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Frank Kuschel
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Frage von Gerd H. •

Frage an Frank Kuschel von Gerd H.

Hallo Herr Kuschel,

seit langem verfolge ich mit großer Aufmerksamkeit Ihr persönliches Engagement für die Abschaffung von Beiträgen für die Wasserversorgung, Entsorgung und den Straßenbau in Thüringen. Könnte Ihnen dabei vielleicht ein Gedankenfehler unterlaufen sein?

Die Abgabenhoheit ist bekanntlich Teil der Finanzhoheit einer Gemeinde (nicht des Landes).

Stellen Sie sich vor, jemand besitzt ein Grundstück mit 1000 m² auf der grünen Wiese, der Wert 1,50 €/m², also 1.500 €. Die Gemeinde beschließt über dieses Grundstück einen Bebauungsplan. Mit dem Beschluss durch den Gemeinderat verpflichtet sich die Gemeinde zugleich, dieses Grundstück an die öffentliche Wasserversorgung, an die öffentliche Abwasserentsorgung und an das öffentliche Straßensetz anzuschließen. Hierfür muss die Gemeinde sehr viel Finanzmittel aus Eigenmitteln oder über Kredite aufwenden. Sind die Arbeiten abgeschlossen, gilt das Grundstück als "erschlossen" und ist im Wert erheblich gestiegen; nehmen wir einmal an, der Wert liegt dann "nur" bei 50,00 €/m², hätte das Grundstück mit 1000 m² einen Wert von 50.000 €.

Für den Wertzuwachs von 48.500 € soll Ihrer Meinung nach nicht der Grundstückseigen-tümer, der allein den Vorteil des Wertezuwachses genießt, zur Kasse gebeten werden, sondern - so bei Ihnen nachzulesen - das Land. Das Land hat nicht den Hauch einer Verpflichtung (kommunale Selbstverwaltung!) und könnte zudem im Zuge einer Freiwilligkeitsleistung nur mit Geldern der Steuerzahler einspringen.

Wie wollen Sie das dem Steuerzahler erklären?

Bleibt die Kalkulation der investiven Kosten für Wasser, Abwasser und Straßenanschluß in die "verbrauchsabhängigen" Gebühren? Abgesehen davon, dass dieser Schritt rechtlich unzulässig ist (investive Kosten sind nicht verbrauchsabhängig!), wie wollen Sie einem Mieter in Thüringen erklären, dass seine Wasser- und Abwassergebühren so hoch sind, weil in dem Gebühren auch investive Kosten enthalten sind?

Gruss
Gerd Hoffmann

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Hoffmann,

vielen Dank für Ihre sehr konkrete Frage zum Thema „soziale Gerechtigkeit bei der Erhebung von Kommunalabgaben“. Das Thema bewegt viele Menschen in Thüringen und hat auch für DIE LINKE enorme Bedeutung. Ein Grundsatz unserer Politik ist die soziale Gerechtigkeit“. Dieser Grundsatz gilt auch für das Thema Kommunalabgaben“. Wir wollen sozial gerechte Kommunalabgaben für alle Bevölkerungsgruppen. Entlastungen auf einer Seite dürfen nach unserer Überzeugung nicht zu ungerechtfertigten Belastungen bei anderen Bevölkerungsgruppen führen.

Einerseits haben Sie dankenswerter Weise in Ihrer Frage ein konkretes Beispiel angeführt, so dass ich mich in meiner Antwort eigentlich auch konkret zu diesem Beispiel äußern wollte. Andererseits betrifft Ihr Beispiel einen anderen Regelungsbereich. Ihr Beispiel bezieht sich auf das Erschließungsrecht nach Baugesetzbuch. Dabei handelt es sich um Bundesrecht und hier hat DIE LINKE derzeit keinen wesentlichen Reformbedarf. Will die Gemeinde bisher nicht erschlossene Grundstücke erschließen, muss sie diese Grundstücke beplanen und hierfür eine Erschließungssatzung und eine Erschließungsbeitragssatzung erlassen. In diesen Satzungen sind auch die Kostenbeteiligungen für die Grundstückseigentümer geregelt. Für DIE LINKE ist es unumstritten, dass bei der erstmaligen Erschließung eines Grundstücks die Grundstückseigentümer an den Erschließungskosten beteiligt werden. Die Kostenbeteiligung für die Grundstückseigentümer beträgt dabei 90 Prozent. Bei einem vorhabensbezogenen Bebauungsplan muss der Grundstückseigentümer sogar alle Erschließungskosten selbst tragen (Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Erschließungsvertrages). Hier strebt DIE LINKE keine Veränderungen an.

