Frage an Felix Leinen von Lutz C. bezüglich Finanzen
jeder weiß, dass es in der Natur für jedes Wachstum eine optimale Obergrenze gibt - kein Baum wächst in den Himmel und kein Mensch über das 20. Lebensjahr hinaus.
Jeder weiß auch, dass man bei gleichbleibender Leistung und gleichbleibendem Einkommen eigentlich nicht ärmer werden kann. Im Gegenteil: Auch ohne Wirtschaftswachstum kann jeder seinen Wohlstand durch Anhäufungen langlebiger materieller und geistiger Güter steigern, bei Produktivitätssteigerungen sogar mit sinkender Arbeitszeit! Warum aber drohen uns Ökonomen Verluste an, wenn sich die Wirtschaftsleistung stabilisiert? Warum werden Politikern die Knie weich, wenn die Wachstumsraten gegen Null zu sinken drohen? Warum rufen Gewerkschaften und Unternehmerverbände unisono nach Wirtschaftswachstum und warum wagt kaum noch jemand, auf die damit verbundenen Umweltfolgen hinzuweisen? Einen Lösungsansatz für das Dilemma, in dem sich Wirtschaft und Politik mit dem Zwang zu immer mehr Wachstum befinden, findet man bei den Vertretern der Freiwirtschaft:
Bekanntlich wird das Sozialprodukt in jedem Jahr zwischen Kapital und Arbeit aufgeteilt. Dem Kapital werden die Zinsen garantiert, das Arbeitseinkommen ist variabel. Sinkt das Wachstum unter das Zinsniveau kann es daher nur auf Kosten der Arbeitseinkommen gehen, das dann mit einem entsprechend kleineren Teil vom Kuchen des BIP vorlieb nehmen muss. Sinken die Zinsen wird das Geld zunehmend gehortet und dem Geldkreislauf entzogen oder geht in die Spekulation. Dieser Mechanismus führt zu einer immer stärkeren Umverteilung von der Arbeit zum Kapital und zu extrem unsicheren Finanzmärkten. Die Folgen: zunehmender Nachfragemangel, Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen, Wirtschaftskrisen letztlich bis zum Kollaps.
Die Freiwirtschaft schlägt zur Überwindung dieses Systemfehlers eine kleine Änderung vor: anstatt dem Geld zur Sicherung des Geldumlaufes mittels Zinsen und Inflation Beine zu machen, sollte dies mit einer Gebühr auf Liquidität erreicht werden. Wie stehen Sie dazu?
Sehr geehrter Herr Chmelik:
da Ihre Schilderung des Lösungsvorschlages der Freiwirtschaft (im letzten Satz der Anfrage) sehr knapp bemessen ist, bin ich nicht sicher, ob ich den Lösungsvorschlag richtig verstehe. Jedenfalls bin ich nicht davon überzeugt, daß liquide Geldmittel eine prinzipielle Gefahr für Arbeitsplätze darstellen -- im Gegenteil: Investitionen bilden ja die Voraussetzung für das Entstehen und Unterhalten von Arbeitsplätzen. Und es ist ja auch nicht so, als ob Anleger in gewissen Sitationen ihr Geld zu Hause verstecken, um es dem Wirtschaftkreislauf zu entziehen.
Die Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien sind dem auf die Dauer unhaltbaren Glauben an ständiges Wachstum verhaftet, da sich weite Teile unserer Wirtschaft auf Produktionszweige stützen, die ständiger Rationalisierung unterworfen werden. Um in diesen Bereichen bestehende Arbeitsplätze überhaupt erhalten zu können, müßte in der Tat eine ständige Vergrößerung erfolgen -- siehe etwa Flughafen Frankfurt.
Die ödp vertritt daher eine andere Linie. Uns geht es darum, Arbeitsplätze in Bereichen zu schaffen, die bislang vernachlässigt wurden, personalintensiv sind und zudem ein geringes Rationalisierungspotential aufweisen: Gesundheit, Soziales, Bildung, Handwerk, Energiewende, Rohstoffkreislauf, ökologische Landwirtschaft, etc. Um solche Arbeitsplätze zu erhalten, ist kein quantitatives Wachstum erforderlich. Allerdings würde unsere Lebensqualität erheblich zunehmen, indem wir diese Bereiche ausbauen.
Um kurzfristige spekulative Geldgeschäfte unattraktiv zu machen, bei denen mit großen Summen auf minimale Kursdifferenzen gewettet wird, möchte die ödp eine Tobin-Steuer einführen, deren Erträge der Entwicklungshilfe zugute kommen sollen. (siehe bundespolitisches Programm unter der Rubrik "Links") Vielleicht ist es ja diese Art der "Liquidität", die Sie in Ihrer Schilderung angesprochen haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr ödp-Direktkandidat im Wahlkreis Mainz / Main-Bingen
Felix Leinen