Frage an Frank Laubenburg von Birgitt F. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Laubenburg
1. Wie ist Ihre Position zu den Förderschulen, Kompetenzzentren und zu dem gemeinsamen Unterricht behinderter Kinder an allgemeinbildenden Schulen? Ich möchte den Fokus auf die Kinder lenken, die eine geistige Beeinträchtigung / Behinderung haben, wie z.B. bei der Lernbehinderung.
Das z.B. reine körperliche behinderte Kinder, die im Rollstuhl sitzen müssen, aber dem Unterricht kognitiv folgen können nicht unbedingt in eine Förderschule müssen, stelle ich außer Frage!
2. Wie kann man jedes Kind tatsächlich adäquat und optimal fördern, wenn die Klassen im GU nicht kleiner werden können, da lieber Schulen geschlossen oder zusammengelegt werden anstatt darauf zu achten, dass die Rahmenbedingungen wirklich im GU besser werden? Stecken da Finanzprobleme hinter?
3. Bisher hat man, wenn Förderschulpädagogen an die allg. Schulen versetzt wurden, Lehrer/innen im allg. Unterricht abgezogen, damit der Schüler-Lehrer-Schlüssel gleich blieb und damit es nicht zu teuer wurde. Wird sich das ändern?
4. Förderschullehrer/innen sollen gezwungen werden, vielseitig zu arbeiten.
Das kann keine optimale und adäquate Förderung des Kindes sein, wenn es keine Spezialisierungen auf max. zwei Förderbedarfe und der jeweilige Unterrichtsschwerpunkte mehr geben soll. Worauf soll ein Pädagoge sich noch konzentrieren ohne auszubrennen und andauernd überfordert zu sein?
5. Wie soll flächendeckend der GU umgesetzt werden, wenn an den Förderschulen der Unterricht nicht ausfallen darf, obwohl von da aus die Fach-Pädagogen zu den allg. Schulen geschickt werden sollen?
6. Können nicht vielmehr auch nur die "Grenzfälle" wirklich sinnvoll im GU unterrichtet werden?
7. Wo sollen die stärker behinderten Kinder hin, wenn auch deren Eltern sich nicht um diese richtig kümmern (soziale Vernachlässigung)?
8. Warum werden Kinder mit Förderbedarf zur Förderschule mit einem Fahrdienst gebracht, zum GU aber nicht? Die Behinderung ist doch die selbe beim selben Kind!
DANKE!
Sehr geehrte Frau Ferrier,
herzlichen Dank für Ihre Fragen. Auf unserem Parteitag in Hamm im November 2009 haben wir die Frage des gemeinsamen, integrativen Unterrichts und unsere Position zu Förderschulen sehr intensiv diskutiert. Ich habe dort auch einiges gelernt, gehöre aber nicht zu den ExpertInnen unserer Partei in diesem Bereich. Wie Sie vielleicht wissen, unterrichtet unsere Spitzenkandidatin Bärbel Beuermann selbst seit vielen Jahren als Förderschullehrerin. Sollten Ihnen meine Antworten nicht tiefgehend genug sein, kann ich gerne noch weitere Kontakte vermitteln. Ich möchte aber auch dort, wo ich mich nicht so gut auskenne, die Fragen erst einmal selbst beantworten.
Zu Frage 1:
Wir wollen nach dem italienischen Modell eine bessere „Ausstattung“, d.h. das Kind mit einer Behinderung muss eine/n Dipl.Päd. (bezahlt aus dem Gesundheitsetat) haben, die/der sich um die sozial-emotionale Entwicklung Kindes kümmert (Nicht ums Lernen!). DIE LINKE strebt insgesamt „Eine Schule für Alle“ von der ersten bis zur zehnten Klasse in Ganztagsform an, tritt also für die mittelfristige Auflösung der Förderschulen ein. Klar ist: Das kann nicht von einem Tag auf den andern geschehen. Die vorhandenen Förderschulen leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine gute Arbeit. Wir glauben aber, dass der gemeinsame Unterricht zum Regelfall werden muss. Ein deutlich besserer Personalschlüssel und intensive Fortbildungen (d.h. auch: Zeit für Fortbildungen) sind notwendig. Heute haben viele Eltern, deren Kinder Förderschulen besuchen, die Angst, dass integrativer Unterricht in erster Linie als „Sparmodell“ genutzt und die individuelle Betreuung leiden würde. Das darf nicht passieren.
