Frage an Frank Tempel von Daniel R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Tempel,
Vielen Dank für die Möglichkeit Ihnen Fragen stellen zu dürfen. In Anbetracht der anstehenden Bundestagswahlen und Ihrer Kandidatur auf Landeslistenplatz 4 interessiert mich eine Frage zu Ihrem beruflichen Werdegang sehr:
Sie haben offen angegeben in der DDR eine Berufsoffizierslaufbahn eingeschlagen zu haben. Ich schätze Ihren ehrlichen Umgang mit dieser Information. Dennoch stellt sich mir die Frage wie dies mit den pazifistischen Zielen der Linken vereinbar ist. Darüber hinauf bitte ich Sie um eine kurze Erklärung welche Motivation Sie hatten eine Offizierslaufbahn in einer Diktatur anzustreben und dann auch noch ausgerechnet bei den Grenztruppen. Selbst, wenn davon ausgegangen werden kann, dass Sie indoktriniert wurden, und tatsächlich glaubten es würden nur Staatsfeinde die Grenze überschreiten - war Ihnen der Schutz dieser Mauer mittels Waffengewalt eine menschenwürdige Lösung? Sie bringen weiterhin zum Ausdruck diesen Ausbildungszweig nicht aus freien Stücken, sondern nur aufgrund der Wende beendet zu haben. Welche Einstellung haben Sie auf das Schießen von Flüchtlingen gehabt und hat sich diese geändert?
Ich danke Ihnen vielmals und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Reinhardt
Sehr geehrter Herr Reinhardt,
vielen Dank für Ihre Fragen. Sie sind berechtigt und auch schwierig zu beantworten. Ich versuche es chronologisch.
Den Schutz der Grenze verstand ich damals tatsächlich in erster Linie als Schutz nach außen. Ich hatte als Jugendlicher viele Bücher gelesen, über Agenten, die von Grenzern gefasst wurden und an Sabotageakten gehindert wurden, über Agenten, die mit Lügen Fachkräfte aus der DDR abwerben oder Propagandamaterial in die DDR schleusen wollten. In meinem privaten Umfeld kannte ich zwei Fälle, bei denen Ausreiseanträge gestellt und genehmigt wurden. Die Mutter eines Mitschülers heiratete nach Norddeutschland und zog mit einem meiner Freunde in die BRD. Im zweiten Fall – es betraf einen schwer kranken Lehrer – lief augenscheinlich auch alles problemlos, doch heute weiß ich, dass dieser Lehrer schweren Repressalien ausgesetzt war.
Ich habe damals geglaubt, dass sich nur Kriminelle, wie der Mörder Weihold, illegal über die Grenze absetzen. Ich wollte tatsächlich helfen, mein Land vor Feinden zu schützen. Ich habe mich in der Schulzeit deshalb voller Idealismus verpflichten lassen. Ich verfolge die entsprechende Geschichtsaufarbeitung sehr genau und halte sie für enorm wichtig. Ich habe meine eigenen Lehren gezogen. Ich ließ mich manipulieren – von Kindheit an – über das Bildungswesen, die Medien usw.
Dass ich heute politisch aktiv bin, hat sehr viel damit zu tun, dass ich mir geschworen habe, nie mehr darauf zu vertrauen, dass „die da oben“ es schon richten und wissen werden. Meine Lehre ist, dass kein politisches Ziel mit Gewalt gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden darf. Das ist feste Überzeugung von mir geworden. Darauf beruht mein Demokratieverständnis.
Die DDR hat es versäumt, sich damit zu beschäftigen, warum sich Menschen abwerben lassen oder sogar aus eigenem Antrieb das Land verlassen. Stattdessen ist die DDR dazu übergegangen, die Bürgerinnen und Bürger im eigenen Land einzusperren.
Heute denkt man zu wenig über die Beseitigung von Fluchtursachen nach, beschäftigt sich mehr damit, Flüchtlinge auszusperren oder los zu werden. Ich sehe hier Ähnlichkeiten.
Um ihre Frage zu beantworten: Auf Flüchtlinge schießen ist ein Verbrechen und klar menschenrechtswidrig. Damals wie heute!
Ich hoffe, dass beantwortet ein wenig ihre Frage zu meiner persönlichen Position. Ausführlicher habe ich vor einigen Jahren mit der Welt darüber gesprochen in einem Interview zusammen mit Frank Ebert:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article134121476/Wir-sind-da-ohne-Waffen-rausgegangen.html
Mit freundlichen Grüßen
Frank Tempel