Frage an Fabio De Masi von Florian B. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrter Herr De Masi,
das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEUV ist als primärrechtlich vorgeschriebener Regelfall in der Praxis, aufgrund der oftmals langen Dauer von der Einbringung bis zur Verabschiedung einer Rechtsvorschrift, nur schwer anwendbar.
Die abgekürzte Gesetzgebung in Form des informellen Trilogverfahrens gewinnt daher innerhalb der EU immer mehr an Bedeutung. Da die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, entsteht hierbei jedoch ein Zielkonflikt zwischen einer schnellen und effektiven Gesetzgebung einerseits und einem transparenten Gesetzgebungsverfahren andererseits.
1. Wäre es überhaupt möglich und realistisch alle Vorschriften exakt nach den in der AEUV genannten Gesetzgebungsverfahren zu verabschieden?
2. Sind die Abgeordneten des Parlaments, welche an den Ausschüssen, die die Trilogverhandlungen führen, teilnehmen, gerecht – also nach Partei/Fraktion – verteilt?
3. Ändern diese Triloge etwas an den Machtverhältnissen?
4. Halten Sie dieses Verfahren mit dem primären Gemeinschaftsrecht und den demokratischen Grundsätzen für vereinbar?
5. Könnte in Zukunft solchen Verfahren auch in den einzelnen Mitgliedstaaten
größere Rollen zukommen?
6. Was könnte Ihrer Ansicht nach für mehr Transparenz in einer dennoch
effektiven Gesetzgebung getan werden?
7. 2012 kam es aufgrund von Kritik am Verfahren zu Korrekturen in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. Hat sich dies Ihrer Meinung nach positiv ausgewirkt?
8. Sind Sie der Meinung, dass dem Lobbyismus durch derartige Verfahren - da auf weniger Personen Einfluss genommen werden muss - eine bedeutendere Stellung in der Gesetzgebung zukommt?
Vielen Dank für Ihre Bemühungen.
Mit freundlichen Grüßen
F. B.
Sehr geehrter Herr B.,
Besten Dank für Ihre Zuschrift zu dem wichtigen Thema der Transparenz der EU-Gesetzgebung.
Zu Ihren Fragen:
1. Wäre es überhaupt möglich und realistisch alle Vorschriften exakt nach den in der AEUV genannten Gesetzgebungsverfahren zu verabschieden?
Das beschleunigte Trilog-Verfahren war als Ausnahme der EU-Gesetzgebung gedacht. Es findet nunmehr aber in etwa 80 Prozent der Fälle Anwendung. Das Trilog-Verfahren sollte nur greifen, wenn begründeter Zeitdruck herrscht und eine hinreichende Transparenz gewährleistet ist ( etwa durch öffentliche Verhandlungen und aussagekräftige Protokolle). Vorschläge hierzu hat die EU-Ombudsfrau eingebracht. http://www.ombudsman.europa.eu/en/cases/summary.faces/de/69213/html.bookmark
2. Sind die Abgeordneten des Parlaments, welche an den Ausschüssen, die die Trilogverhandlungen führen, teilnehmen, gerecht - also nach Partei/Fraktion - verteilt?
Grundsätzlich haben alle Fraktionen die Möglichkeit teilzunehmen. In der Praxis fehlt es den kleineren Fraktionen aber an Personal die zahlreichen Triloge abzudecken. Dies gilt aber nicht nur für Triloge, sondern auch allgemein für die zahlreichen technischen Verhandlungen im Gesetzgebungsprozess des Europäischen Parlaments. So muss ein Abgeordneter einer kleineren Fraktion natürlich mehr Dossiers betreuen als Abgeordnete größerer Fraktionen, da diese bei gleicher Anzahl an "EU-Gesetzen" über mehr Mitglieder verfügen. In den Trilog-Verhandlungen geht es überdies um die Durchsetzung der Mehrheitsposition des Parlaments. Daher spielen Fraktionen, die eine Mehrheitsposition nicht mittragen, eine geringere Rolle im Trilog. Dies hängt auch sehr von den Gepflogenheiten des Berichterstatters des Parlaments ab. Wenn diese oder dieser ein Interesse an bestimmten Aspekten eines Gesetzes hat, werden zuweilen auch die Fraktionen, die eine abweichende Position vertreten, zu einzelnen Aspekten stärker eingebunden. Die größeren Fraktionen haben jedoch in der Regel einen Informationsvorsprung, da sie über direkte Drähte in die Regierungen der Mitgliedsstaaten verfügen und sich außerhalb des Trilogs bereits mit dem Rat oder mächtigen Interessengruppen koordinieren.
