Frage an Elisabeth Scharfenberg von Georg D. bezüglich Gesundheit
Frau Scharfenberg,
wann geben Politik endlich zu, dass eine vernünftige Finanzierung, des Gesundheitssystems längst nicht mehr möglich ist. Ich als chronisch Kranker fordere die Einführung der freiwilligen (!!) Euthansie. Kostedämpfend und unterm Strich das Menschenwürdigste. Warum erlauben Sie mündigen Bürgern nicht endlich selbstständig und frei zu entscheiden, wann es an der Zeit ist zu gehen. Welche Skrupel haben Politiker dieses brisante Thema anzugehen?
mfG
Georg Dangl, Erding
Sehr geehrter Herr Dangl,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich will vorweg sagen, dass es darauf keine 100%ig "richtige" oder "falsche" Antwort geben kann, da Sie hiermit ein hochehthisches Thema ansprechen, das tief in die Gewissensfreiheit eines jeden Menschen reicht.
Derzeit wird im Bundestag debattiert, wie ein Gesetz zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ausgestaltet werden kann. Das Thema Selbstbestimmungsrecht am Lebensende reicht tief in den Bereich individueller Wertvorstellungen jedes einzelnen Menschen, ist von persönlichen Erfahrungen geprägt und hat auf die Entscheidungsfreiheit eines Menschen an seinem Lebensende große Auswirkungen. Gemeinsamkeiten und Differenzen lassen sich hier nicht entlang der sonst üblichen politischen Konfliktlinien festmachen. Die Fraktionen des Bundestags haben deshalb den Fraktionszwang in dieser Frage aufgehoben.
Grundlegend lässt sich feststellen: Das Selbstbestimmungsrecht gehört zum Kernbereich der grundgesetzlich geschützten Würde und Freiheit des Menschen. Auch bei medizinischen Eingriffen hat niemand das Recht, gegen den Willen eines Patienten oder einer Patientin eine Behandlung durchzusetzen; ansonsten macht er oder sie sich strafbar. Schwierig wird es, wenn eine Einwilligungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Diese Situation stellt hohe ethische Anforderungen an alle Beteiligten. Um Selbstbestimmung auch in dieser Situation zu ermöglichen, kann unter anderem eine Patientenverfügung verfasst werden. Es herrscht unter Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern sowie Patientinnen und Patienten jedoch große Unsicherheit wie mit Patientenverfügungen im klinischen Alltag umgegangen werden soll. Wir Grünen haben deshalb das gemeinsame Ziel, das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende zu stärken und Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.
Die Unterschiede in den Auffassungen finden sich in der grundlegenden Frage nach der Gültigkeit von Patientenverfügungen: Soll sie nur eingeschränkt gelten? Oder soll der zum Ausdruck gebrachte Wille grundsätzlich gelten?
Die einen sagen: Ja, wenn ein aktuell einwilligungsfähiger Mensch lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen kann, muss dieser Wille auch geachtet werden, wenn er im Voraus für eine bestimmte Situation geäußert wurde, in der keine Äußerungsfähigkeit mehr gegeben ist. Achtet man den Willen nämlich nur im Falle eines tödlichen Verlaufs des Leidens, dann bedeutet das im Umkehrschluss eine Zwangsbehandlung, die nicht erlaubt ist. Voraussetzung ist natürlich, dass die in der Verfügung beschriebene Situation mit der konkreten Situation übereinstimmt und es keine Anzeichen einer Willensänderung gibt. Ich ganz persönlich vertrete diese Haltung, achte und respektiere dennoch anderslautende Ansichten.
Andere sagen: Nein, denn im Fall der Einwilligungsunfähigkeit darf eine Patientenverfügung nicht gleichgesetzt werden mit der bewussten Erklärung des Patienten oder der Patientin in einer aktuellen Behandlungssituation. