Frage an Elmar Brok von Frank B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
guten tag herr brok,
es ist unerträglich wie der bürger beteff des "eu-reformvertrages", auch durch sie, desinformiert wird. ihr auftritt zum tema in der sendung tagesgespräch von heute, den 16.06.2008 war wieder ein paradebeispiel dafür. ich empfehle ihnen und allen bürgern dringendst den vortrag von herrn schachtschneider (professor für öffentliches recht),
http://www.youtube.com/watch?v=qWZbEKjcd1M&feature=PlayList&p=86EF311FC83D1447&index=0
welcher, wie sie sicher wissen, mit anderen, gegen diesen vertrag klagt.
so wie der vertrag vorgesehen ist, bringt dieser eine eu-weite aufrüstung,
eine diktatur der konzerne und eu-bürokraten, eine herabsetzung der sozialen und allgemeinen standarts, weitere entmündigungen der bürger usw.
aber dies wissen sie wahrscheinlich alles, wenn nicht informieren sie sich
und tun sie etwas damit es nicht dazu kommt.
meine frage an sie, was halten sie von den ausführungen des prof. schachtschneider zum eu-vertrag und dessen auswikungen auf die bürger der eu?
warum wird der bürger nicht darüber informiert, dass auch deutschland den vertrag noch nicht ratifiziert hat.
danke irland!
mfg
f. behrens
Sehr geehrter Herr Behrens,
Sie haben keine Frage an mich gerichtet sondern nur falsche Behauptungen aufgestellt.
Gern lade ich Sie ein, nachstehenden Artikel zu lesen.
Mit freundlichen Grüßen
Elmar Brok
Kommentar zum Vertrag von Lissabon
Für die Bundeszentrale für Politische Bildung
von Elmar Brok und Jo Leinen
Der Vertrag von Lissabon ist ein bedeutender Meilenstein für die Entwicklung der Europäischen Union von einer wirtschaftlichen zu einer politischen Union. Mit dem neuen Vertrag werden die europäischen Institutionen gestärkt, klare Ziele für die Unionspolitik vorgegeben, Entscheidungen werden schneller getroffen, die EU wird bürgernäher und demokratischer und die innere und äußere Handlungsfähigkeit der EU wird erhöht.
Der neue Vertrag ist das Ergebnis eines jahrelangen, zähen Verhandlungsmarathons. Er ist sowohl Antwort auf die Forderung nach einer starken politischen Union, als auch auf die institutionellen Probleme nach der Erweiterung um 12 neue Mitgliedstaaten. Mit dem Reformvertrag werden Institutionen, die ursprünglich für 6 Mitgliedsländer entworfen wurden, nachträglich für die erweiterte Europäische Union fit gemacht. Der Vertrag erlaubt der Union, die politischen Herausforderungen im Rahmen der Globalisierung besser zu meistern. Der Reformvertrag ist darüber hinaus ein enormer Fortschritt für die Demokratisierung der Europäischen Union. Er gibt den Bürgern in Europa eine wesentlich größere Rolle bei der Gestaltung der Europäischen Politik.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs Ende der achtziger Jahre gibt es die Forderung nach Erweiterung der Europäischen Union und gleichzeitig einer Vertiefung der Integration. Nach vier Jahrzehnten der Teilung auf dem europäischen Kontinent war die Wiedervereinigung von West- und Osteuropa nicht nur eine moralische Verpflichtung. Sie war auch notwendig, um die Europäische Union politisch und wirtschaftlich zu stärken. Die Aufnahme von 10 neuen Mitgliedsländern am 1. Mai 2004 und 2 weiteren Ländern am 1. Januar 2007 war ein historischer Schritt für die Europäische Union. Die Erweiterung kann allerdings nur dann auf Dauer zu einem echten Erfolg werden, wenn die EU selber für die Aufnahme vorbereitet ist. Vor allem drei Herausforderung müssen in dieser Hinsicht bewältigt werden: Erstens ist es notwendig, die Strukturen und Entscheidungsmechanismen der EU so zu reformieren, dass die EU mit 27 und mehr Mitgliedstaaten handlungsfähig bleibt und Blockaden einzelner Mitgliedstaaten überwinden kann. Zweitens gilt es angesichts zunehmender Kompetenzen für die EU, die Bürger stärker in europäische Entscheidungen einzubeziehen und die Union weiter zu demokratisieren. Drittens ist es notwendig, die EU auf die neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten und ihre Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Bekämpfung des Terrorismus, aber auch in der Innen- und Justizpolitik einschließlich der der Themen wie organisierten Kriminalität und Migration sowie in zukunftsorientierten Bereichen wie Energie-, Klima- und Raumfahrtpolitik zu stärken.
