Frage an Frank Zimmermann von Sophia O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Zimmermann!
Die neue Rundfunkabgabe trifft 100% der Bevölkerung sehr hart: jeder, 100% der Bevölkerung, verlor die Freiheit, sich jetzt oder in einem späteren Zeitpunkt gegen die Teilnahme am Rundfunk zu entscheiden.
In
http://www.parlament-berlin.de:8080/starweb/adis/citat/VT/17/AusschussPr/ebm/ebm17-021-wp.pdf
liest man, was die Intendantin des Rundfunks Berlin Brandenburg, Frau Dagmar Reim, vor dem Parlament am 6. März 2013 sagte:
"Herr Zimmermann! Ich bin Ihnen, wie Sie wissen, dankbar dafür, und das gilt für alle Parlamentarier, die hier am Tisch sitzen, dass Berlin und Brandenburg unseren Weg [sic] von der geräteabhängigen Gebühr in den Beitrag sehr massiv unterstützt hat."
In der FAZ vom 20-01-2013 behauptet Prof. Dr. Paul Kirchhof, der im Auftrag von ZDF, ARD und D-Radio ein ständig von den "Volksvertretern" zitiertes Gutachten für die Haushaltabgabe schrieb:
"Ich habe gemeinsam mit den Rundfunkanstalten [sic] ein verfassungsrechtlich zulässiges und praktisch gebotenes Finanzierungssystem entwickelt. Wir haben das Ziel erreicht [...]"
Prof. Dr. Ingo von Münch behauptet in Fokus vom 05-12-2011:
"Es wäre eine Sternstunde des Parlamentarismus, wenn wenigstens eines unserer Landesparlamente den Mut besäße, dem `Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag´ nicht zuzustimmen und damit dessen Inkrafttreten zu verhindern. Damit würde es zugleich das anstoßen, was seit Jahrzehnten überfällig ist: eine grundlegende Neuordnung der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wobei auch deren Aktivitäten in Sachen
Werbung, ihr Finanzgebaren und die Verquickung der "Amter von Spitzenpolitikern und Organen der Anstalten intensiver als bisher geprüft werden sollten. Und: Darf man die Abgeordneten daran erinnern, dass sie gemäß den Verfassungen ihrer Länder Vertreter des ganzen Volkes sind, aber nicht Vertreter der Rundfunkanstalten?´´
Meine Frage: Meinen Sie nicht auch, dass da etwas Faules in unserer Demokratie ist?
Sehr geehrte Frau Orthoi,
Professor Dr. Ingo von Münch ist nicht zuzustimmen.
Mit der Neugestaltung des Beitragssystems haben wir eine faire Finanzierungsgrundlage für die öffentlich- rechtlichen Anstalten gefunden.
Es wäre unverantwortlich gewesen, dem Vorschlag von Münchs zu folgen und den Staatsvertrag scheitern zu lassen, denn dann hätte das alte, nicht mehr zeitgemäße Gebührensystem weiter gegolten.
1. Die Anknüpfung der Gebühr an ein Empfangsgerät hatte zu unüberwindlichen Abgrenzungsschwierigkeiten geführt, die beseitigt werden mussten. Jetzt muss nicht mehr geprüft werden, ob ein empfangsbereites Endgerät irgendwo vorhanden ist oder nicht.
2. Mit der Anknüpfung des neuen Rundfunkbeitrags an den Haushalt entfällt nicht nur jede Prüfung von Endgeräten, sondern auch jegliche Kontrolle der Privatsphäre durch die GEZ. Es war ein unhaltbarer Zustand, dass permanent Streit darüber entstanden war, ob und inwieweit die Mitarbeiter der GEZ den geschützten Wohnungsbereich einsehen durften. Jetzt herrscht Klarheit darüber, dass die Kontrollbefugnisse der Einzugsbehörde an der Haustür enden.
3. Der Anteil der Gebührenausfälle konnte mit dem neuen Beitragssystem deutlich gemindert werden. Dies schafft eine höhere Beitragsgerechtigkeit.
4. Zudem hat sich jetzt in gewissem Abstand zum Inkrafttreten des neuen Beitragssystems gezeigt, dass das Beitragsaufkommen gestiegen ist und deshalb vor Kurzem der monatliche Beitrag von 17,98 € auf 17,50 € gesenkt werden konnte. Dies ist für den einzelnen Haushalt zwar nicht viel, bedeutet aber, dass nach Jahrzehnten der Erhöhung erstmals der Beitrag überhaupt gesenkt werden konnte. Darüber hinaus ist die Hälfte der Mehreinnahmen zweckgebunden zurückgelegt, um etwa notwendige künftige Mehrbedarfe der Anstalten auffangen zu können. Daraus folgt, dass mit dem neuen Beitragssystem im Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer eine erheblich höhere Beitragsstabilität erlangt werden kann.
Wir haben das System auch an anderer Stelle reformiert:
In Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben wir den Staatsvertrag geändert und keine Parteienvertreter im ZDF- Fernsehrat mehr zugelassen. Darüber hinaus haben wir die Anzahl der Fernsehratsmitglieder, die vom Bund und den Ländern entsandt werden, deutlich vermindert. Wir haben die Zusammensetzung den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen angepasst und zudem eine angemessene Vertretung von Frauen vorgeschrieben.
Eine langfristige Aufgabe ist es, den Werbemarkt unter allen Beteiligten fair aufzuteilen. Diese Diskussion ist noch längst nicht abgeschlossen. Ein teilweiser oder vollständiger Verzicht der öffentlich- rechtlichen Anstalten auf Werbeeinnahmen kommt nur in Frage, wenn sich auch die privaten TV- Anbieter an einer zukunftssicheren Finanzierung des Qualitätsjournalismus in Deutschland beteiligen. Wenn ProSieben/ Sat1 und RTL sich in einem künftigen Staatsvertrag verpflichten lassen, im Interesse des dualen Rundfunksystems ihre Qualitätsreserve zu heben (also: mehr Information, Bildung, Wissenschaft, Kultur), ist auch ein Werbeverzicht der Öffentlich- Rechtlichen vorstellbar.
Mit freundlichen Grüßen,
Frank Zimmermann
Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin