Frage an Esther Dilcher von Uwe Z. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Dilcher,
die Ereignisse der letzten Tage veranlassen mich Ihnen zu schreiben, denn Sie sind die Volksvertreterin meines Landkreises.
Die britische Regierung hat unbewiesene, haltlose Anschuldigungen im Fall Skripal gegen Russland erhoben. Der Vergleich „Putin‘s Weltmeisterschaft“ mit „Hitler‘s Olympischen Spielen“ ist eine beispiellose, einseitig aggressive Verbalattacke.
Auslöser meines Anliegens an Sie ist jedoch das Verhalten und sind die Äußerungen der deutschen Bundesregierung – im Besonderen von der CDU Kanzlerin und im Speziellen des SPD Außenministers, Herrn Maas. Ein solches Verhalten ist ein weiterer Schritt zum Anheizen eines neuen „Kalten Krieges“ und stellt das Gegenteil einer „Entspannungspolitik durch Annäherung“ eines Willy Brand dar.
Ich frage Sie: Welche Schritte unternehmen Sie um das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland nicht weiter zu schädigen? Wie ist Ihre Haltung in dieser besorgniserregenden Angelegenheit?
Wie beurteilen Sie als Juristin die Aussagen mit Blick auf die „Unschuldsvermutung“ und dem juristischen Leitsatz „in dubio pro reo“?
Aus welchen Gründen hat sich der Außenminister nicht den Einschätzungen seiner Amtskollegen/in aus Griechenland und Österreich angeschlossen?
Wie beurteilen Sie die Aussagen des ehemaligen britischen Botschafters Craig Murray, die Stellungnahme durch die EU und dem NATO Generalsekretär Herrn Stoltenberg?
Hat Herr Maas bzw. die Bundesregierung den Bundestag, bzw. Sie oder Ihre Fraktion informiert, aus welchen Gründen eine „Fals-Flag“ Aktion auszuschließen ist und wie schätzen Sie die Glaubwürdigkeit des MI6 dazu ein? (Da wir gerade bei Geheimdiensten/Außenpolitik sind: Wie ist Ihre Haltung zu der Rede von Georg Friedman von Stratfor - Bostonrede -, dass es immer amerikanische Außenpolitik war einen „Keil zwischen Deutschland/EU und Russland zu treiben?)
Mit Spannung sehe ich Ihrer Antwort entgegen und bedanke mich für Ihre Mühe.
Mit freundlichen Grüßen aus Willingen
Uwe H. Z.
Sehr geehrter Herr Ziemann,
vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch. Die SPD ist immer für den Dialog mit Russland eingetreten und wird dies auch künftig tun.
Die Zunahme der jüngsten Spannungen im Verhältnis zu Russland und die Reaktion der internationalen Gemeinschaft sind eine Folge des nicht zu akzeptierenden Verhaltens Russlands - nicht nur in der Affäre Skripal oder im Syrien-Konflikt. Dazu zählen etwa die Einverleibung der Krim, die Aggression gegen die Ostukraine, Cyberangriffe oder Versuche, Wahlen in anderen Ländern zu manipulieren. Von diesen Aktionen geht die Eskalation aus. Russland hat es bislang versäumt, sich bei den genannten Punkten kooperativ zu verhalten. Es ist an Russland, zur Aufklärung der Vorwürfe beizutragen, und damit die Grundlage für ein vertrauensvolleres Verhältnis zu schaffen.
Selbstverständlich bleibt Russland ein unverzichtbarer Partner für eine dauerhafte und stabile europäische Friedensordnung. Niemand wünscht sich den kalten Krieg zurück. Leider verschlechtern sich gegenwärtig weiterhin die Beziehungen zwischen den USA und Russland. Neue Mächte und Kräfte füllen das von den USA hinterlassene Vakuum, insbesondere China und Russland (z.B. im Nahen Osten).
Auf Grundlage unseres Wertefundaments sollten wir eine rationale, unverstellte und transparente Interessenpolitik gegenüber Russland betreiben und damit zugleich die Bereitschaft zum regelbasierten Interessenausgleich signalisieren. Wir sollten und dürfen den derzeitigen Gegensatz zwischen Russland und der EU weder als natürlichen noch als Dauerzustand akzeptieren. Daher hilft nur eine Politik der kleinen Schritte, eine Politik der gegenseitigen Vertrauensbildung. Kleine Schritte, die Inseln der Zusammenarbeit im gegenseitigen Interesse schaffen, die belastbar die Basis zur Lösung größerer und schwierigerer Aufgaben bilden können.
Wir müssen den zivilgesellschaftlichen Austausch als eine der wenigen erhaltenen Brücken im Verhältnis zu Russland weiter stärken, insbesondere im Jugendbereich. Das Interesse unserer Menschen aneinander ist weiterhin groß. Russische Bürger waren 2016 die größte Gruppe von Empfängern von insgesamt 3,2 Millionen Schengen-Visa, darunter 80% Mehrfach-Visa. Die größte Gruppe von Erasmus-Stipendiaten weltweit stellt Russland. Der wichtigste Partner Russlands in der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung ist die EU.
In ausgewählten Politikbereichen wird es darum gehen müssen, im europäischen Interesse den Austausch mit Russland zu vertiefen. Dies betrifft die Lösung internationaler Krisen, wie in Syrien sowie im Nahen Osten insgesamt, auf der koreanischen Halbinsel und in Afghanistan, ebenso wie die Suche nach gemeinsamen Politikansätzen gegenüber transnationalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Migrationsproblematik oder dem internationalen Terrorismus.
Eine Abkehr von der Charta von Paris oder vom allgemeinen Völkerrecht, insbesondere von den Prinzipien der territorialen Integrität von Staaten und der Unverletzlichkeit der Grenzen, ist für uns jedoch nicht verhandelbar.
Deshalb sagen wir: Bei aller Entschlossenheit, mit der wir gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern reagieren, bleiben wir auch weiterhin zum Dialog mit Russland bereit.
Mit freundlichen Grüßen
Esther Dilcher
P. S. Der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt im Strafrecht, nicht aber im Völkerrecht."