Frage an Ernst-Uwe Stry von Luise M. bezüglich Bildung und Erziehung
Guten Tag Herr Stry,
ich bin Ev. Religionslehrerin und interessiere mich zur Zeit besonders für die Haltung der Berliner CDU gegenüber der Einführung des verpflichtend atheistischen Wertefachs an den Oberschulen. Ich persönlich plädiere für eine Wahl der SchülerInnen ihrem Interesse entsprechend, zwischen Lebenskunde oder Religion. Beide Fächer haben ihre Berechtigung, da es einfach zeitgemäß (gerade für Berlin) ist. Allerdings sehe ich diese Toleranz und Gleichberechtigung von Seiten der Berliner Regierung ggü. dem Religionsunterricht nicht! Bzw. wird mit der Einführung eines Pflichtfaches die Entscheidungsfähigkeit der mündigen jugendlichen SchülerInnen genommen.
Wie stehen Sie zu diesem Dilemma?
Freundliche Grüße Paula Nowak
Sehr geehrte Frau Müller!
Der rot-rote Senat des Landes Berlin hat entschieden, einen bekenntnisfreien staatlichen Werteunterricht "Ethik" als ordentliches Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler einzuführen und hat damit praktisch den christlichen Religionsunterricht abgeschafft. Mit einem Sammelsurium von Weltanschauungen, das SPD und PDS den Schulen verordnet - heute Christentum, morgen Buddhismus, dann Islam etc. - können sich aber keine Überzeugungen herausbilden. Schon gar nicht, wenn noch nicht einmal klar ist, wer unterrichtet und wie die Inhalte in einem Wertefach ausgestaltet werden. Damit erzeugt man nur Beliebigkeit und Gleichgültigkeit.
Außerdem ist der vom SPD-Schulsenator Böger vorgelegte Rahmenlehrplan eines verpflichtenden Ethik-Unterrichtes ab der 7. Klasse eine Mogelpackung. Denn wo Ethik draufsteht, ist in Wirklichkeit nur LER (Fächerkombination Lebensgestaltung/Ethik/Religionskunde) drin. Herrn Bögers Fach Ethik kann die jungen Menschen nicht auf das Leben vorbereiten. Denn es reicht nicht, nur über Identität, Freundschaft und Glück zu philosophieren. Was der Mensch braucht, ist eine Wertevermittlung und das Fördern von Überzeugungen.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Orientierungslosigkeit und des allgemein festzustellenden Werteverfalls in unserer Gesellschaft ist der Religionsunterricht an unseren Schulen gerade heute von besonderer Bedeutung. Denn zur Bildung eines jungen Menschen gehört weit mehr als die reine Vermittlung von Fakten. Sie braucht vor allem ein Fundament. Dabei spielt Glaube und Religion eine wesentliche Rolle. Denn der Glaube bietet ein in sich schlüssiges System von Moral und Ethik. Der Staat hat mithin nicht das Recht, die Religion zurückzudrängen, sofern ihre Ausübung auf der Grundlage des Rechts und ohne Intoleranz gegenüber anderen Geisteshaltungen erfolgt.
Berlin ist eine weltoffene und tolerante Stadt mit einer langen Tradition der freien Religionsausübung. Toleranz aber ist nicht Beliebigkeit. Toleranz setzt einen eigenen Standpunkt voraus. Deshalb müssen sich Eltern und Schüler alternativ zum Ethikunterricht ganz bewußt auch für ein gleichberechtigtes Wahlpflichtfach Religion entscheiden können. Die verpflichtende Teilnahme am Ethikunterricht aber hebelt genau diese Wahlmöglichkeit aus. Der individuell gewünschte Religionsunterricht wird so aus ideologischen Gründen verdrängt.
Eine Fächergruppe aus Ethik und Religion, aus der die Schüler ein Fach wählen müssen, läßt sich rechtlich und inhaltlich ebenso begründen wie schulpraktisch umsetzen. Es gilt dabei, der Staat ist zur Neutralität verpflichtet. Deshalb verbietet es sich, Werte vermittelnden Unterricht in nur einem staatlich verantworteten Fach anzubieten. Ohne die Möglichkeit, sich zugunsten von Religion oder einem anderen Weltanschauungsunterricht abzumelden, verletzt der Senat von Berlin seine Neutralitätspflicht. Der Staat würde sich zudem anmaßen, die Deutungshoheit über den Inhalt von Religion zu besitzen.
Folgendes ist bei der Diskussion ebenfalls zu beachten:
1. Der demokratische und soziale Rechtsstaat lebt von geistigen Voraussetzungen. die er selbst nicht schaffen kann. Erhebt er jedoch den Anspruch, letzte Werte zu formulieren und über sie zu urteilen, so ist die Gefahr der Ideologisierung gegeben.
2. Die Vermittlung der unsere christlich-abenländische Kultur prägenden Werte ist die Aufgabe aller Lehreinnen und Lehrer in allen Unterrichtsfächern.
3. Eine bloße Darstellung unterschiedlicher Wertevorstellungen bleibt im Unverbindlichen und ruft nicht in die Verantwortung. Die eigene Entscheidung in grundsätzlichen Fragen des Lebens und seiner Ordnungen erfolgt immer nur in der Auseinandersetzung mit der klaren Haltung des Gesprächspartners. Eine unentschiedene Darstellung verschiedener "Werte" hilft nicht weiter, sondern verführt zur eigenen Unverbindlichkeit und Unentschiedenheit.
4. DieVerdrängung des Religionsunterrichtes als ordentliches Lehrfach bedeutet auf längere Sicht den Bruch mit den geistigen Traditionen, aus denen Europa und seine Kultur gerade in den unterschiedlichen Ausprägungen leben. Die Folgen dieses Bruches werden auf allen Gebieten, auch in unserem öffentlichen Leben, zu spüren sein. Ein gleichberechtigtes Wahlpflichtfach Religion und Philosophie/Ethik ist daher ein zentrales Anliegen der CDU Berlin.
Mit herzlichen Grüßen
Ernst Uwe Stry