Der erste Versuch, die Reform der EU voranzutreiben, war der 1999 in Kraft getretene Vertrag von Amsterdam. Mit diesem erhielt das Europäische Parlament neue Mitentscheidungsrechte, ein Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wurde eingeführt und eine stärkere justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit vereinbart. Da die eigentlichen institutionellen Probleme aber nicht gelöst werden konnten, verhandelten die Mitgliedsländer wenige Jahre später über einen neuen Vertrag, den seit 2003 gültigen Vertrag von Nizza. Praktisch keine der offenen Fragen konnten in Nizza wirklich gelöst werden. Das wurde als Signal dafür gesehen, dass die traditionelle Form der Vertragsvorbereitungen - hinter verschlossenen Türen und ausschließlich durch Vertreter der Regierungen - zum Scheitern verurteilt war. Mit der Erklärung von Laeken unter belgischer Präsidentschaft im Jahre 2002 wurde daraufhin eine neue Methode mit der Einberufung eines Konvents gewagt, in dem Vertreter der nationalen Parlamente, des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und der nationalen Regierungen zusammenarbeiten, um den Vorschlag für einen neuen Europavertrag vorzubereiten.
Nach nur achtzehnmonatiger Arbeit legte der Konvent, in dem die nationalen und europäischen Abgeordneten die Mehrheit hatten einen Vertrag für eine Europäische Verfassung vor. Die EU-Verträge sollten nicht nur neu geordnet, gekürzt und leichter lesbar gemacht, sondern in vielerlei Hinsicht auch reformiert werden. Ziel war es, die Rolle der Unionsbürger in der Europapolitik und die Bürgerrechte zu stärken, Entscheidungen effizienter und transparenter zu machen, der EU in einigen Politikbereichen neue Verantwortung zu geben und die Aufgaben der europäischen und der nationalen Ebene klarer voneinander abzugrenzen. Die Ratifizierung der Europäischen Verfassung ist im Mai/Juni 2005 bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Nach einer längeren Phase der Reflexion konnte sich die deutsche EU-Präsidentschaft mit ihrem Vorschlag durchsetzen, einen neuen Anlauf zu machen und auf der Basis des Verfassungsvertrages so viele Elemente wie möglich in ein neues Vertragswerk zu retten. Am 13. Dezember 2007 wurde von allen Staat- und Regierungschefs der EU schließlich der Vertrag von Lissabon unterzeichnet.
Der Reformvertrag ist etwas anderes als der Verfassungsvertrag. Zwar wurden die wesentlichen Inhalte der Europäischen Verfassung übernommen. Eine Grundidee wurde aber mit den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden aufgegeben: Die alten Verträge werden nicht durch ein komplett neues Vertragswerk ersetzt, sondern lediglich durch eine lange Liste von Änderungen ausgebaut. Dadurch ist der Vertrag von Lissabon weniger leicht lesbar als dies beim Verfassungsvertrag der Fall gewesen wäre. Dies ist zwar bedauernswert, war aber die Voraussetzung dafür, dass alle 27 Mitgliedstaaten dem neu formulierten Vertrag zustimmen und die wichtigen Reformen für die Demokratisierung und Stärkung der EU in Kraft treten konnten. Bedauerlich ist, dass die europäischen Symbole im neuen Vertrag nicht mehr genannt werden. Aber die "Ode an die Freude" wird auch weiterhin die Europäische Hymne und die 12 gelben Sterne auf blauem Grund die europäische Flagge sein. Verglichen mit den heutigen Verträgen ist der Vertrag von Lissabon ein sehr großer Fortschritt.
Nachfolgend finden sie eine konsolidierte Version des Vertrages von Lissabon. Die von den Mitgliedstaaten beschlossenen Änderungen wurden in die bisherigen Vertragstexte eingearbeitet. Wie bisher wird es zwei Europaverträge geben: Der "EU-Vertrag" wird durch den Reformvertrag stark verändert und teilweise auch neu strukturiert. Der bisherige "EG-Vertrag" wird in "Vertrag über die Arbeitsweise der Union" umbenannt und etliche Artikel wurden geändert.
Der Reformvertrag festigt die demokratischen Strukturen der EU
Die größten Gewinner des neuen Vertrages sind die Bürgerinnen und Bürger sowie die Parlamente in der EU. Im ersten Artikel des Vertrages von Lissabon heißt es, dass Entscheidungen auf europäischer Ebene möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden. Europäische Politik wird transparenter. Der Ministerrat wird bei Entscheidungen über Europäische Gesetze öffentlich tagen. Das Europäische Parlament wird in Zukunft verstärkt Plenums- und Ausschusssitzungen im Internet übertragen und über alle Beschlüsse informieren. Interessierte Bürger und Medien werden so die Gesetzgebungsarbeit der EU bis ins Detail verfolgen können.
