Frage an Frank Heinrich von Edeltraud H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Heinrich,
ich wende mich an Sie wegen der anstehenden parlamentarischen Abstimmung zum Vertragsentwurf des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).
Auf abgeordneten-check.de ist zu ersehen, dass an Sie bereits 33 Anfragen diesbezügliche gerichtet wurden, die Sie im Gegensatz zu anderen Abgeordneten unbeantwortet gelassen haben.
Der Vertragsentwurf weckt bei mir folgende Bedenken hinsichtlich seiner demokratischen Legitimation:
Gemäß Art. 8 Abs. 4 verpflichten sich die ESM-Mitglieder, bedingungslos und unwiderruflich, ihre Einlage auf das Grundkapital (700 Milliarden €) zu leisten. Dem Wortlaut nach sind damit auch zukünftige Regierungen gebunden. Nach Art. 10 Abs. 1 kann der Gouverneursrat Änderungen des Grundkapitals, d.h. auch Aufstockungen, beschliessen.
Darüberhinaus ist der ESM gem. Art. 17 Abs. 1 ermächtigt, zur Erfüllung seiner Aufgaben auf den Kapitalmärkten Kredite von Banken, Finanzinstituten oder sonstigen Personen oder Einrichtungen aufzunehmen. Eine parlamentarische Kontrolle dieser Kreditaufnahmen ist nicht vorgesehen.
Die Kontrolle des Organs wird durch Art. 25 geregelt „Die Prüfung der Rechnungsführung des ESM erfolgt durch unabhängige externe Prüfer, die vom Gouverneursrat bestätigt werden.“ D.h. der zu Prüfende wählt seine Prüfer selbst aus.
Durch die Immunitätsklauseln der Art. 27 und 30 sind die Mitglieder des Gouverneursrats sowie seine Direktoren der parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle gänzlich entzogen.
Der Vertragsentwurf beschränkt in der vorliegenden Form die Budgethoheit des Bundestages wesentlich.
Ich bitte Sie daher, Ihre Entscheidung bei der für den 23.09. geplanten Abstimmung wohl abzuwägen. Sie stehen in Ihrer Fraktion nicht allein, wenn Sie sich dagegen aussprechen sollten.
Ihrer öffentlichen Antwort sehe ich mit Interesse entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
Edeltraud Höfer
Sehr geehrte Frau Höfer,
bevor ich inhaltlich auf Ihr Anliegen eingehe, lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen:
1} Nicht alle Fragen lassen sich schnell beantworten, und schon gar nicht öffentlich. Der Meinungsbildungsprozess ist gerade für Politiker mit einem anderen Arbeitsschwerpunkt, in meinem Fall Sozial- und Menschenrechtspolitik, ein langer Weg. Ich kann da nur um Verständnis bitten. In der kommenden Woche nun soll zwar noch nicht über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, wohl aber über den sogenannten Euro-Rettungsschirm entschieden werden, darum äußere ich mich nun.
2) Den folgenden Text werde ich auf der von Ihnen angesprochenen Seite "Abgeordnetencheck.de" veröffentlichen: "Gerne beantworte ich Fragen von Bürgern. Dies geschieht auf Abgeordentenwatch.de regelmässig. Dort finde ich ein neutrales Forum, und habe DORT auch auf eine ähnliche Frage reagiert. Abgeordnetencheck dagegen hat eine klare ideologische Stossrichtung, für die die ich mich nicht einspannen lassen möchte. Für unseriös halte ich, dass Abgeordnetencheck sogenannte "Copy-and-paste" Anfragen zulässt, die in der Praxis dazu führen, dass wir Politiker mit Anfragen überschwemmt werden, die uns an unserer tatsächlichen Arbeit hindern. Wer sich über meine Arbeit und meine Ansichten informieren möchte, ist auch eingeladen, meinen Newsletter zu abonnieren (www.frankheinrich.de/kontakt/newsletteranmeldung.html)."
Die Tragweite unserer Entscheidungen, daraus mache ich kein Hehl, bereitet nicht nur mir persönlich große Bauchschmerzen. Nicht nur der Euro steht auf der Kippe, sondern der Europäische Gedanke. Eine Periode von über 60 Jahren ohne Krieg - die Länder der EU können stolz sein auf das Erreichte der vergangenen Jahrzehnte. Es ist ein Europa entstanden, in dem nationale Identitäten und ein friedliches Miteinander Platz gefunden haben. Der europäische Wirtschaftsraum hat darin eine besondere Rolle gespielt - wer Handel treibt, braucht Frieden und Rechtssicherheit, so die Gedanken der "Architekten" des gemeinsamen Europa, zu denen zu allererst Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, aber auch ein Helmut Schmidt und natürlich Helmut Kohl zu zählen sind. Insofern bedingen sich Diskussionen um die Stabilität der Währung oder um ein Europa als Wertegemeinschaft gegenseitig.
Hier wurden Fehler gemacht. Die heutige Krise hat sowohl mit wirtschaftlichen Fehlern (ungenaue Überprüfung der Beitrittskriterien, Nichteinhalten der Maastrichtkriterien) als auch mit einem Werteverlust (z.B. durch Korruption) zu tun. Insofern braucht es neben schnellen Hilfen, und da unterstütze ich den Euro- Rettungsschirm als Notfallinstrument, welches durch die Troika aus EZB, IWF und EU mit klaren Auflagen verbunden sein muss, auch eine längerfristige Grundsatzdebatte und -reform der EU, sowohl wirtschaftlich-strukturell als auch moralisch. Ein Ziel muss dabei auf jeden Fall sein, nicht weiterhin Schulden zu machen. Der ESM macht dabei nur dann Sinn, wenn er mit klaren Kompetenzen ausgestattet wird - sonst würde er in der Praxis ebenso ausgehöhlt wie dies in der Vergangenheit mit Stabilitätskriterien geschehen ist. Der Vertragsentwurf, auf den Sie sich beziehen, zielt dementsprechend nicht darauf, nationale Interessen aufzugeben, sondern will versuchen, die Gemeinschaft vor negativen nationalen Alleingängen und Betrug zu bewahren. Diesen Weg werde ich unterstützen.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Heinrich MdB