Frage an Florian Pronold von Volker K. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Pronold,
die SPD setzt sich für die Abschaffung des Ehegattensplittings ein. Wie wollen sie den betroffenen Familien dann noch die Wahlfreiheit zwischen Beruf und Familie ermöglichen?
Mit meiner Frau zusammen habe ich vier Kinder. Vor den Kindern waren wir beide arbeiten und verdienten nahezu gleichviel, profitierten also nicht vom Ehegattensplitting. Mit den ersten beiden Kindern setzte meine Frau ihre Berufstätigkeit aus um die Kindererziehung zu übernehmen. Nach den zwei Söhnen bin ich jetzt für die Kinderbetreuung und Erziehung zuständig. Die gemeinsame Zeit ist uns wichtig und wir wollen das als Familie zusammen schaffen. Mit einer Abschaffung des Ehegattensplittings und den dadurch entstehenden finanziellen Verlusten würden sie aber mich wieder in die Arbeit zwingen - und unsere Kinder in die Krippe. Vom Splitting profitieren vor allem Familien mit kleineren Kindern! Wenn ich wieder die Arbeit aufnehme wenn die Kinder groß genug sind, hat das Splitting keinen steuerlichen Vorteil mehr da wir beide wohl immer noch ähnlich viel verdienen werden.
Zwei konkrete Fragen:
Ist es Ziel der SPD Familienpolitik den Eltern die Erziehung aus der Hand zu nehmen?
Wie wollen sie die finanziellen Einbußen nach Abschaffung des Ehegattensplittings ausgleichen?
Sehr geehrter Herr Kauder,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Um es vorwegzunehmen: Die SPD will das Ehegattensplittung nicht abschaffen, sondern weiterentwickeln. Unser Ziel ist, dass das Geld bei den Kindern ankommt. Die Berichterstattung in den Medien nach der Sitzung des SPD-Parteivorstandes am 10./11.01.2011 war insofern nicht korrekt.
Bei der Weiterentwicklung des Ehegattensplittings verfolgt die SPD zwei zentrale Ziele:
Zum einen sollen Familien, unabhängig von einem Trauschein, von ihrer Konstellation oder von dem zugrunde gelegten Lebensmodell, gezielt gefördert werden. Darunter verstehen wir zum Beispiel höhere Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, also in den Ausbau von Kindertageseinrichtungen und Ganztagsschulen. Alle Kinder sollen von Anfang an gleiche Bildungschancen erhalten. Zum anderen kann so eine größere Vereinbarkeit von Familie und Beruf realisiert werden, indem beide Eltern bzw. Alleinerziehende ihrem Beruf nachgehen können, ohne sich aufgrund einer mangelhaften Infrastruktur gegen diesen entscheiden zu müssen. Dieser Aspekt ist entscheidend, um die Überlegungen zu einer Änderung des bisher geltenden Ehegattensplittings nachvollziehen zu können.
Im jetzt vorgelegten SPD-Fortschrittsprogramm heißt es wörtlich: „Auch das Ehegattensplitting muss zeitgemäß reformiert werden. Dies ist zwingend notwendig, weil diese Form der Steuererhebung angesichts der Vielfalt von Lebensentwürfen fernab der klassischen Ein-Personen-Versorger-Ehe nicht mehr zeitgemäß ist. Überfällig ist eine Weiterentwicklung, durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert wird. Gleichzeitig müssen Haushalte mit Kindern steuerlich bessergestellt werden. Denn nirgends ist der Lohnabstand von Normalarbeitnehmern zum Sozialhilfeniveau so klein wie bei Familien mit mehreren Kindern.“
Es steht außer Frage, dass wir Sozialdemokraten den grundgesetzlich verankerten Schutz der Ehe und der Familie wahren wollen. So soll auch künftig selbstverständlich den bestehenden gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen durch entsprechende Abzugsbeträge angemessen Rechnung getragen werden. Dies hat die SPD auch ausdrücklich in ihrem Parteitagsbeschluss vom September 2010 festgeschrieben.
Als politisch Verantwortliche müssen wir allerdings auch auf den Umstand reagieren, dass die reale Situation von Lebensgemeinschaften mit Kindern und von Partnerschaften im Allgemeinen durch das Ehegattensplitting nicht mehr abgebildet wird. Nicht Kinder werden gefördert, sondern ein bestimmtes Modell der Einverdiener-Ehe – egal, ob Kinder im Haushalt leben oder nicht. Eltern ohne Trauschein oder Eltern, die beide berufstätig sind, werden trotz der oft damit verbundenen höheren (Betreuungs-) Kosten deutlich benachteiligt. Dem jetzigen Modell liegen Geschlechterrollen zugrunde, die der gesellschaftlichen Realität im Jahr 2010 nicht mehr entsprechen. Außerdem wirkt sich das Ehegattensplitting am stärksten aus, wenn der Einkommensunterschied zwischen den Ehepartnern besonders hoch ist und der „Hauptverdiener“ entsprechend hohe Einkünfte hat – und das unabhängig davon, ob Kinder erzogen werden oder nicht. Dies entspricht nicht dem sozialdemokratischen Verständnis einer gerechten Steuerpolitik.
Selbstverständlich muss eine Reform des jetzigen Modells verfassungskonform sein. Im Kern heißt das, das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG (Ehe und Familie) zu wahren. Jedoch muss aber auch dem Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 GG Rechnung getragen werden. Es ist uns Sozialdemokraten bewusst, dass ein ersatzloser Wegfall des Ehegattensplittings nicht nur verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen würde, sondern auch diejenigen treffen würde, die sich vor langer Zeit für eine bestimmte Aufgabenteilung entschieden haben. Deshalb haben wir diese Situation in unserem Parteitagsbeschluss auch entsprechend berücksichtigt.
Die Kosten des Ehegattensplittings in seiner derzeitigen Form belaufen sich jährlich auf 20 Milliarden Euro. Bei der Reform geht es uns ausdrücklich nicht um die Erzielung von Einsparungen zugunsten der öffentlichen Haushalte. Wir wollen statt dessen eine Veränderung, mit der nachhaltig, generationengerecht und zeitgemäß in eine intelligente Umgestaltung der jetzigen Struktur investiert werden kann. In eine Struktur, die Familien und Kinder in den Blick nimmt und dort unterstützt, wo sie es am nötigsten brauchen, nämlich bei der Bildung und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das Recht und die Pflicht der Eltern nach Art. 6 Abs. 2 GG zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder bleibt davon unberührt.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Pronold, MdB