Das Europäische Parlament wird durch den Vertrag von Lissabon erheblich gestärkt. In 95% der Gesetzgebung wird das Europäische Parlament gleichberechtigt mit dem Ministerrat tätig. Dies betrifft unter anderem die Daseinsvorsorge, öffentliche Dienstleistungen, geistiges Eigentum, Kultur, Energie, Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe. In der Landwirtschaftspolitik, für die nach wie vor der größte Teil des EU-Budgets ausgegeben wird, steht das Parlament jetzt auf einer Augenhöhe mit dem Ministerrat. Auch in der europäischen Innen- und Justizpolitik, bei der in den kommenden Jahren viele neue Initiativen zu erwarten sind, wird das Europäische Parlament eine größere Verantwortung erhalten. Mitentscheidung bekommt es beispielsweise bei Fragen der Einwanderung, für Personenkontrollen an den Grenzen, bei der Terrorismusbekämpfung, bei der Kontrolle von Eurojust (Europäische Einheit für justizielle Zusammenarbeit) und von Europol (Europäisches Polizeiamt). Das Parlament wird sich dafür einsetzen, den "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" weiterzuentwickeln, ohne allerdings die Rechte der Bürger einzuschränken. Bereits in den letzten Jahren hat das Europäische Parlament etliche Beschlüsse in diese Richtung gefasst. Insbesondere der Datenschutz und der Schutz der Menschenrechte sind für das Europäische Parlament von großer Bedeutung.
Das Europäische Parlament wird mit dem neuen Vertrag auch über die Europäische "Regierung" mitentscheiden. Der Präsident der Europäischen Kommission wird in Zukunft durch das Europäische Parlament gewählt. Der Kommissionspräsident wird dadurch noch stärker auf die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament angewiesen sein. Dies ist ein wichtiger Fortschritt für die Europäische Demokratie, da die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stimme bei den Europawahlen eine Richtungsentscheidung über die europäische Politik treffen können. Der Europäische Rat kann nur noch im Lichte der Europawahl und nach Konsultation des Europäischen Parlaments, den Abgeordneten mit Mehrheit einen Vorschlag unterbreiten.
Nicht zu unterschätzen sind auch die Änderungen im europäischen Haushaltsrecht. Bisher war das Europäische Parlament von vielen Haushaltsentscheidungen ausgeschlossen, beispielsweise im Agrarbereich, der der größte Budgetposten der EU ist. Auf Grund des neuen Vertrages wird das Europäische Parlament in Zukunft über alle europäischen Ausgaben gleichberechtigt mitentscheiden. Dank ihrer erweiterten Haushaltsrechte werden die Europaabgeordneten wichtige politische Forderungen gegenüber den Mitgliedstaaten durchsetzen können, zum Beispiel mehr Geld für europäische Bildungs- und Kulturprogramme.
Nationale Parlamente erhalten mit dem Vertrag von Lissabon ein Mitspracherecht über europäische Entscheidungen. Die nationalen Parlamente werden über alle Gesetzgebungsvorhaben direkt informiert. Dadurch wird die Kommunikation zwischen europäischer und nationaler Ebene wesentlich verbessert. Die nationalen Parlamente erhalten darüber hinaus das Recht, Einspruch gegen europäische Gesetzgebungsvorschläge einzulegen. Sie können der EU die gelbe, die orange und die rote Karte zeigen, wenn sie der Meinung sind, ein Vorschlag widerspreche dem Subsidiaritätsprinzip. Dieses Prinzip besagt, die Europäische Union darf Gesetze nur in den Bereichen erlassen, die nicht besser auf regionaler oder nationaler Ebene geregelt werden können.
- Gelbe Karte: Wenn ein Drittel der nationalen Parlamente einen Subsidiaritätsverstoß feststellt, ist die Kommission aufgefordert, den Gesetzgebungsvorschlag zu überdenken, muss ihn aber nicht zwangsläufig verändern.
- Orangene Karte: Wenn die Hälfte der nationalen Parlamente Einspruch erhebt, muss es die Kommission begründen, wenn sie keinen neuen Vorschlag vorlegt. In diesem Fall kann die Gesetzesinitiative der Kommission mit 55% der Stimmen im Ministerrat oder mit einfacher Mehrheit im Parlament abgelehnt werden.
- Rote Karte: Eine Initiative muss zurückgezogen werden, wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, die Gesetzesvorlage verstoße gegen das Prinzip der Subsidiarität. Jedes einzelne nationale Parlament kann vor dem Europäischen Gerichtshof eine Subsidiaritätsklage einbringen.
Die Bürgerinnen und Bürger werden verstärkt in die Politikgestaltung auf europäischer Ebene einbezogen. Mit dem Vertrag von Lissabon wird ein Europäisches Bürgerbegehren eingeführt. Wenn mehr als eine Million Bürger in einer relevanten Zahl von Mitgliedstaaten eine Forderung aufstellen, muss dieses Bürgeranliegen auf die Agenda der Europäischen Institutionen kommen. Auf diese Weise können die Bürgerinnen und Bürger auf besonderen politischen Handlungsbedarf aufmerksam machen und die politischen Entscheidungen der EU mit beeinflussen.
Der Vertrag von Lissabon führt den Grundsatz der partizipativen Demokratie für die EU ein. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die oft die Interessen von hunderttausenden Bürgern repräsentieren, werden in einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den EU-Institutionen einbezogen. Organisationen wie Greenpeace, Amnesty International und die Plattform der Sozialen Nichtregierungsorganisationen werden über europäische Gesetzesvorhaben informiert und können Verbesserungsvorschläge einbringen. Die Sozialpartner - Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände - behalten ihre besondere Rolle. Der "Soziale Dialog" zwischen Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird im Vertrag verankert. Auch die besondere Stellung der Kirchen und religiösen Gemeinschaften wird im neuen Vertrag anerkannt. Die EU verpflichtet sich zu einem offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit ihnen.
Gestärkt wird auch die europäische Bürgerschaft. In der Präambel des Vertrages von Lissabon heißt es, die Unterzeichner des Vertrages seien entschlossen, eine gemeinsame Unionsbürgerschaft für die Staatsangehörigen ihrer Länder zu garantieren. Diese Unionsbürgerschaft wird neben die nationale Bürgerschaft treten und diese ergänzen, nicht die nationale Staatsangehörigkeit ersetzen. Der Vertrag von Lissabon ist ein Durchbruch für den Schutz der europäischen Bürgerrechte. Die bereits im Jahre 2000 feierlich verkündete Europäische Grundrechtecharta wird Teil des neuen Vertrages und damit rechtlich einklagbar. Bei europäischen Entscheidungen und nur bei ihnen sowie bei ihrer Umsetzung in nationales Recht wird europäischen Bürgern in Zukunft das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Asylrecht, Gedanken- Gewissens- und Religionsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert. In der Grundrechtecharta sind auch moderne und soziale Rechte aufgenommen, die nicht von allen nationalen Verfassungen geschützt sind: Datenschutz, Umweltschutz, Verbraucherschutz, Recht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen, Streikrecht, Recht auf eine gute Verwaltung und das Recht auf Zugang zu Dokumenten. Neben den in nationalen Verfassungen garantierten Bürgerrechten, wird mit der Europäischen Grundrechtecharta eine zusätzliche Garantie der Wahrung der Bürgerrechte eingeführt.
Klare Ziele für die EU
Fünfzig Jahren nach Beginn der Europäischen Integration ist die Herstellung eines dauerhaften Friedens zwischen den europäischen Völkern, allen voran zwischen Frankreich und Deutschland, zweifelsohne der größte Erfolg. Insbesondere die Vergemeinschaftung der nationalen Stahl- und Kohleindustrien sowie die Vernetzung durch den gemeinsamen Binnenmarkt und die Währungsunion haben dies ermöglicht. Heute können es sich die Mitgliedstaaten der EU weder wirtschaftlich noch politisch leisten, Konflikte miteinander auf kriegerischem Wege auszutragen. Über sechzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges reicht das Friedensargument allein aber nicht mehr aus, die Zukunft der Europäischen Integration zu begründen. Die Sorgen der Unionsbürger beziehen sich heute auf Arbeitslosigkeit, sozialen Abstieg, innere- und äußere Sicherheit sowie die Auswirkungen des Klimawandels. Um diese Herausforderungen zu bestehen, muss die Europäische Union von einer wirtschaftlichen Integrationsgemeinschaft zu einer politischen Union weiterentwickelt werden. Diese neue Natur der Europäischen Union kommt im Vertrag von Lissabon zum Ausdruck. In der Präambel des Vertrages heißt es, die Unterzeichner des Vertrages seien entschlossen, "den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben."
Mit dem Reformvertrag erhält die Europäische Union ein solides Fundament. Erstmals werden die Werte genannt, die Leitlinien für das Handeln der Europäischen Union sind (Artikel 2). Die Europäische Union ist nicht alleine eine Zweckgemeinschaft von Mitgliedstaaten, sondern erreicht eine tiefere gegenseitige Bindung. Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenrechte und der Minderheitenschutz werden zum gemeinsamen Auftrag für alle Europäer. Sie werden zur Meßlatte für Europäische Politik. Neben Werten werden auch die Charakteristika verankert, welche die Europäische Gesellschaft ausmachen: Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität sowie Gleichheit von Männern und Frauen. Aus einem Verbund von Staaten wird mit dem neuen Vertrag endgültig eine echte Wertegemeinschaft. Sie fußt auf einer verbindlichen Rechtsgemeinschaft mit eigener Gesetzgebung und gerichtlicher Kontrolle. Die EU ist kein Staat, nimmt aber die ihr von den Mitgliedstaaten verliehenen Kompetenzen mit den Methoden des Bundesstaates wahr.
Dies drückt sich auch in den Zielen der Europäischen Union aus (Artikel 3), die im Vergleich zu den bisherigen Europäischen Verträgen neu ausgerichtet und erweitert werden. Erstes Ziel der EU ist es, Frieden und Freiheit, die Werte der EU und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern. An zweiter Stelle wird das Ziel genannt, die EU zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts weiterzuentwickeln, in der es keine Binnengrenzen mehr gibt. Drittens wird eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft angestrebt. Ziel der EU ist, die wirtschaftliche Entwicklung zu Vollbeschäftigung, sozialem Fortschritt und einer besseren Umweltqualität zu führen. Neu aufgenommen wurden insbesondere soziale Ziele: Die EU wird soziale Ausgrenzung und Diskriminierung bekämpfen, soziale Gerechtigkeit fördern und auf die Gleichstellung von Mann und Frau hinwirken.
