Werden Sie den Antrag auf Prüfung der AfD durch das Verfassungsgericht unterstützen?
Sehr geehrte Frau Zeulner!
Mit Erschrecken muss ich feststellen, dass viele Parteien die Positionen der AfD in Teilen übernehmen.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird auf dem Rücken der Minderheiten weiter erodieren.
Ich gehöre zu einer dieser Minderheiten, arbeite im Gesundheitswesen und muss feststellen, dass ich und meine Patienten durch die Hetze der AfD immer mehr angefeindet werden. Bitte unterstützen Sie den Antrag zur Prüfung der AfD durch das Verfassungsgericht, folgen Sie Ihrem Gewissen und nicht dem Fraktionszwang!
Mit freundlichen Grüßen, D.H.
Sehr geehrte Frau H.,
vielen Dank für Ihre Nachricht, die ich sehr ernstnehme und Ihnen auch deswegen gerne etwas ausführlicher erläutere, warum ich mich, trotz vieler Gründe, die für ein solches Verbot bzw. Verfahren sprechen mögen, gegen ein Verbot ausspreche.
Zum einen lehne ich ein Verbot ab, denn meiner festen Überzeugung nach verstärkt man dadurch nur die Opferrolle, in die sich die AfD selbst auch immer wieder bewusst begibt. Es bedient das Narrativ der AfD, "schaut her wir sprechen die Wahrheit aus und deshalb will man uns verbieten." Eine Entscheidung über ein Verbot steht dem Bundesverfassungsgericht zu, denn nur diese Institution kann ein Parteienverbot aussprechen und das zu Recht. Denn das ist eine der Lehren, die wir hoffentlich als Gesellschaft aus der Vergangenheit gezogen haben. Doch diese Hürden sind – zurecht – hoch. In vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen und Juristinnen und Juristen schätze auch ich den Versuch eines Verbots der AfD zum jetzigen Zeitpunkt für juristisch nicht erfolgversprechend und politisch kontraproduktiv ein. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Partei dann verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Das Vertreten allein von extremistischen Positionen ist in unserer Parteiendemokratie als politisch zugespitzter Meinungskampf prinzipiell von den Grundrechten gedeckt, auch wenn uns das missfällt. Zudem müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Erreichen der von der Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint.
Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen für ein Parteiverbot sind mit Blick auf die AfD – zumindest derzeit – aller Voraussicht nach nicht erfüllt. Zwar führt das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall auf Rechtsextremismus. Die obergerichtliche Rechtsprechung hat diese Einschätzung bestätigt. Eine Einstufung als „Verdachtsfall“ ist aber nicht gleichzusetzen mit den – erheblich höheren – Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an das Verbot einer politischen Partei stellt. Wir gehen vielmehr davon aus, dass bei der AfD die Voraussetzungen eines Parteiverbots (noch) nicht erfüllt sind und die Verfassungsschutzämter nicht über hinreichendes Beweismaterial für ein Verbotsverfahren verfügen.
Das Verfahren zum Verbot einer politischen Partei dauert – selbst im Erfolgsfall –mehrere Jahre. Bei der NPD hat es vier Jahre gedauert. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall eines erfolgreichen Verbotsantrags könnte sich die AfD noch an der nächsten Bundestagswahl beteiligen und sich dabei als vermeintliche „Märtyrer“ inszenieren. Dem Gruppenantrag fehlt meiner Meinung nach die erforderliche Tatsachengrundlage in Form einer umfassenden Materialsammlung. Eine solche könnte nur durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz erstellt werden - erst auf einer solchen Grundlage kann eine fundierte Entscheidung getroffen werden.
Überdies verlangt das Bundesverfassungsgericht, vor Einleitung eines Verbotsverfahrens „strikte Staatsfreiheit“ gegenüber der betroffenen Partei herzustellen. Das bedeutet: Die Begründung eines Verbotsantrages darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist. Eine entsprechende Garantie vermag allerdings nur die Bundesregierung respektive die Landesregierungen zu geben. Sie allein vermögen deshalb einen überzeugenden Beweisantrag zu erarbeiten. Bei so ungewissen Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens, wäre es politisch unklug, ein solches zu betreiben. Ein Antrag auf Einleitung eines Verbotsverfahrens, der im Bundestag gestellt würde, müsste erst das parlamentarische Verfahren im Bundestag durchlaufen. Im Innenausschuss könnte die AfD wegen ihres Fraktionsstatus zudem eine öffentliche Sachverständigenanhörung beantragen. Das größte Problem sehe ich vor allem darin, dass in einem solchen Parlamentarischen Verfahren die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder im Innenausschuss unter Anwesenheit der AfD berichten müssten, welche Erkenntnisse zur AfD zusammengetragen wurden. Dies wiederum ermöglicht dann der AfD Rückschlüsse zu ziehen, wo, wann und aus welchen Quellen die Dienste an ihre Informationen gelangen.
Das Ganze würde der AfD also mehr nützen als schaden.
Sie könnte damit über einen längeren Zeitraum öffentlichkeitswirksam ihre Märtyrer-Rolle zelebrieren. Sollte ein Verbotsantrag scheitern, erhielte die AfD faktisch ein verfassungsgerichtliches „Gütesiegel“, eine verfassungsgemäße Partei zu sein – dieses Risiko einzugehen, halte ich für nicht vertretbar. Die Zustimmung zur AfD zu verbieten, halte ich für einen Trugschluss. Die politischen Kräfte der demokratischen Mitte sollten die AfD stattdessen politisch und inhaltlich stellen. Ich möchte keine Symptombehandlung, sondern Ursachenbekämpfung: Die drängenden politischen Probleme Deutschlands müssen gelöst werden, um dem in der Bevölkerung weit verbreiteten Frust gerecht zu werden.
Denn der Zulauf zur AfD liegt für mich darin begründet, dass die Vertreter der AfD Themen ansprechen, die die Menschen bewegen und dass die amtierenden Verantwortlichen in der Bundesregierung nicht willens sind, die Probleme als solche anzuerkennen und auch zu Lösungen beizutragen. Der Ruf der Bürgermeister und Landräte beispielsweise, die illegale Migration mit beherztem Handeln endlich zu stoppen, verhallt weiterhin ungehört bei der Bundesregierung und bedarf doch so dringend einer Lösung. Dennoch hat jede Bürgerin und jeder Bürger die Aufgabe sich zu informieren, wem sie eigentlich mit ihrer Stimme die Verantwortung für unser Land übergibt. So sind drei Landesverbände der AfD in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft worden. Selbstverständlich sind nicht alle Wähler der AfD rechtsextrem, aber sie decken mit ihrer Stimme für dieses Partei Personen, die es sind. Ich werbe dafür die staatliche Parteienfinanzierung für als extremistisch eingestufte Gruppierungen massiv einzuschränken. Denn der Rechtsstaat ist eines unserer höchsten Güter und Parteien, die bewusst staatliche Strukturen angreifen, können nicht gleichzeitig für diese Zwecke durch die Parteienfinanzierung von eben diesem Staat gestärkt werden. Das gilt für mich selbstverständlich auch für linksextremistische Gruppierungen.
Ich hoffe ich konnte Ihnen darlegen, warum ich einem Verbot bzw. einem Antrag in diesem Sinne nicht zustimme. Dennoch nehme ich Ihre Bedenken mit in die weitere Diskussion und setze mich sehr gerne weiter in Ihrem Sinne ein.
Mit besten Grüßen
Ihre Emmi Zeulner