Frage an Farid Müller von Birgit I. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Müller,
dass die von der Verfassung gebotene Vorlage des Gesetzesentwurfs nicht mehr innerhalb der für Abstimmungsunterlagen gesetzlich vorgesehenen Frist versandt werden konnte, war bereits am 27. 9. 2007 absehbar. Frau Gardener und Herr Brandt von Mehr Demokratie e. V. stellten auf einer Pressekonferenz eine mögliche Anfechtung in Aussicht und forderten den Landesabstimmungsleiter auf, „mit neuen Briefen oder Amtlichen Bekanntmachungen in Zeitungen den Gesetzestext öffentlich zu machen“. (taz 28.9., Sven Michael Veit: Ungereimter Volksentscheid). Für die Feststellung, dass es zu Rechtsverletzungen kam, muss man nicht erst die Ergebnisse der Auszählung abwarten.
Sie haben mir eine Frage gestellt. Sie lautete:
„Was wäre denn gewonnen, wenn das laufende Abstimmungsverfahren abgebrochen würde?“
Meine Antwort ist:
Durch einen frühzeitigen Antrag beim Hamburgischen Verfassungsgericht wäre das laufende Abstimmungsverfahren nur unterbrochen, nicht notwendigerweise abgebrochen worden.
Gewonnen wäre:
- mein Vertrauen darauf, dass Abgeordneten des Volkes die Orientierung am Rechtsstaatsprinzip ganz unabhängig von ihren jeweiligen verfassungspolitischen Zielen wichtig ist,
- mein Vertrauen darauf, dass den Abgeordneten die von „Stellungnahmen“ unabhängige Möglichkeit jedes einzelnen Bürgers wichtig ist, einen so komplexen Gesetzentwurf zu prüfen und
- für den Fall, dass das gesamte Verfahren wiederholt werden muss: etwa 2 Millionen €, die meines Erachtens für sozialpolitische Ziele zum Beispiel in Billstedt besser investiert wären, als für eine Volksabstimmung, die vermutlich kein Gesetzgebungsakt sein wird, sondern nur ein verfassungspolitisches „Signal“.
Ich boykottiere diesen Volksentscheid nur am 14. Oktober. An einem eindeutig verfassungs- und rechtmäßigen Verfahren werde ich teilnehmen.
Meine Frage lautet:
Ist es Ihnen möglich, meinen Boykott als politisches Signal für Ihre zukünftigen Entscheidungen als Abgeordneter ernst zu nehmen?
Freundlichen Gruß
Birgit Imroll
Sehr geehrte Frau Imroll,
wer eine Wahl anficht, muss nicht nur darlegen, dass es Fehler gab. Es muss auch dargelegt werden, dass dieser Fehler Auswirkungen auf das Wahlergebnis hatte. Meines Ermessens nach dürften diese Wahl-Anfechtungsregeln analog auf eine Volksabstimmung anwendbar sein. Das bedeutet: Ja, Fehler sind erkennbar. Dennoch bleibt die entscheidende Frage: Haben sich diese auf das Ergebnis ausgewirkt? Und um diese Frage beantworten zu können, muss ich zwingend das Ergebnis kennen.
Konkret zu Ihren drei Punkten:
- Wenn Ihr Vertrauen dadurch gestärkt wird, dass ein Volksentscheid abgebrochen wird, wird das anderer Bürgerinnen und Bürger vielleicht gerade durch eine Unterbrechung geschwächt. Dies vermag also nicht zu überzeugen.
- Die Prüfung des Gesetzentwurfs war ja dadurch, dass er nicht verschickt wurde, sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Aber genau diese Frage bedarf einer intensiven Prüfung, die auch wieder mit dem Gesamtergebnis zu tun hat. Siehe oben - nicht jeder Fehler ist gleich eine Verfassungsverletzung.
- Die Kostenfrage überzeugt mich nicht. Die Kosten für den Volksentscheid wären auch entstanden, wenn der Volksentscheid unterbrochen worden wäre.
Also noch einmal zusammengefasst: Wir haben sichtbar Fehler im Verfahren. Ob diese Fehler verfassungsrechtliche Relevanz haben, ergibt sich erst aus dem Gesamtergebnis. Deswegen werden wir erst gründlich prüfen und dann entscheiden.
Zu Ihrer letzten Frage: Ich nehme Ihre Fragen sehr ernst und danke für Ihr so ausgedrücktes Engagement. Ihren Boykott finde ich nicht schlüssig, weil ich zwar die Gründe dafür verstehe, aber nicht die von Ihnen gezogene Konsequenz.
Mit freundlichen Grüßen
Farid Müller