Mit dem Vertrag von Lissabon wird erstmals eine klare Kompetenzabgrenzung in der Europäischen Union eingeführt. In den bisherigen Verträgen sind Angaben über Zuständigkeiten der EU und der Mitgliedstaaten auf zahlreiche Artikel in verschiedenen Teilen des Textes verteilt. Artikel 2 - 6 des neuen "Vertrages über die Arbeitsweise der Union" (bisheriger EG-Vertrag) beschreiben die genauen Zuständigkeiten der verschiedenen Ebenen. Ausschließliche Kompetenz besitzt die EU in den Bereichen Zollunion, Wettbewerbsregeln für den Binnenmarkt, Währungspolitik (gilt nur für die EU-Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben), Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik und gemeinsame Handelspolitik. Geteilt ist die Zuständigkeit zwischen Mitgliedstaaten und der EU in folgenden Sektoren: Binnenmarkt, Aspekte der Sozialpolitik, wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt, Landwirtschaft und Fischerei, Umwelt, Verbraucherschutz, Verkehr, transeuropäische Netze (grenzüberschreitende Infrastruktur wie Bahntrassen, Autobahnen und Energienetze), Energie, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Innen- und Justizpolitik) und Aspekte der öffentlichen Gesundheit. Unterstützende, koordinierende und ergänzende Maßnahmen kann die EU in den Bereichen Beschäftigung, Wirtschaft, Soziales, Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit, Industrie, Kultur, Tourismus, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, Katastrophenschutz und Verwaltungszusammenarbeit beschließen.
Die EU wird auch in Zukunft nicht zu einem "Superstaat", wie es in einigen Mitgliedstaaten diskutiert und befürchtet wird. Mit dem Vertrag von Lissabon wird noch stärker als bisher gewährleistet, dass sich die europäische Ebene auf jene Bereiche und Entscheidungen beschränkt, die auf nationaler oder regionaler Ebene nicht besser gelöst werden können. In diesem Zusammenhang wird das in Deutschland schon lange geltende Recht auf kommunale Selbstverwaltung erstmals auch in den europäischen Verträgen festgeschrieben. Das Prinzip der Subsidiarität - dass Entscheidungen auf der Ebene getroffen werden, wo die angestrebten Ziele am besten verwirklicht werden können - wird mit dem neuen Vertrag gestärkt, insbesondere durch die neu eingeführte Subsidiaritätskontrolle (siehe Seite x).
Mit dem neuen Vertrag wird sich die Orientierung der EU-Politik verbreitern und weiterentwickeln: Soziale Aspekte werden gestärkt. Zwar werden Arbeitslosen- und Krankenversicherung, Pensionen und alle anderen Aspekte des Sozialschutzes weiterhin ausschließlich nationale Angelegenheiten bleiben. Aber bei Entscheidungen in europäischen Politiken, wie Binnenmarkt und Wettbewerb, Wirtschafts- und Währungspolitik bis zur Umwelt- und Energiepolitik müssen die Gesetze und Programme zu mehr Beschäftigung, sozialer Integration und Gleichstellung von Mann und Frau beitragen. Der Ausbau des Binnenmarktes und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die viele Jahre lang vorrangige Ziele der Europäischen Union waren, werden durch neue Prioritäten ergänzt, beispielsweise eine nachhaltige Energie- und Verbraucherpolitik. Bürgerinteressen rücken damit stärker ins Zentrum der Europäischen Politik.
Handlungsfähigkeit und Effizienz der EU verbessert
Die Europäische Union ist unsere Antwort auf viele der heutigen und zukünftigen Herausforderungen. Klimawandel, Energiesicherheit, innere und äußere Sicherheit, Migration und die Globalisierung der Wirtschaft sind nur einige der Themen, die von den europäischen Nationalstaaten allein nicht mehr erfolgreich gemeistert werden können. Der Vertrag von Lissabon passt die Kompetenzen der EU den heutige Herausforderungen an: Energiepolitik, Klimapolitik, Raumfahrtpolitik und Krisenmanagement sind neue Politikbereiche, für die in Bälde die EU zuständig sein wird. Das gewachsene Europa hat durch mittlerweile 27 Mitgliedstaaten mit fast 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern enorm an wirtschaftlichen und politischen Potential gewonnen. Folge des Wachstums ist aber auch, dass die Entscheidungsfindung schwieriger geworden ist und die Entscheidungsmechanismen einer grundlegenden Reform bedürfen, um erfolgreich und glaubwürdig Politik zu gestalten und das politische Projekt EU zu legitimieren. Der Vertrag von Lissabon sieht dazu weitgehende Verbesserungen vor, die eine mögliche Blockadepolitik einiger weniger Staaten verhindern können, den europäischen Entscheidungsprozess weiter demokratisieren, die Arbeit der Institutionen effizienter machen und die Handlungsfähigkeit Europas legitimieren.
Um die Arbeit des Rates kohärenter und effizienter gestalten zu können, wird das Amt des hauptamtlichen Ratspräsidenten eingeführt, der dem Europäischen Rat jeweils für zweieinhalb Jahre vorsitzt. Der Ratspräsident wechselt damit nicht mehr mit jeder sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft. Durch die personelle Kontinuität wird Kontinuität und Kohärenz für wichtige und längerfristige politische Projekte gewährleistet.
Die Europäische Kommission wird sich verkleinern. Ab 2014 werden nur noch 2/3 der Mitgliedstaaten einen Kommissar stellen und es wird ein Rotationssystem eingeführt, das garantiert, dass jeder Mitgliedstaat in zwei von drei Kollegien einen Kommissar stellt. Bis 2014 wird allerdings die bisherige Konstellation beibehalten, nach der jeder Mitgliedstaat einen Kommissar stellt. Diese Verkleinerung wird zusammengehörige Fachbereiche zusammenführen und so die Arbeit der Kommission effizienter machen. Es besteht außerdem die Hoffnung, dass die Rotation noch einen weiteren Vorteil bringt, nämlich eine Entkoppelung der den Kommissaren zugeordneten Fachbereiche von den jeweiligen nationalen Regierungen. Eine Besondere Stellung in der Kommission wird eine der Vizepräsidentinnen bzw. einer der Vizepräsidenten einnehmen. Diese Person wird zum einen als Hoher Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik dem Rat zugeordnet sein und zum anderen auch die Aufgaben des Kommissars für Auswärtige Angelegenheiten übernehmen wird.
Der Vertrag von Lissabon bedeutet vor allem den wichtigen Schritt weg von der Einstimmigkeit im Rat hin zur qualifizierten Mehrheitsentscheidung als Regel. Bis auf einige Bereiche wie der Außen- und Sicherheitspolitik, Sozialversicherung oder in Steuersachen wird nun auf Ratsebene mehrheitlich beschlossen und damit entfällt das Vetorecht. Bei 27 souveränen Mitgliedstaaten mit möglichen 27 unterschiedlichen Interessensansätzen zu einem Gesetzesvorhaben kann Einstimmigkeit als Regelvoraussetzung keinen Bestand haben, wenn Europa handlungsfähig bleiben soll. Es ist mit den heutigen Regelungen zu einfach, wichtige Gesetzesvorhaben zu blockieren, um z.B. Partikularinteressen auf ganz anderem Gebiet durchzusetzen. Mit Ratifizierung des Vertrags von Lissabon wird es - außer für den Bereich der Außen und Sicherheitspolitik - auch möglich sein, von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsentscheidung zu wechseln, ohne dass dies in einem neuen Vertrag ratifiziert werden müsste.
Die nötige qualifizierte Mehrheit ist erreicht, wenn 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, dem Vorhaben zustimmen. Mit der doppelten Mehrheit wird - entsprechend der Doppelnatur der Europäischen Union als Bürger- und Staatenunion - sowohl dem Grundsatz der Staatengleichheit (ein Staat eine Stimme) als auch der Bürgergleichheit (durch das Bevölkerungselement hat jeder vertretene Einwohner annähernd das gleiche Gewicht) Rechnung getragen. Dieser Modus für Mehrheitsentscheidungen ist transparenter und klarer, als der derzeit geltende. Die Bildung einer Speerminorität erfordert mindestens vier Mitgliedstaaten. Eingeführt wird die doppelte Mehrheit nicht zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon kommen, sondern erst nach einer Übergangsfrist im Jahr 2014. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auf Wunsch der Kaczynski-Regierung diese Frist bis 2017 verlängert werden.
Ein weiterer neuer Prüfmechanismus für Gesetzesvorhaben sieht vor, dass eine Minderheit der Mitgliedstaaten vor der Annahme von Rechtsakten im Rat eine befristete Weiterberatung verlangen kann. Dieser Mechanismus, bekannt als "Kompromiss von Ioannina", wurde 1995 im Rahmen des EU-Beitritts Österreichs, Finnlands und Schwedens eingeführt und niemals angewandt. Entscheiduungen können auf diese Weise 2-3 Monate verzögert werden.
Lässt sich für ein politisches Projekt keine Mehrheit im Rat der Europäischen Union finden, wird es mit dem Vertrag von Lissabon einfacher, die Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit einer kleineren Gruppe von Mitgliedstaaten zu gemeinsamen Politikinitiativen im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit zu nutzen. Das Europäische Parlament muss der verstärkten Zusammenarbeit zustimmen.
Größeren Handlungsspielraum wird die Union vor allem auch in den Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik (dazu später) und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bekommen. Mit Auflösung der Pfeilerstruktur für EU und intergouvernementale Kompetenzen werden diese Politiken in das reguläre Unionsrecht einbezogen, unter Beibehaltung einiger Sonderregelungen.
Einer der bedeutendsten Fortschritte des Reformvertrags ist die weitere Integration der Justiz- und Innenpolitik und damit die Stärkung des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. In einem Europa ohne Grenzen und Grenzkontrollen ist eine Harmonisierung dieser Rechtsbereiche für die innere Sicherheit und die Bekämpfung von Kriminalität notwendig geworden. Durch Mehrheitsentscheidungen werden Harmonisierungen des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrensrechts möglich werden, wobei eine ´Notbremsen´-Regelung vorgesehen ist, wenn die Verletzung wichtiger Grundsätze des nationalen Strafrechts droht.