Ich vermute jedoch, dass sich Ihre Frage auf das Ausbaurecht nach dem Thüringer Kommunalabgabengesetz bezieht. Die von Ihnen nachgefragten Sachverhalte könnten sich dabei auf Grundstücke im sogenannten unbeplanten Innenbereich beziehen. Hier findet man unbebaute Grundstücke, die bebaubar sind. Die Bebaubarkeit dieser Grundstücke ergibt sich dabei auch aus dem Vorhandensein (der Möglichkeit) der Wasserver- und Abwasserentsorgung. Zudem muss das Grundstück straßenseitig erschlossen sein. Die Antwort auf diese Fragestellung ist komplex, ich bitte hier um Verständnis.

Hinsichtlich der Wasserversorgung hat sich Ihre Frage erübrigt, weil der Landtag zum

1. Januar 2005 die Wasserbeiträge gesetzlich abgeschafft hat. Bereits gezahlte Wasserbeiträge wurden an die Bürger und die Wirtschaft zurückerstattet, zwischenzeitlich nach Angaben der Landesregierung 168 Millionen EUR. Die Wasserversorger mussten zudem auf geplante Wasserbeiträge von rund 400 Millionen EUR verzichten. Zum 1. Januar 2004 hatten nur

43 der 103 Thüringer Wasserversorger das Finanzierungsinstrument „Wasserbeiträge“ genutzt. 60 Wasserversorger haben schon immer alle Investitionen über die Gebühren refinanziert. Dabei gab es keine Informationen, dass Mieter über überhöhte Wasserbeiträge klagten, weil die Aufgabenträger auf die Erhebung von Wasserbeiträgen verzichteten. Auch über den Mieterbund gab es solche Hinweise nicht. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat im April 2009 diese gesetzliche Abschaffung der Wasserbeiträge für verfassungskonform erklärt. Bereits im Zusammenhang mit der Abschaffung der Wasserbeiträge gab es Diskussionen, ob dies nicht zu Ungerechtigkeiten führt, indem die Wertsteigerung von Grundstücken nicht doch durch die Nichteigentümer (also die Mieter) finanziert werden würden. Diese Bedenken halte ich für zulässig, aber nicht begründet. Wasserversorgungseinrichtungen gehören nach meiner Überzeugung zu Einrichtungen der Daseinsvorsorge (ebenso wie Abwassereinrichtungen und Straßen). Die Finanzierung derartiger Einrichtungen muss in Anhängigkeit von der Inanspruchnahme erfolgen, also im Wasser- und Abwasserbereich über die Gebühren. Bestandteil der Gebühren sind auch die Investitionskosten. Und so bezahlt jeder Nutzer, also Mieter und Grundstückseigentümer, anteilig über den Verbrauch auch für die notwendigen Investitionen.

Die 60 Wasserversorger, die zu keinem Zeitpunkt Wasserbeiträge erhoben hatten, waren erstaunlicher Weise auch nicht von hohen Gebühren geprägt. Die kommunale Praxis hat damit den Nachweis selbst erbracht, dass der Verzicht auf Beiträge nicht zwingend zu hohen Gebühren führen muss. Im Gegenteil, eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass eine reine Gebührenfinanzierung sich unmittelbar auf das Investitionsverhalten der Aufgabenträger auswirkt. Die Aufgabenträger planten bei einer reinen Gebührenfinanzierung ihre Investitionen bedarfsorientierter. Bei der Beitragsfinanzierung hingegen haben Aufgabenträger ihre Investitionen stärker angebotsorientiert realisiert, weil sie eben verbrauchsunabhängig die Investitionskosten über die Beiträge refinanzieren konnten.

Natürlich gibt es ein Problem bei den unbebauten, aber bebaubaren Grundstücken, die über lange Sicht nicht bebaut werden. Dort fallen wegen des fehlenden Anschlusses keine Gebühren an. Doch weshalb soll ein Grundstückseigentümer für etwas heute zahlen, was er über absehbare Zeit nicht in Anspruch nimmt? Wird das Grundstück bebaut, fallen auch Gebühren an und weil in die Einrichtungen ständig investiert wird, beteiligt er sich auch dann (aber eben erst, wenn ein Verbrauch anfällt) anteilig an den Investitionskosten über die Gebühr.