Zu Frage 2:
DIE LINKE will die wohnortnahe Versorgung der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen, was sich mit Einer Schule für Alle gut umsetzen lässt. Hier lässt sich auch eine adäquate und optimale Förderung erreichen, weil es statistisch sehr unwahrscheinlich (und dann immer noch regelbar) ist, dass mehrere Kinder mit Behinderungen in eine Klasse gehen. Die Standards beim GU (Gemeinschaftsunterricht für Schülerinnen und Schüler mit besonderem, pädagogischem Förderbedarf) müssen in der Tat verbessert werden.
"Finanzprobleme" werden in der Schul- und Bildungspolitik immer nur vorgeschoben. So kostet die aktuelle Senkung des Umsatzsteuersatzes für Hotelübernachtungen ca. 1 Milliarde Euro jährlich, das Geld hätte besser in die Förderung des integrativen Unterrichts gesteckt werden können. Die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland liegen deutlich unter dem OECD-Länder-Durchschnitt. DIE LINKE tritt dafür ein, dass wesentlich stärker in Bildung investiert wird und hat ein Zukunftsinvestitionsprogramm vorgestellt, in dem auch deutlich gemacht wird, wie höhere Bildungsausgaben bezahlt werden können.
zu Frage 3:
Pädagoginnen und Pädagogen, die für die spezifische Betreuung von Kindern mit Behinderungen zusätzlich notwendig sind, dürfen nach unserer Auffassung nicht in die Berechung des Schüler/Lehrer-Schlüssels einfließen. Der Schlüssel muss aber generell so geändert werden, so dass mehr LehrerInnen weniger Kinder unterrichten.
Zu Frage 4:
Kinder dürfen in der Tat keine „Experementierfeld“ sein. Gerade bei der Arbeit mit Kindern mit geistigen und/oder seelischen Behinderungen ist eine hohe Fachkompetenz notwendig. Von daher teile ich Ihre Auffassung, dass eine Spezialisierung notwendig ist.
Zu Frage 5:
Es müssen wesentlich mehr Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet und unbefristet beschäftigt werden. Derzeit ist in allen Schulformen zu beobachten, dass es keine personellen Reserven gibt, wenn Lehrkräfte ausfallen (das betrifft ja nicht nur Abordnungen und Versetzungen, sondern auch Erkrankungen usw.).
Zu Frage 6:
Je stärker die Behinderung, desto größer sind natürlich die Anforderungen an einen integrativen Unterricht. Ich bin aber der festen Überzeugung (auch aus meiner Arbeit in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung während meines Zivildienstes), dass letztlich Alle etwas vom integrativen Unterricht haben! In Italien hat man wohl auch in den vielen Jahren seit 1979 die Erfahrung gemacht, dass auch schwerstbehinderte Kinder etwas „davon haben“, weil sie viele andere Kinder sehen und beobachten können. Voraussetzung ist immer ein ausreichender Personalschlüssel!
Zu Frage 7
Das Problem der sozialen Vernachlässigung betrifft ja erst einmal alle Schulformen und Kinder unabhängig von einer Behinderung. Von daher müssen auch SchulsozialarbeiterInnen und PädagogInnen eingestellt werden, die sich der Kinder unabhängig vom Unterricht annehmen. Da die Auswirkungen sozialer Vernachlässigung für Kinder mit dem Grad einer Behinderung natürlich wachsen, muss hier mehr Personal zur Verfügung gestellt werden. Auch das Angebot einer Ganztagsschule kann dazu beitragen, Kinder sozial zu betreuen. Leider wird bei den derzeitigen offenen Ganztagsschulen viel zu wenig Personal eingesetzt.
Zu Frage 8:
Das war mir, sehr geehrte Frau Ferrier, nicht bekannt. Als Ratsmitglied werde ich hierzu eine Anfrage stellen, wie die Praxis in Düsseldorf ist und wann und wie das geändert werden kann. Für eine solche Anfrage wäre eine genauere Schilderung der Situation bzw. die Benennung eines Beispiels sinnvoll. Es wäre schön, wenn sie mir hierzu mehr Informationen zukommen lassen können, damit ich der Frage genauer nachgehen kann.
Für Ihre Fragen möchte ich mich herzlich bedanken, ich hoffe, aus den Antworten wird deutlich, welche Positionen DIE LINKE und ich als Kandidat dieser Partei einnehmen. Ich stehe Ihnen auch gerne für weitere (Nach-)fragen zur Verfügung.
Freundliche Grüße
Frank Laubenburg