Für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen haben sich Großbritannien und Irland allerdings vorbehalten nicht teilzunehmen. Dieser Sonderweg ist nicht nur wegen der möglichen Einbuße an Effektivität der Zusammenarbeit zu kritisieren, sondern auch, weil der Sonderweg der Einheitlichkeit einer immer engeren Union zuwiderläuft. Vor allem wird dies zu einem Problem der Bürger die er beiden Inselstaaten werden.
Nicht zuletzt ist auch die Bestimmung über den zukünftig möglichen Austritt aus der Europäischen Union Ausdruck der verstärkten Handlungsfähigkeit der Union. Ein Mitgliedsstaat, der sich nicht mehr mit der Europäischen Union, ihren Werten und ihren Zielen identifizieren kann, kann die offene Tür finden. Ein Austritt ist nur als äußerste Maßnahme vorstellbar, aber ein Mitgliedstaat, der nur im nationalen und nicht im gesamteuropäischen Interesse handelt, schadet der politischen Integration und der Handlungsfähigkeit der EU als solcher.
Stärkung der Europäischen Außenpolitik
Die europäische Außenpolitik erfährt durch den Reformvertrag einen enormen Schub. Personifiziert wird dies insbesondere durch das neue Amt des Hohen Vertreters der Union für die Außen und Sicherheitspolitik, dem ein europäischer diplomatischer Dienst zur Seite gestellt wird. Die Amtsbezeichnung "Außenminister der Europäischen Union", die noch im Verfassungsentwurf für die Position vorgesehen war, fiel letztendlich den Bedenken jener Staaten zum Opfer, denen der Begriff Verfassung zu ´superstaatlich´ anmutete. Inhaltlich sind die Vorgaben des Verfassungsentwurfs zum Amt des Außenministers jedoch fast eins zu eins in den Vertrag von Lissabon übernommen worden.
Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik wird sowohl dem Rat als auch der Kommission angehören. Man spricht deswegen von einem "Doppelhut" unter dem der Hohe Vertreter interinstitutionelle Reibungspunkte aufheben wird. Das Amt vereint die Positionen des Vorsitzenden des neu geschaffenen Außenministerrates, des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und des Kommissars für auswärtige Beziehungen, und wird auch Vizepräsident der Kommission mit allen Rechten und Pflichten sein. Er verleiht damit der außenpolitischen Dimension der EU nicht allein ein Gesicht und Visibilität, sondern sorgt auch für mehr Kohärenz, Effizienz und Handlungsfähigkeit.
Der neue Europäische Auswärtige Dienst unterstützt den Hohen Vertreter. Der Dienst arbeitet mit den diplomatischen Diensten der Mitgliedstaaten zusammen und wird mit Beamten aus den einschlägigen Abteilungen des Generalsekretariats des Rates und der Kommission sowie abgeordnetes Personal der nationalen diplomatischen Dienste besetzt. Er sollte administrativ an die Kommission angebunden sein und gleichzeitig einen sui-generis-Charakter wegen der Rolle des Rates haben.
Die Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), im neuen Vertrag umbenannt in Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) wird durch den Reformvertrag entscheidend erweitert. Eingeführt wird eine Solidaritätsklausel der Mitgliedstaaten für Katastrophen innerhalb der EU. Dazu heißt es im Vertrag: Die Union und ihre Mitgliedstaaten handeln gemeinsam im Geiste der Solidarität, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Es ist vorgesehen, dass zur Abwendung einer Katastrophe oder zur Linderung der Folgen die Union alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, mobilisiert. Darüber hinaus sieht der Vertrag von Lissabon eine gegenseitige Verteidigungsverpflichtung vor, nach der im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats die anderen Mitgliedstaaten alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten müssen.
Im Rahmen der GSVP wird es darüber hinaus zukünftig möglich sein, dass der Rat einer Gruppe von Mitgliedstaaten, die sich dazu bereit erklären und die notwendigen Kapazitäten besitzen, die Durchführung von Missionen überträgt. Außerdem wird es unter dem neuen Regelwerk einfacher für eine Gruppe von Mitgliedstaaten, eine ständige strukturierte Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsangelegenheiten einzugehen. Jenen Mitgliedsstaaten, die ihre militärischen Fähigkeiten gemeinsam weiterentwickeln wollen, erhalten damit die Möglichkeit, dies innerhalb der EU-Strukturen zu tun.
Europäische Rechtsgemeinschaft
Die Mitglieder der Europäischen Union einen vornehmlich unsere gemeinsamen Werte und die darauf aufbauende Rechtsgemeinschaft. Die Rechtsgemeinschaft der EU, als tragende Säule der Europäischen Integration, wird durch den Vertrag von Lissabon vertieft. Die Europäische Union wird erstmalig eine einheitliche Rechtspersönlichkeit bekommen, Bürgerrechte werden durch die Rechtsverbindlichkeit der Europäischen Charta der Grundrechte gestärkt und die Kompetenzen des Europäischen Gerichtshof (EuGH) werden auf sämtliche Politikbereiche, ausgenommen der Außen- und Sicherheitspolitik, ausgedehnt.