Ich möchte auch darauf verweisen, dass die Mieter nur scheinbar an den Beiträgen nicht beteiligt sind. In Thüringen wohnen 70 Prozent der Mieter bei kommunalen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften. Ich selbst bin Mitglied des Aufsichtsrates der Wohnungsbaugesellschaft Arnstadt. Wir haben rund 4.000 Wohnungen mit rund 12.000 Mietern. Wenn die Gesellschaft Abwasser- oder Straßenausbaubeiträge zahlen muss (bis 2004 auch Wasserbeiträge), können diese nur aus den Mieteinnahmen finanziert werden. Dieses Geld fehlt der Gesellschaft dann bei Modernisierungs- und Werterhaltungsmaßnahmen, insbesondere im energetischen Bereich und bei der Wärmedämmung. Dadurch können die Betriebskosten für die Mieter nicht wie geplant reduziert werden und die Mieter müssen hier draufzahlen. Deshalb halte ich von dieser Diskussion „Entlastung Grundstückseigentümer = Belastung der Mieter“ nicht viel. Zum Schluss zahlen alle drauf, wenn Aufgabenträger und Gemeinden nicht bedarfsorientiert und vernünftig investieren. Und über eine reine Gebührenfinanzierung entsteht der notwendige Kostendruck für die Zweckverbände, ihr Investitionsverhalten am Bedarf und dem Notwendigen auszurichten. Am Beispiel des Wasser- und Abwasserzweckverbandes Arnstadt und Umgebung (WAZV) will ich das belegen. Der Verband musste 3,6 Millionen EUR Wasserbeiträge an die Bürger zurückerstatten und auf die geplante Erhebung von Wasserbeiträgen von rund 20 Millionen EUR verzichten. Trotzdem konnte der Verband die Wassergebühren senken und seit 2008 sogar an die Mitgliedsgemeinden 300.000 EUR Gewinn (genannt Rücklagenausschüttung) zahlen.

Klar, mir sind auch Einzelbeispiele bekannt, die meiner Argumentation entgegenstehen. Solche Einzelfälle gibt es in allen kommunalen Gebühren-, Beitrags- und Entgeltsystemen.

So gab es Diskussionen im Zusammenhang mit Mieterfamilien mit mehreren Kindern. Bedarfsgemeinschaften bei Hartz IV und Wohngeldbezieher sind dabei nicht betroffen, weil hier die Gebühren Bestandteil der Kosten der Unterkunft und des Wohngeldes sind. Jedoch für Haushalte mit geringeren Einkommen über den Schwellenwerten für Hartz IV und dem Wohngeld könnten höhere Gebührenbelastungen bei Beitragswegfall entstehen. Mit dieser Problematik haben wir uns als LINKE intensiv beschäftigt. Aus der kommunalen Praxis sind uns bisher keine diesbezüglichen Beispiele bekannt. Sollten Sie über derartige Beispiele verfügen, bin ich an Informationen immer interessiert. Obwohl uns bisher keine Beispiele bekannt sind, haben wir für diese Problematik in unserem Konzept Lösungsvorschläge unterbreitet. Wir haben dabei auf bisherige Regelungen im Zusammenhang mit der so genannten Finanzhilferichtlinie zurückgegriffen. Hier sind Höchstgrenzen für die Wasser- und Abwassergebühren definiert. Diese liegen derzeit bei 5,35 EUR pro Kubikmeter Wasser und Abwasser, einschließlich Grundgebühr. Wird diese Grenze überschritten, haben die Aufgabenträger ein Konsolidierungskonzept zu erstellen, so dass innerhalb von vier Jahren die Gebührenhöchstgrenze gesichert wird. Hierfür erhalten die Zweckverbände Finanzhilfen des Landes. Wie gesagt, dies ist bereits jetzt Praxis und wird von uns nur konkretisiert, z. B. dahingehend, dass wir die Fusion von Zweckverbänden nicht ausschließen, wenn die die Vorgaben nicht erfüllen können. Im Übrigen hat das Verfassungsgericht auch entschieden, dass derartige Pflichtverbände im öffentlichen Interesse durchaus möglich sind und keinen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung darstellen.

