Frage an Frank Schwabe von Helmut S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Schwabe,
Die von Ihnen zitierte Definition der Romstatuten für Ethnische Vertreibung (EV) unterstellt ebenfalls einen sehr weiten Gewalt- und Zwangsbegriff - wie die von mir zitierte. Die Interpretation durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der bekanntlich durch die Romstatuten geschaffen wurde, besagt zum Verständnis des hier einschlägigen Art. 7. Abs. 1 d) des IStGH-Status in FN 12: "Der Begriff "gewaltsam" ist nicht auf physische Gewalt beschränkt, er impliziert Androhung von Zwang und Gewalt, verursacht durch Angst vor Gewalt, Nötigung, Haft, psychologische Unterdrückung oder Gewaltmißbrauch (..), oder die Ausnutzung einer durch Gewalt geprägten Umgebung" (Völkerstrafrecht von Gerhard Werle, Florian Jessberger S. 338).
Ich wiederhole und präzisiere meine Ausgangsfrage:
Wenn, wie das die genannten Definitionen belegen, für die rechtliche Bewertung der Zweck der Operation EV im Vordergrund steht und bei den dabei angewandten Methoden eine breite Palette bis hin zu indirekten Formen der Gewalt zum Tragen kommen: Haben wir es dann bei den Vorgängen in den C-Gebieten der Westbank mit EV zu tun, d.h. deckt o.g. Definition von Zwang und Gewalt die Praxis der israelischen Besatzung in den C-Gebieten?
Glauben sie im Ernst, dass es angemessen ist von einer "Beeinträchtigung der Existenzgrundlagen" zu sprechen, wenn in 2/3 der Westbank nur noch 5,8 % der Westbank-Palästinenser leben? Diese Zahlen und die zahlreichen Berichte zur Westbank belegen doch eher etwas anderes: Existenzgrundlagen werden nicht nur beeinträchtigt, sie werden weitgehend entzogen.
Ihre Vorsicht, was Begrifflichkeiten angeht, in Ehren: Die Zurückhaltung sollte nicht so weit gehen, dass man Fakten, wie sie von NGO und internationalen Organisationen allenthalben ausgebreitet werden nicht zur Kenntnis nimmt.
Was die rechtliche Würdigung angeht, bitte ich um "sorgfältige Bewertung", frei von politischen Opportunitäts-Rücksichten.
MfG
Helmut Suttor
Sehr geehrter Herr Suttor,
die C-Gebiete der Westbank umfassen in der Tat 62% des Gebietes und 6 Prozent der palästinensischen Bevölkerung, die dort unter israelischer Zivil- und Sicherheitsverwaltung leben. Im Gegensatz zu den dicht besiedelten A- und B-Gebieten, in denen sich die palästinensischen Städte befinden, umfassen die C-Gebiete große Teile der landwirtschaftlichen Fläche. Nach Angaben der Weltbank, der UN sowie der EU besteht das palästinensische Gebiet ohne die C-Gebiete aus geographisch nicht zusammenhängenden Enklaven. Folglich kann es für die Palästinenser keine nachhaltige Entwicklung und keinen überlebensfähigen palästinensischen Staat ohne die C-Gebiete geben.
Viele der Maßnahmen die durch die israelische Zivil- und Sicherheitsverwaltung durchgeführt werden, können natürlich unter die verschiedensten Definitionen und Ausprägungen von „Gewalt“ gefasst werden. Dauerhaft leiden die Palästinenserinnen und Palästinenser sicherlich unter indirekter und struktureller Gewalt – der Mauer, dem verweigerten Ausbau von Infrastruktur, der Verknappung wichtiger Lebensgrundlagen wie beispielweise Wasser – die massiv ihre Existenzgrundlage erschwert und so dazu beiträgt, dass viele Menschen ihre Heimatregion verlassen oder verlassen haben.
Ich verurteile solche Maßnahmen und die generelle Politik des Siedlungsbaus der israelischen Regierung. Als menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion beschäftige ich mich häufig mit Menschenrechtsverletzungen, auch eben jene, die durch den israelischen Staat und durch die Hamas verübt werden. Die SPD hat sich ebenfalls bereits mehrfach klar gegen diese Politik ausgesprochen.
Der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages sowie der Deutsche Bundestag beschäftigen sich weiterhin eingehend mit dem Konflikt in Israel/Palästina. Ich persönlich war im August in Israel/Palästina und habe mich vor Ort mit unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren getroffen.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Schwabe, MdB