Frage an Frank-Walter Steinmeier von Andreas T. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Dr. Steinmeier,
am 7.7.20011 lief in Panorama eine Reportage „Das Lügenfernsehen“. In dem Beitrag geht es um den Wahrheitsgehalt von Fernsehen und ob erkennbar ist, was „Scripted Reality“ ist. Man hört von der Aufgabe der Landesmedienanstalten, welche die Sender kontrollieren und deren Informationsinhalt bewerten. Man bekommt auch zu hören, dass die Privatsender ihrer Aufgabe in einer Demokratie nicht gerecht werden und dass die Politik damit unzufrieden ist. In der Sendung wird der Eindruck vermittelt, dass diese Probleme bislang nicht bekannt waren. Die Sendung endet mit einem Versprechen von Wolfgang Börnsen, den Ministerpräsidenten zu schreiben und strengere Bestimmungen für Privatsender anzumahnen. Ein paar Tage später sendet das Nachtmagazin der ARD einen Beitrag zur „Gegenöffentlichkeit im Netz“, in dem man einen Medienwissenschaftler seine Bedenken zum Internet vortragen lässt. In Bayern und in Dresden gibt es Versuche, mit einem Medienführerschein den „richtigen“ Umgang mit Medien zu schulen.
In diesem Zusammenhang habe ich vier Fragen an die Abgeordneten:
1. Halten Sie die Erzeugung eines falschen Bildes in der Öffentlichkeit mit Absicht bzw. Vorsatz für möglich und sehen Sie Handlungsbedarf für zusätzliche, regulierende Rahmenbedingungen.
2. Ist Ihnen bekannt, dass in den öffentlichen Medien, bei den vorhandenen Kommentarfunktionen, kritische Beiträge ( Hartz IV, Kriegseinsätze......) durch den Betreiber „moderiert“ werden und dadurch ein falsches Bild entsteht?
3. Glauben Sie, dass Sie zur Beurteilung dieses Problems genügend Informationen erhalten?
Ich bitte darum, diese Frage konkret zu beantworten, ein einfaches ja oder nein reicht !
4. Haben Sie von Petitionen Kenntnis, die eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung zum Inhalt haben?
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Teichmann
Sehr geehrter Herr Teichmann,
vielen Dank für Ihre Fragen, mit der Sie sich auf einen Beitrag der Sendung Panorama unter dem Titel „Das Lügenfernsehen“ beziehen. Wie Sie ja selbst anmerken, sind Fragen der Medienordnung und auch der Aufsicht über den privaten Rundfunks in Deutschland allein Angelegenheiten der Länder. Dem Bund kommt hier keine Gestaltungs- oder gar Entscheidungskompetenz zu. Von daher bitte ich Sie, die Antwort lediglich als einen Kommentar aus bundespolitischer Sicht anzusehen.
Vor diesem Hintergrund beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
1. Halten Sie die Erzeugung eines falschen Bildes in der Öffentlichkeit mit Absicht bzw. Vorsatz für möglich und sehen Sie Handlungsbedarf für zusätzliche, regulierende Rahmenbedingungen?
In dem von Ihnen angesprochenen Beitrag geht es vor allem um so genannte Scripted-Reality-Formate, also um eine scheinbare Realität, die tatsächlich aber inszeniert ist. Problematisch ist hierbei, dass echte und erfundene Geschichten vermischt werden und es sich nicht um die journalistische Darstellung von Beobachtungen handelt. Problematisch ist diese Entwicklung vor allem deswegen, weil damit die journalistische Glaubwürdigkeit von Informationssendungen und die des Rundfunks insgesamt in Frage gestellt wird. Die Erzeugung eines falschen Bildes oder einer inszenierten Darstellung durch Formate wie „Scripted Reality“ ist also möglich - jedenfalls wenn im Rahmen solcher Sendungen nicht oder nicht hinreichend darauf hingewiesen wird, dass nicht die Wirklichkeit abgebildet wird, sondern eine Inszenierung vorliegt. Dies ist eine Entwicklung bei den privaten Rundfunkanbietern, die man durchaus mit Sorge sehen muss. Zu begrüßen ist daher ausdrücklich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk, nicht zuletzt mit Blick auf das hohe Gut Glaubwürdigkeit, auf solche Formate verzichtet. Aus meiner Sicht ist eine klare Kennzeichnung von Informationsprogramm und von Fiktion im Informationsprogramm notwendig. Die Rundfunkanbieter - und zwar sowohl die öffentlich-rechtlichen wie auch die privaten Rundfunkanbieter -, haben einen öffentlichen Programmauftrag, dem man mit derartigen Schein-Informationssendungen und Infotainment nicht gerecht werden kann.
2. Ist Ihnen bekannt, dass in den öffentlichen Medien, bei den vorhandenen Kommentarfunktionen, kritische Beiträge ( Hartz IV, Kriegseinsätze......) durch den Betreiber „moderiert“ werden und dadurch ein falsches Bild entsteht?
Gegen eine Moderation von Rundfunkbeiträgen oder sonstigen öffentlichen Medienangeboten ist grundsätzlich nichts einzuwenden, solange sie inhaltlich nicht zu einer Entstellung des von anderen Personen gelieferten Materials oder deren geäußerte Meinung führt. Dabei sind selbstverständlich auch die Persönlichkeitsrechte anderer zu beachten. Moderationen können und sollendie Qualität und das Diskursniveau sicherstellen, aber auch die journalistische Sorgfaltspflicht. Ziel der Moderation sollte es sein, einen sachlichen und fairen Diskussionsprozess zu ermöglichen. Dabei kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass eine Moderation auch übers Ziel hinausschießen kann, aber die offene Kommentierung z. B. eines journalistischen Webangebotes bietet zugleich die große Chance, Meinungen der Leserinnen und Lesern oder Zuschauerinnen und Zuschauern auszutauschen.
3. Glauben Sie, dass Sie zur Beurteilung dieses Problems genügend Informationen erhalten? Ich bitte darum, diese Frage konkret zu beantworten, ein einfaches ja oder nein reicht!
Ich befasse mich nicht täglich mit Scripted-Reality-Formaten. Die mit Sendungen dieser Art verbundenen Probleme sind mir aber grundsätzlich vertraut, außerdem kann ich jederzeit mehr Informationen im Einzelfall erlangen. Daher: Ja. Dennoch wird zunehmend schwierig, zu erkennen, ob es sich um so genannte Scripted-Reality-Formate handelt, oder um journalistische Reportagen. Deswegen halte ich eine entsprechende Kennzeichnung für unerlässlich, ebenso wie ich eine entsprechende Überprüfung der Medienaufsicht für notwendig halte. Letzteres vor allem auch deshalb, weil es zum Programmauftrag auch des privaten Rundfunks gehört, entsprechende Informationssendungen anzubieten - und hier ist eben seit Jahren eine Flucht ins Infotainment zulasten journalistischer Information zu beobachten.
4. Haben Sie von Petitionen Kenntnis, die eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung zum Inhalt haben?
Petitionen haben in der Regel das Ziel, auf Missstände aufmerksam zu machen oder um Unterstützung für bestimmte Anliegen und Ziele zu werben. Von daher sind sie natürlich auch darauf ausgerichtet, Aufmerksamkeit in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung zu finden. Deswegen halte ich es, anders als bei vorgegaukelten Realitäten, auch nicht für problematisch, dass Petenten sich mit ihrem jeweiligen bestimmten Anliegen an die Öffentlichkeit wenden und für dieses werben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Frank-Walter Steinmeier