Jetzt noch einige Anmerkungen zu den Abwasserbeiträgen. Diese sind (ebenso wie die Straßenausbaubeiträge) eine bundesdeutsche Besonderheit und gibt es in keinem anderen Mitgliedstaat der EU. Doch auch in der Bundesrepublik gibt es die Ausbaubeiträge nicht mehr flächendeckend. In Bremen und Hamburg sind diese Beiträge nicht eingeführt, Baden Württemberg hat vor über zehn Jahren die Straßenausbaubeiträge gesetzlich abgeschafft. In Thüringen sind von den Abwasserbeiträgen nur noch die Hälfte der Bevölkerung betroffen, da 47 Aufgabenträge eine reine Gebührenfinanzierung vornehmen. Da ist schon die Frage statthaft, weshalb nicht auch für die andere Hälfte der Bevölkerung dieses Finanzierungsmodell abgeschafft werden soll. Die Beitragsbelastung ist auch recht unterschiedlich und differiert um bis zu 500 Prozent. Im südlichen Ilm-Kreis müssen die Bürger beispielsweise nur 1,16 EUR pro Quadratmeter gewichtete Grundstücksfläche zahlen, während im nördlichen Ilm-Kreis der Abwasserbeitrag 3,40 EUR pro Quadratmeter gewichtete Grundstücksfläche beträgt und dies bei vergleichbaren Gebührenniveau. Das hier Bürger Unverständnis äußern, kann ich nachvollziehen.

Die CDU hat nun durch das so genannte „Beitragsbegrenzungsgesetz“ den Fortbestand der Abwasserbeitragserhebung beschlossen. Dies wird dem land in den nächsten Jahren weitere 1,8 Milliarden EUR kosten. Unser Konzept der Abschaffung der Abwasserbeiträge ist auch nicht zum Nulltarif zu haben. Es würde aber „nur“ 700 bis 800 Millionen EUR kosten und endlich mit einem überhalten Finanzierungssystem Schluss machen. Die enormen Kosten sind das Resultat einer völlig verfehlten Abwasserpolitik in Thüringen, das einseitig auf zentrale Anlagen setzte. Hier fallen enorme Investitionskosten in die Leitungssysteme an. Über 3,5 Milliarden EUR wurden schon investiert und weitere 3,5 Milliarden sind in den nächsten Jahren geplant. Hier ist ein Umdenken erforderlich. Durch verstärkte Orientierung auf dezentrale Anlagen ließen sich erhebliche Investitionskosten sparen, was auch zu einer Kostenentlastung für die Bürger führen würde.

Wenn Sie hier Nachfragen zum Konzept der LINKEN haben, werde ich diese gern beantworten.

Abschließend noch einige Anmerkungen zu den Straßenausbaubeiträgen. Thüringen hat hier die schärften Regelungen. Gemeinden müssen in Thüringen unabhängig von ihrer Finanzkraft für alle Ausbaumaßnahmen Beiträge erheben und dies rückwirkend bis 1991. In Sachsen hingegen können die Gemeinden selbst entscheiden, ob und in welcher Höhe sie Beiträge erheben. Diese Regelungen fordern wir auch für Thüringen. Mittelfristig müssen auch diese Beiträge abgeschafft und der Ausbau von Gemeindestraßen steuerfinanziert werden, so wie dies bei Bundesstraßen, Landes- und Kreisstraßen auch schon der Fall ist. Die Gemeinden brauchen hier einen finanziellen Ausgleich, z. B. über die Beteiligung an der KFZ- und/oder Mineralölsteuer.

Um hier nochmals auf das Beispiel des unbebauten aber bebaubaren Grundstücks im unbeplanten Innenbereich zurückzukommen: Diese Grundstücke liegen an bereits öffentlich gewidmeten Straßen. Die Baugenehmigung wird dabei unabhängig vom Zustand der Straße erteilt. Hier gilt auch: Straßen sind Einrichtungen der Daseinsvorsorge und deren Ausbau ist steuerfinanziert zu erfolgen. Die Nutzer sind der motorisierte Verkehr und dafür werden Steuern erhoben und die müssen auch für den Ausbau eingesetzt werden. Auch hier bin ich gern bereit, Nachfragen zu beantworten. Dies ist unbestritten sachdienlicher als noch umfassenderer Ausführungen an dieser Stelle.

Mit freundlichem Gruß

Frank Kuschel