Frage an Farid Müller von Birgit I. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Müller,
Sie sind verfassungspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion.
In Artikel 50 (3) der Hamburger Verfassung heißt es wörtlich: „Der Senat legt den Gesetzentwurf [...] dem Volk zur Entscheidung vor.“
Auf „zahlreiche Bürgeranfragen nach dem Wortlaut des zur Abstimmung stehenden Gesetzesentwurfs“ reagierte die Stadt Hamburg am 27. 9. 2007 mit einer Pressemeldung. Hierin wird erklärt:
„Obwohl keine rechtliche Verpflichtung besteht, ermöglicht ab sofort der Landesabstimmungsleiter allen Interessierten, den Wortlaut des Gesetzesentwurfs der Initiatoren „Hamburg stärkt den Volksentscheid – Mehr Demokratie“ sowie dessen Begründung, anzufordern oder einzusehen.“
1.Ist nach Ihrer Rechtsauffassung das Verfassungsgebot, dem Volk den Gegenstand der Abstimmung vorzulegen, bereits erfüllt, wenn der Gesetzentwurf, der Gegenstand eines Volksbegehrens ist, im Amtlichen Anzeiger bekannt gemacht wird?
Eine Gesetzesvorlage oder eine andere Vorlage ist keine „Stellungnahme“. Die Versendung von so Stellungnahmen sind im Volksabstimmungsgesetz vorgeschrieben, die Versendeung von Vorlagen nicht.
2. Warum fehlt im Hamburgischen Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid eine Vorschrift, die den üblichen Maßstäben einer Antragsvorlage in der parlamentarischen Gesetzgebung entspricht?
3.Warum haben Bürger kein Antragsrecht beim Hamburgischen Verfassungsgericht zur Frage, ob ein Volksentscheid verfassungsgemäß durchgeführt wird?
4.Wird der Volksentscheid nach Ihrer Rechtsauffassung verfassungsgemäß durchgeführt?
5.Werden Abgeordnete Ihrer Fraktion von ihren Antragsrecht beim Hamburgischen Verfassungsgericht Gebrauch machen? Wenn ja, dann wann?
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Imroll
Sehr geehrte Frau Imroll,
vielen Dank für Ihre Fragen. Die Organisation des Volksentscheids ist Mangelhaft. Ganz offensichtlich ist es die Absicht des Senats, diesen Volksentscheid als Abstimmung zweiter Klasse durchzuführen. Unterlagen wurden zu spät oder fehlerhaft verschickt. Der Versand erfolgte als Infopost. Es gibt viel zu wenig Abstimmungsstellen. Und dann der fehlende Gesetzestext.
Umso mehr freut es mich, dass diesen seltsamen Vorkommnissen zum Trotz bereits jetzt mehr als 300.000 Hamburgerinnen und Hamburger abgestimmt haben.
Mittlerweile habe ich zu den Pannen drei Schriftliche Kleine Anfragen gestellt, die Sie hier nachlesen können:
http://www.farid-mueller.de/cms/default/rubrik/5/5897.htm
Zu Ihren Fragen im Einzelnen:
1. Nein, nach meiner Rechtsauffassung ist die Bekanntmachung im Amtlichen Anzeiger nicht ausreichend. Ich meine, dass der Gesetzentwurf auch auf anderem Wege bekannt gemacht werden muss. Das habe ich bereits am 28. September in der Bürgerschaft gefordert. Die entsprechende Presseerklärung finden Sie hier:
http://www.farid-mueller.de/cms/default/rubrik/5/5898.htm
2. Nach meiner Meinung fehlt eine ausdrückliche Vorschrift, weil sich niemand vorstellen konnte, dass irgendein Senat darauf verzichten könnte, einen Gesetzentwurf zu versenden. Aus dem gleichen Grund steht ja auch nicht in der Verfassung, dass Volksentscheide respektiert werden müssen: Niemand konnte sich vorstellen, dass einmal ein Senat erklären würde, Volksentscheide gingen ihn nichts an.
3. Leider gibt es beim Hamburger Verfassungsgericht keine Verfassungsbeschwerde. Das liegt u. a. auch daran, dass es keine Grundrechte in der Hamburger Verfassung gibt. Daran müsste meiner Meinung nach etwas geändert werden.
4. Ich möchte diese Frage ausdrücklich bis zum Abschluss des Volksentscheids offen lassen. Erst wenn das amtliche Endergebnis vorliegt, kann ich Verfahren und Ablauf des Volksentscheids vollständig würdigen. Ich bitte um Verständnis. Aber dass diese Frage geprüft werden muss, kann ich bereits jetzt bejahen.
5. Wir werden zunächst das Ende des Volksentscheids abwarten. Dann werden wir alle Fakten prüfen. Wenn sich ausreichend Anhaltspunkte für eine Anfechtbarkeit ergeben, werden wir in jedem Fall auf eine Überprüfung dringen.
Wir Grüne haben ja bereits zweimal den Senat erfolgreich vor dem Verfassungsgericht verklagt. Beim ersten Urteil wurde es dem Senat verboten, Volksentscheide an Wahltagen zu verbieten. Beim zweiten Mal wurde die so genannte "Relevanzschwelle" beim Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt.
Ich hoffe, Ihre Fragen umfassend beantwortet zu haben. Wegen der Antwort auf Frage 4. freue ich mich auf Ihre erneute Frage nach dem Ende der Auszählung.
Viele Grüße
Ihr
Farid Müller