Frage an Elvan Korkmaz-Emre von Frank H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Korkmaz-Emre!
Durch die Corona-Ausbrüche in den Fleischwerken (aktuelle bei uns in Rheda-Wiedenbrück) sind die desolaten, menschenunwürdigen Unterkünfte wieder in den Blick geraten. Was gedenken Sie dagegen zu unternehmen, da aus meiner Sicht seitens der Wirtschaftsunternehmen (Ziel ist ja in erster Linie die Gewinnmaximierung) nichts getan wurde und auch in Zukunft von denen nichts unternommen wird?
Viele Grüße
F. H.
Sehr geehrter Herr Henrichfreise,
vielen Dank für Ihre Frage. Es ist traurig, dass die allgemeine Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erst durch einen so dramatischen Zwischenfall gesichert werden konnte. Die menschenverachtende Praxis einiger Unternehmen in der Fleischindustrie ist – wie sie ja selbst wissen – seit Jahren bekannt. Bereits in den vergangenen Monaten – vor dem Ausbruch des Corona-Virus im Stammwerk von Tönnies – habe ich mit Gewerkschaften und anderen Engagierten vor Ort über Handlungsoptionen beraten. Damals war die Aufmerksamkeit – sogar im Kreis Gütersloh – eher gering; auch die Präsenz einer Bundestagsabgeordneten konnte da offensichtlich nichts ändern. Das ist ein Problem, mit dem sich die vielen Ehrenamtlichen und Engagierten im Kreis seit Jahren herumschlagen – Hut ab, vor diesem Durchhaltevermögen.
Damals hatte ich anschließend gemeinsam mit meinem Fraktionskollegen Ralf Kapschack einen Antrag in die SPD-Landesgruppe eingebracht, in dem wir uns gegen den Missbrauch des Werkvertrags aussprechen und Maßnahmen vorschlagen, mit denen man ohne viel Aufwand erste Verbesserungen hätte einleiten können. Andere Landesgruppen haben sich diesem Beschluss angeschlossen. Mit Hubertus Heil habe ich mich persönlich zum Thema ausgetauscht. In dieser Hinsicht aber stehen wir weiterhin in einem schwierigen Bündnis. Die Unionsfraktion hat bereits 2016 verhindert, dass Andrea Nahles die Regelungen zum Werkvertrag präzisiert und so dem Missbrauch vorbeugt.
Ehrlich gesagt hätte ich nicht geglaubt, dass es selbst nach den unfassbar hohen Infektionszahlen bei Tönnies möglich sein könnte, dass die Union ihre Verweigerungsposition aufgibt. Ralph Brinkhaus hat ja auch nach dem Ausbruch nur schwammig von Einschränkungen gesprochen. Vielleicht hat Hubertus Heil also zum richtigen Zeitpunkt mit der nötigen Überzeugung gesprochen. Das Kabinett hat jedenfalls auf seinen Vorschlag hin weitreichende Konsequenzen für die Branche beschlossen. Wir haben nun die Aussicht darauf, dass ab kommendem Jahr die Auslagerung von Schlachtung und Zerlegung verboten wird. Auch Kontrollen und Bußgelder sollen erhöht, und die Arbeitszeiten müssen künftig verpflichtend erfasst werden. Das sind Vorschläge, für die auch ich mich immer ausgesprochen habe. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass das rechtssicher geregelt wird – und zwar ohne Hintertür.
ABER: Sie haben natürlich ganz recht. Wer will, findet immer Möglichkeiten Gesetze zu umgehen oder zu seinen Gunsten auszulegen. Deshalb ist es mit diesen Gesetzen nicht getan, sondern wir müssen auch an den ehrlichen Unternehmergeist in unserer Region appellieren. Nun habe ich da zumindest im Fall Tönnies keine Hoffnung mehr, weshalb die Gütersloher Zivilgesellschaft aufgerufen ist, diese menschenverachtende Praxis nicht mehr zu tolerieren. Ich bin mir sicher, wir im Kreis Gütersloh werden die Entwicklungen über die Gesetzgebung hinaus genau verfolgen.
Tönnies hat übrigens einen so großen Marktanteil, dass sich Veränderungen im Konzern auf das allgemeine Preisniveau auswirken könnten. Kleinere Schlachtereien, die ihre Beschäftigten ordentlich bezahlen, würden davon profitieren, wenn die halblegalen oder auch kriminellen Praktiken bei der Konkurrenz abgestellt werden. Natürlich soll sich jeder auch mal ein Stück Fleisch leisten können – aber bitte nicht auf Kosten der Beschäftigten (um hier nicht vom Tierwohl zu sprechen). Das sollte die Grenze der sozialdemokratischen Moral sein.
Mit freundlichen Grüßen
Elvan Korkmaz-Emre