Frage an Frank Tempel von Siegfried B. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Tempel;
als Steuerzahler habe ich die Sorge, dass die deutsche Beteiligung an den verschiedenen Rettungsfonds Risiken birgt, die weder überschaubar noch beherrschbar sind. Ich fürchte, dass wir mit immer neuen und immer höheren Bürgschaften den Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise verlieren und immer weitere Staaten rettungsbedürftig sein werden. Denn schon jetzt überschreitet der vorgesehene Haftungsbeitrag Deutschlands in Höhe von 190 Milliarden Euro meine Vorstellungkraft.
Zugleich bin ich davon überzeugt, dass sich Europa nur stabilisieren und retten lässt, wenn alle europäischen Staaten eine bindende Schuldenbremse einführen. Deshalb unterstütze ich den Vorstoß des Bundes der Steuerzahler, auf die Einführung einer europaweiten Schuldenbremse und eine Beteiligungspflicht privater Gläubiger an den Verlusten aus den Staatskrediten zu bestehen.
Ich appelliere deshalb an Sie, dem Gesetzespaket zur Installation des ESM Ihre Zustimmung zu verweigern und sich für eine europaweite Schuldenbremse sowie eine stärkere Beteiligung privater Gläubiger einzusetzen.
Werden Sie dem Gesetzespaket zustimmen oder werden Sie diesem Ihre Zustimmung verweigern?
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Beer
Sehr geehrter Herr Beer,
haben Sie vielen Dank für Anfrage zur Einrichtung des ESM. DIE LINKE lehnt die Einrichtung des ESM ab, denn mit dem ESM wird ein gescheitertes, marktradikales Krisenmanagement fortgesetzt, das völlig untauglich ist, um die Eurokrise zu überwinden. Unsere Ablehnung stützt sich auf die folgenden Gründe:
• Die Maßnahmen der Euro-Rettung bekämpfen nicht die eigentlichen Krisenursachen - die fehlende Regulierung der Finanzmärkte, die unzureichende Besteuerung von Unternehmen und hohen Vermögen sowie die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte in Eurozone und EU. Zu letzterem trug maßgeblich die aggressive deutsche Exportpolitik bei, die mit Sozial- und Lohndumping Außenhandelsüberschüsse zu Lasten vor allem der südlichen Eurozone-Länder erwirtschaftete.
• Auch der ESM schützt die Interessen der Banken und Finanzinvestoren - die Verursacher und Profiteure der Krise werden somit erneut geschont. Die im ESM-Vertrag vorgesehene „verbindliche private Gläubigerbeteiligung“ bleibt aber völlig unklar und unzureichend: Der entsprechende Vertragsteil (Artikel 12 Absatz 2) lässt weitgehend offen, in welcher Form private Gläubiger an den Kosten der Krise beteiligt oder zu Forderungsverzichten verpflichtet werden. Damit bleibt ein zentraler Aspekt - und eine zentrale Forderung der LINKEN - völlig ungeklärt.
• Die Vergabe von Krediten und anderen Hilfsmaßnahmen durch den ESM sind an unsoziale und wirtschaftlich schädliche Kürzungsprogramme geknüpft. Die Sparauflagen treffen die unteren und mittleren Einkommensgruppen, sind aufgrund ihrer negativen Auswirkungen für die Binnennachfrage volkswirtschaftlich schädlich und verschlimmern so die Schuldenkrise.
• Der ESM-Vertrag sieht keine demokratischen Kontrollrechte der nationalen Parlamente - u.a. des Bundestags - vor und droht, ihre Haushaltsrechte außer Kraft zu setzen.
Der ESM soll ab 2013 als dauerhafter Mechanismus mit einem Volumen von 700 Mrd. Euro den bisherigen Euro-Rettungsschirm ersetzen. Über den Rettungsschirm sollen hochverschuldete Staaten, die am freien Kapitalmarkt nur extrem hochverzinste Kredite bekommen, mit Kapital versorgt werden, um Staatspleiten zu verhindern. Voraussetzung für die Kredite vom ESM sind rigide Strukturanpassungs- und Sparprogramme für die Kreditnehmenden Staaten. Beantragt ein Krisenland „Hilfen“, nimmt der ESM selbst Kredite am Kapitalmarkt auf und reicht sie mit Zinsaufschlag weiter. Die ESM-Vertragsstaaten - die Staaten der Eurozone - stellen dem ESM hierfür anteilig nach ihrer Wirtschaftsleistung Bareinlagen und Garantien zur Verfügung: Der deutsche Anteil beträgt laut aktuellem Vertragstext rd. 190 Mrd. Euro, der sich aus Bareinlagen von rd. 22 Mrd. Euro und Garantien in Höhe von 168 Mrd. Euro zusammensetzt.
