Frage an Eva Möllring von Sophie A. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Dr. Möllring,
ich bin alleinerziehende Mutter von 3-jährigen Zwillingen.
Mein Mann verstarb bei einem Verkehrsunfall.
Der BGH urteilte jetzt zum Unterhaltsthema u.a.: "....Außerdem müssen Alleinerziehende mit kleineren Kindern nicht ganztags arbeiten, weil das zusammen mit den Erziehungsaufgaben zu einer übermäßigen Belastung führen könne....."
Meine "Fallmanagerin" bei der Arge meinte zu mir: " ...das Urteil interessiert mich nicht, wenn Sie die angebotene Vollzeitstelle nicht annehmen, kürze ich Ihre Regelleistung..."
Ich bin ausgebildete OP Schwester, müsste Schichtdienst arbeiten und möchte dies später auch wieder und bekomme aufgrund meiner Kleinkinder deshalb von meiner Fallmanagerin bisher nur ganztätige Putzstellen oder Prospektaustragstellen angeboten.
Frau Dr. Möllring,
sind nur Frauen, die Unterhalt Ihres Ex beanspruchen, mit Erziehungsaufgaben und Ganztagsarbeit übermäßig belastet ?
Frauen, die von der Arge Leistungen beziehen aber nicht?
Wie sehen Sie dies auch vor dem Hintergrund der Antidiskriminierung?
Ich würde mich sehr über eine konkrete und für mich verständliche Antwort freuen.
Mit bestem Gruß
Sophie Anderlech
Sehr geehrte Frau Anderlech,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 20. Juli 2008, in der Sie schildern, dass Ihre Fallmanagerin Sie trotz Ihrer kleinen Kinder dazu auffordert, eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufzunehmen.
Zunächst möchte ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid für den Verlust Ihres Mannes aussprechen. Ich habe großen Respekt davor, dass Sie ihre kleinen Kinder unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen versorgen und erziehen.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass es mir ohne Kenntnis der Einzelheiten nicht zusteht, über die Entscheidung, die die Sachbearbeiterin in Ihrem Fall getroffen hat, ein Urteil abzugeben. Ich stimme Ihnen jedoch zu, dass auch bei der Gewährung von ALG II berücksichtigt werden muss, welche Arbeitsleistung eine Alleinerziehende neben der Kindererziehung kräftemäßig erbringen kann.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass ALG II eine Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige ist, die von der Gemeinschaft der Steuerzahler finanziert wird. Anders der Unterhaltsanspruch: hier muss sich der Ehepartner und Vater solidarisch an den Familienpflichten beteiligen. Bei der Dauer der Gewährung des Unterhaltes wird z.B. die Einteilung der Kindererziehung und Erwerbsarbeit in der vorangegangenen Ehe bzw. Partnerschaft berücksichtigt. Dabei darf die Belastung des erziehenden Elternteils meiner Meinung nach nicht vielfach größer sein als die des Expartners, der keine Kinder betreut und sich voll auf seine Karriere konzentrieren kann. Der BGH hat mit seiner Entscheidung die hohe Arbeitsbelastung von Alleinerziehenden anerkannt und festgestellt, dass diese selbst bei einer Ganztagsbetreuung des Kindes nicht zwingend nach dem dritten Geburtstag des Kindes wieder voll arbeiten müssen. Welche abgestufte Arbeitsteilung für die alleinerziehenden Elternteile künftig zumutbar ist, werden die Obergerichte zu entscheiden haben.
Wer hingegen eine staatliche Unterstützung in Anspruch nimmt, muss alles unternehmen, um seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, d.h. es muss jede Arbeit angenommen werden, die „zumutbar“ ist, der Hilfebedürftige also dazu geistig, seelisch und körperlich in der Lage ist (§ 10 SGB II). Grundsätzlich ist das der Fall wenn die Kinder älter als drei Jahre sind und in einer Tageseinrichtung oder auf sonstige Weise betreut werden. Der Doppelbelastung von Alleinerziehenden muss dabei Rechnung getragen werden: Die Entscheidung, wie viel Arbeit einer Alleinerziehenden neben der Versorgung ihrer Kinder zugemutet werden kann, ist immer eine Einzelfallentscheidung, bei der die persönlichen Umstände berücksichtigt werden müssen. Anzahl und Alter der Kinder, Kinderbetreuungsmöglichkeiten vor Ort, Entfernung zum möglichen Arbeitsplatz etc. sind hier entscheidende Faktoren. Daher ist es sicher sinnvoll, wenn Sie noch einmal das Gespräch mit Ihrer Fallmanagerin suchen und die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung erörtern. Dies würde jedenfalls ganz klar mit der Gesetzeslage im Einklang stehen. Ich wünsche Ihnen deshalb viel Erfolg und eine wirklich gute Lösung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Eva Möllring, MdB