Die Charta der Grundrechte, die am 12. Dezember 2007 feierlich im Europäischen Parlament proklamiert wurde, ist Katalog der europäischen Werte. Sie fasst alle bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger zusammen und garantiert ihnen diese Grundfreiheiten gegenüber den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie gegenüber der Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Unionsrecht. Die Charta wird in einem Zusatzprotokoll zum Vertrag enthalten sein, jedoch wird sie gemäß Art. 6 des EUV volle Rechtsverbindlichkeit entfalten und primärrechtlichen Rang haben. In dem gescheiterten Europäischen Verfassungsentwurf war die Charta noch prominent im Vertragstext integriert. Dies war trotz großer Anstrengungen vieler Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments während der Regierungskonferenz 2007 nicht mehr durchsetzbar. Für die Rechtskraft hat sich dadurch jedoch nicht geändert.
Zukünftig werden außerdem auch Direktklagen eines Bürgers gegen Akte von EU Organen und Behörden vor dem Europäischen Gerichtshof zulässig sein. Anspruchsgrundlagen können sich auch dafür aus der Grundrechtecharta ergeben. In Polen und Großbritannien werden sich die Bürger allerdings nicht auf die Charta der Grundrechte berufen können, auch wenn sich jedes alles EU-Recht an ihrem Maßstab messen lassen muss. Für die Bürger dieser beiden Länder besteht der Grundrechteschutz gegenüber der Europäischen Union deswegen nur mittelbar.
Die neu eingeführte einheitliche Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union stärkt vor allem das internationale Auftreten und die internationale Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Müssen heute noch die Mitgliedstaaten stellvertretend für die Union internationale Verträge unterzeichnen, wird sie dies nach Inkrafttreten des Reformvertrags selber können. Damit wird die EU den klaren Auftrag des Vertrags erfüllen und der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten können.
Klare Vorteile der neuen Verträge:
1. Pfeilerstruktur aufgehoben (auch wenn nach wie vor spezielle Verfahren für die Außen- und Sicherheitspolitik gelten)
2. Entscheidungsverfahren vereinfacht (auch Haushaltsverfahren)
3. klare Normenhierarchie (legislative acts, delegated acts, implementing acts) (Kritik: die Namen Europäisches Gesetz und Rahmengesetz wurden über Board geworfen und die alten Namen Verordnung, Richtlinie und Entscheidungen wieder bemüht)
Aussicht: Der Reformvertrag ist nicht der letzte Integrationsschritt
Sobald die Ratifizierung in allen Mitgliedsländern erfolgt ist, muss der Vertrag von Lissabon umgesetzt werden. Ein Europa-Vertrag ist lediglich ein juristisches Gerüst, das dann mit politischem Leben gefüllt werden muss. Die neuen Prinzipien, Werte und Ziele der Europäischen Union müssen von allen Akteuren der Europapolitik verinnerlicht werden. Dann wird die Politik der EU auch tatsächlich bürgernäher, und offener sein. Das Europäische Parlament wird sein bestes tun, um die neuen demokratischen Rechte auszuschöpfen und noch besser mit Bürgern über die europäischen Politiken zu kommunizieren. Es wird seinen neuen Handlungsspielraum, insbesondere in der Innen- und Justiz-, Klima- sowie Außenpolitik nutzen und entsprechende Initiativen ergreifen. Auch alle nationalen Politiker stehen in der Verantwortung, mehr zu einer offenen Debatte über Europa und damit zur Demokratisierung der EU beizutragen.
Auch mit Ratifizierung und Umsetzung des neuen Vertrages ist die EU noch nicht am Ende ihrer Entwicklung angekommen. Allerdings wird das wohl nicht in den nächsten Jahren der Fall sein. Ein weiterer Anlauf wird gemacht werden müssen, um Schwächen und Schieflagen zu beheben. Dies kommt bereits in der Präambel zum Ausdruck, wo von einer immer engeren Union der Völker Europas gesprochen wird. Für zukünftige Vertragsänderungen wird die sehr erfolgreiche Konventsmethode ermöglicht. Änderungen der Europäischen Verträge können in einem Konvent von europäischen und nationalen Parlaments- und Regierungsvertretern vorbereitet werden. Erstmals können Initiativen für eine Weiterentwicklung der Verträge auch vom Europäischen Parlament ausgehen. Für kleinere Änderungen, beispielsweise den Übergang von Einstimmigkeit zu Mehrheitsabstimmungen im Ministerrat, ist weder ein Konvent, noch eine - bisher obligatorische - Regierungskonferenz notwendig.
Mit dem Vertrag von Lissabon bricht ein neues Zeitalter für die Europäische Union an. Die Europäische Union versteht sich zunehmend als politische Union. Entscheidungen werden demokratischer und bürgernäher. Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können schneller und effektiver gelöst werden. Die Rechte und der Schutz der europäischen Bürger werden gestärkt. Die Reformen, die der Vertrag von Lissabon enthält, sind sehr zahlreich.