3. Ändern diese Triloge etwas an den Machtverhältnissen?
Die Triloge verstärken das existierende Machtgefälle, da hoher Einigungsdruck herrscht. Die Kommission ist ohnehin in einer starken Vetoposition, da sie notfalls drohen kann, einen Gesetzentwurf zurück zu ziehen, da das Parlament jenseits von Vertragsänderungen über kein eigenständiges Initiativrecht in der Gesetzgebung verfügt. So entsteht Druck einer schlechten Einigung zuzustimmen. Denn die Alternative lautet dann häufig: eine schlechte Regulierung oder keine Regulierung (etwa im Finanzmarktbereich).
4. Halten Sie dieses Verfahren mit dem primären Gemeinschaftsrecht und den demokratischen Grundsätzen für vereinbar?
Das informelle Trilog-Verfahren wurde 2004 mit dem Vertrag von Amsterdam eingeführt. Es war jedoch als Ausnahme gedacht. Bei völkerrechtlichen Verträgen wird regelmäßig auch der Kontext bzw. die Absicht der Vertragsparteien gewürdigt. Daran gemessen halte ich das Trilog-Verfahren auch im Hinblick auf die primärrechtliche Grundlage für ausufernd. Dies sieht auch die EU-Ombudsfrau so.
Das Demokratieproblem in der EU ist aber noch viel grundsätzlicher zu betrachten. So haben die EU-Verträge verfassungsähnlichen Charakter. Es wurden aber nur in wenigen Mitgliedsstaaten Referenden hierüber durchgeführt und Volksabstimmungen mit kosmetischen Vertragsänderungen solange wiederholt bis das Ergebnis passte. Auch der Europäische Gerichtshof schafft regelmäßig Richterrecht auf Basis von Kompetenzen, die ihm nicht unmittelbar übertragen wurden.
5. Könnte in Zukunft solchen Verfahren auch in den einzelnen Mitgliedstaaten
größere Rollen zukommen?
Ich würde dies grundsätzlich nicht empfehlen. In Deutschland gibt es ja bereits Vermittlungsverfahren bei geteilter Gesetzgebungskompetenz (etwa mit dem Bundesrat).
6. Was könnte Ihrer Ansicht nach für mehr Transparenz in einer dennoch
effektiven Gesetzgebung getan werden?
Siehe Antwort auf Frage 1
7. 2012 kam es aufgrund von Kritik am Verfahren zu Korrekturen in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments. Hat sich dies Ihrer Meinung nach positiv ausgewirkt?
Ich gehöre dem Parlament erst seit 2014 an und kann daher hierzu keine qualifizierte Stellungnahme abgeben. Ich würde aber sagen, dass die Transparenzprobleme sich nicht verringert haben.
8. Sind Sie der Meinung, dass dem Lobbyismus durch derartige Verfahren - da auf weniger Personen Einfluss genommen werden muss - eine bedeutendere Stellung in der Gesetzgebung zukommt?
Dies tut er ohnehin, da etwa die Expertengruppen der Kommission unausgewogen besetzt sind und bereits bevor ein Gesetzentwurf das Parlament erreicht, erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Ich teile daher zahlreiche Vorschläge von Nicht-Regierungsorganisationen wie CEO und LobbyControl zu mehr Transparenz und Beschränkung der Lobbymacht in der EU. Siehe etwa hier
https://corporateeurope.org/sites/default/files/attachments/ceo_eutr_consultation_response_final.pdf
Weitere Informationen hierzu entnehmen Sie meiner Homepage.
http://www.fabio-de-masi.de/de/topic/14.lobbyismus.html
Mit freundlichen Grüßen,
Fabio De Masi