Der Vertragstext ermöglicht grundsätzlich eine Aufstockung des ESM, was eine weitere Erhöhung der Anteile nach sich zöge. Dies setzt allerdings eine einstimmige Entscheidung der am ESM beteiligten Regierungen voraus.
Für die Einrichtung des ESM war eine Änderung des Lissabon-Vertrags (Artikel 136 AEUV) erforderlich, die der Europäische Rat im März beschloss. Im Juni einigten sich die Finanzminister der Eurozone auf einen Vertragstext, der am 11. Juli unterzeichnet wurde. Damit der ESM in Kraft treten kann, muss der Bundestag drei Gesetze verabschieden:
• das Ratifizierungsgesetz zum ESM-Vertrag,
• das Ratifizierungsgesetz zur Änderung des Lissabon-Vertrags,
• ein Gesetz, das die haushaltsrechtliche Ermächtigung für die Beteiligung Deutschlands am ESM enthält (nach Art. 115 Abs. 1 im Grundgesetz).
Auf ihrem Sondertreffen am 21. Juli beschloss die Eurogruppe vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise die Ausweitung der Befugnisse - d.h. die Instrumente des ESM (und seiner „Vorgängerin“ der EFSF): Er soll nun unter anderem auch Staatsanleihen aufkaufen und Kredite an Staaten, die nicht Mitglied der Eurozone sind, vergeben können. Darum muss der Vertrag noch einmal geändert und erneut unterzeichnet werden.
Nach uns vorliegenden Informationen wird das Kabinett erstmals Ende September über den ESM-Vertrag und das notwenige Gesetzespaket beraten. Die erste Lesung im Bundestag ist für Anfang Dezember vorgesehen. DIE LINKE wird eigene Anträge zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung vorlegen, die die folgenden Kernforderungen enthalten werden:
• DIE LINKE fordert umfassende parlamentarische Mitwirkungs- und Kontrollrechte des ESM und den Schutz der Budgethoheit des Bundestags,
• DIE LINKE fordert darüber hinaus eine effektive Beteiligung der Krisenprofiteure (Finanztransaktionsteuer, wirksame Bankenabgabe, Besteuerung von Vermögen),
• die strikte Regulierung der Finanzmärkte (u.a. Verbot von Leerverkäufen, ungedeckten Kreditausfallversicherungen, Schattenbanken etc.), die Vergesellschaftung von Banken sowie eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen zur kostengünstigen und finanzmarktunabhängigen Staatsfinanzierung,
• DIE LINKE will, dass die realwirtschaftlichen Ursachen der Krise beseitigt werden. Sie fordert daher ein europäisches Konjunkturprogramm sowie die Einrichtung einer europäischen Ausgleichsunion.
DIE LINKE lehnt aber die Einführung einer europaweiten Schuldenbremse, wie sie auch von der Bundesregierung gefordert wird, klar ab. Eine Schuldenbremse schränkt die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand ein, bspw. mit Konjunktur- und Investitionsprogrammen antizyklische Wirtschaftspolitik zu verfolgen, und verschärft und institutionalisiert den Sozialabbau. Dass die Schuldenkrise durch Sozialabbau und prozyklische Politik nicht gelöst werden kann, verdeutlichen die aktuellen Entwicklungen nicht nur, aber besonders in Griechenland. Die im Mainstream verbreitete Behauptung, dass ungezügelte staatliche Ausgaben die Ursache der Verschuldung sind, ist falsch: Die Ursachen der öffentlichen Verschuldung liegen primär in der europaweit praktizierten Politik des Steuerdumpings, bzw. der Steuergeschenke an Kapitalgesellschaften, Konzerne und hohe Einkünfte und Vermögen. Allein in Deutschland verlor die öffentliche Hand seit 2000 Einnahmen in Höhe von rd. 340 Mrd. Euro. Die Schuldenkrise kann nur gelöst werden, wenn hohe Profite und Vermögen endlich abgeschöpft werden.
Ausführlicher Informationen finden Sie auf der Webseite der Bundestagsfraktion (www.linksfraktion.de ) sowie unter den folgenden Links:
• Positionspapier „Maßnahmen zur Überwindung der Eurokrise“ (August 2011)
http://www.linksfraktion.de/positionspapiere/entwicklungen-eurokrise-seit-juli-2011/
• Positionspapier der AG Eurokrise „Wege aus der Krise“ (Juni 2011) [ausführliches Positionspapier zu den Ursachen der Eurokrise und zu Maßnahmen ihrer Überwindung]
http://dokumente.linksfraktion.de/download/20110610-pos-wege-aus-der-krise.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Frank Tempel