschland lebende türkische Verwandte, deutsch-türkisches Sozialabkommen 1964
Sehr geehrter Herr Dr. Jung,
halten Sie dies nach 46 Jahren noch für gerechtfertigt, werden Sie sich für eine Kündigung des Abkommens einsetzen?
-Wie werden diese Ausgaben finanziert, aus Steuermitteln oder Krankenkassenbeiträgen?
--Wie hoch sind diese finanziellen Aufwendungen im Jahr 2009 gewesen?
Für Ihre Antwort danke ich im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen,
Gerlinde Löschinger
Sehr geehrte Frau Löschinger,
vielen Dank für Ihre Anfrage über Abgeordnetenwatch.de vom 20. Februar 2011 bzgl. des Sozialversicherungsabkommens mit der Türkei.
Zu Ihrer Anfrage kann ich Ihnen mitteilen, dass in der Türkei lebende Familienangehörige eines in Deutschland gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmers im Krankheitsfall Leistungen der Sozialversicherung ihres Wohnsitzstaates erhalten. Die der Krankenversicherung des Wohnsitzstaates entstehenden Kosten sind von der deutschen Krankenversicherung zu erstatten. Rechtsgrundlage dafür sind die Sozialversicherungsabkommen.
Sofern es sich bei den Angehörigen um solche Versicherte handelt, die auch nach § 10 des Sozialgesetzbuches (SGB) V in Deutschland zu den Familienversicherten gehören, erhalten diese, wenn Sie nur über den in Deutschland Versicherten anspruchsberechtigt sind, bei Aufenthalt in Deutschland ebenfalls grundsätzlich alle Leistungen. Wenn es sich aber um Angehörige handelt, die nicht von § 10 SGB V erfasst werden (z. B. Eltern), erhalten diese bei einem vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland keinerlei Leistungen zu Lasten der deutschen gesetzlichen Krankenkasse. Außerdem kann es auch sein, gerade bei ehemaligen Gastarbeitern, dass diese im Rentenalter in die Türkei zurückkehren, dort aber ebenfalls Rentenansprüche haben und für sie daher insgesamt türkisches Recht gilt. Halten sich diese Personen und ihre Familienangehörigen dann vorübergehend in Deutschland auf, entstehen der deutschen Krankenkasse ebenfalls keine Kosten.
Eltern eines Versicherten mit Wohnsitz in der Türkei sind nur dann ausnahmsweise anspruchsberechtigt, wenn sie nicht ohnehin leistungsberechtigt nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates aufgrund einer eigenen Versicherung (z.B. wegen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung) oder der Versicherung einer anderen Person sind, sie dabei nicht über eigene Einkünfte bzw. Eigentum verfügen und der unterhaltsverpflichtete Versicherte ihnen gegenüber tatsächlich Unterhaltsleistungen erbringt. Geschwister eines Versicherten gehören nicht zu den anspruchsberechtigten Personen.
Um nicht in jedem einzelnen Behandlungsfall eine verwaltungsaufwändige Abrechnung mit der Krankenversicherung des Wohnsitzstaates der Familienangehörigen durchführen zu müssen, erfolgt die Abrechnung der Kosten in Bezug auf die Türkei durch kalenderjährlich zu vereinbarende Monatspauschalbeträge je Familie. Diese Beträge basieren auf den Durchschnittskosten der in den Wohnsitzstaaten geschützten Personen nach dortigem Recht und berücksichtigen die durchschnittliche Zahl der in diesen Staaten wohnenden Familienangehörigen. Bei der Abrechnung wird auf das Kostenniveau in den Wohnsitzstaaten der Familien abgestellt – also auf den durchschnittlichen monatlichen Aufwand in der jeweiligen Landeswährung.
Der vereinbarte Monatspauschalbetrag wird je Familie unabhängig von der Zahl der anspruchsberechtigten Familienangehörigen gezahlt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das pauschalierte Abrechnungsverfahren den Verwaltungsaufwand wesentlich verringert und daher auch im Interesse der deutschen Krankenkassen liegt.
Für 2009 belief sich der vorläufig vereinbarte Monatspauschalbetrag für die Betreuung einer Familie in der Türkei auf umgerechnet 48,50 €. Der türkischen Krankenversicherung wurden für dieses Abrechnungsjahr bislang insgesamt umgerechnet rd. 10,67 Mio. € von der deutschen Krankenversicherung erstattet. Demgegenüber beliefen sich die Gesamtausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung z.B. im Jahr 2007 auf rd. 144,33 Mrd. €. Diese Zahlen zeigen, dass der Anteil der zu leistenden Erstattungsbeträge noch nicht einmal 0,01 % der Gesamtausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung ausmacht.
Der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung entstehen durch diese Regelungen keine Mehrbelastungen, sondern sogar erhebliche Einsparungen. Die Ausgaben der Krankenkassen wären deutlich höher, würden die Familienangehörigen nicht in ihren Heimatstaaten leben, sondern von ihrem Recht nach Deutschland nachzuziehen bzw. hier zu wohnen Gebrauch machen. Dies wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass sich im Jahr 2007 die Kosten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung je Mitglied im Durchschnitt auf monatlich rd. 237 € beliefen. Hinzu kommen die bereits oben erwähnten erheblichen Einsparungen an Verwaltungskosten durch das unbürokratische Verfahren der Monatspauschalbeträge.
Mit freundlichem Gruß
Dr. Franz Josef Jung