Frage an Farid Müller von Dirk W. bezüglich Recht
Vor einiger Zeit stieß ich bei meinem täglichen Nachrichtenstudium auf die Pressemitteilung der Innenbehörde “St. Pauli muss noch sicherer werden”, in welcher sozusagen ein partielles Glasflaschenverbot im Bereich der heute schon bestehenden Waffenverbotszone angekündigt wird.
Grundsätzlich frage ich mich, wie viele Verbote und Einschränkungen muss ich als Bewohner des Stadtteils St. Pauli noch hinnehmen? Bei jedem Schritt in die “böse Zone” werde ich durch unzählige Videokameras überwacht. Ich darf rein rechtlich nicht einmal ein Kartoffelschälmesser zur Ergänzung meiner Küchenausstattung durch die “böse Zone” transportieren und nun darf ich auch keine Glasflasche in den im Gesetzentwurf genannten Zeiten in der “bösen Zone” erwerben, geschweige denn besitzen.
Erleichtert hat mich die Einschränkung, dass es nur um Getränkeflaschen geht. Also kann ich glücklicherweise weiterhin meinen Ketchub in der “bösen Zone” bei Penny erwerben.
In der Pressemitteilung steht, dass es Ausnahmen für Bewohner geben soll. Bekomme ich nun endlich einen Bewohnerausweis, oder muss ich bei jedem Kauf einer Glasflasche in der “bösen Zone” meinen Personalausweis vorlegen? Oder werden gar Glasflaschenerwerbskarten ausgegeben?
Was passiert, wenn ich außerhalb der “bösen Zone” in meiner Wohnung zu einer Feierlichkeit einlade, mein Besuch per S-Bahn anreist und sich beim Verlassen dieser sozusagen sofort in der “bösen Zone” befindet und unter Umständen eine Flasche Wein im Handgepäck hat? Muss ich jeden einzelnen Besucher persönlich abholen, oder muss ich, wie damals in der Deutschen Demokratischen Republik eine persönliche Einladung aussprechen, die dann eingereicht werden muss um einen “Passierschein mit Glasflaschenbesitzerlaubnis” zu erhalten?
Es reicht mit Einschränkungen für Bewohner des Stadtteils! Keine dieser Einschränkungen ändert irgendetwas an den gesellschaftlichen Grundproblemen, die letztlich ihren Ausdruck im Verhalten einiger BesucherInnen finden.
Sehr geehrter Herr Warmbold,
Vielen Dank für Ihre Email. Ich habe Sie mehrfach gelesen und viel darüber nachgedacht. Es ist ja so, dass wir erst am Anfang des Gesetzgebungsprozesses stehen, an dessen Ende der Bestmögliche Ausgleich von sehr verschiedenen Interessen stehen soll.
Diese Interessen sind der Schutz vor dem inzwischen evidenten Missbrauch von Glasflaschen als Waffen einerseits und der Schutz der auf St. Pauli lebenden Menschen vor weiteren Beschränkungen andererseits.
Diese beiden Interessen decken sich nur da, wo auch die Einwohnerinnen und Einwohner besser vor dem Missbrauch von Flaschen als Waffen geschützt werden. Sie sind ansonsten Gegensätze. Die Aufgabe der Politik ist es jetzt einen Kompromiss zu finden, der so wenig wie möglich beeinträchtigt und so gut wie möglich schützt.
Dass wir vor dem Missbrauch von Glasflaschen schützen müssen, war nicht von Anfang an meine Überzeugung. Ich habe mir sorgfältig die Zahlen und die Modalitäten der Übergriffe und Körperverletzungen präsentieren lassen. Sie sind aber so hoch, dass gehandelt werden muss.
Wer jetzt einwendet, mit einem Glasflaschenverbot werde nur an den Symptomen, nämlich den zunehmenden Körperverletzungen per Glasflaschen, gearbeitet, nicht aber an den Ursachen der Gewalt, hat nicht Unrecht. Nur haben wir diese Symptome und müssen deswegen aktiv werden. Über die Konzepte gegen die Ursachen von Gewalt, nicht zuletzt unsere Bildungs- und Sozialpolitik möchte ich jetzt keine zu weit schweifenden Ausführungen machen, aber es gibt sie.
Sie haben ganz Recht, wenn Sie feststellen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner unter der jahrelangen Einordnung des Kiezes als Amüsier- und Tourimeile leiden. Wir Grüne wollen weg von diesem Image und fördern deswegen mehr Kultur, kleine Betriebe und das Wohnen. Das aber ist ein Prozess, der langfristig wirken wird. Das Pestalozziquartier etwa wird strukturelle Veränderungen auf der Westseite der Reeperbahn bringen. Aber es muss gebaut und dann mit Leben gefüllt werden - alles Dinge, die Jahre brauchen.
Ihre Fragen zur konkreten Ausführung des Glasflaschentrageverbots nehme ich in den Gesetzgebungsprozess mit. Es wäre unehrlich, Ihnen zu versprechen, dass wir sie alle in Ihrem Sinne lösen können, dafür ist einfach zu viel passiert. Aber ich verspreche Ihnen, dass wir die Belastungen so gering als irgend möglich halten werden.
Ich werde über die weitere Entwicklung auch auf meiner Website farid-mueller.de informieren.
Mit freundlichen Grüßen
Farid Müller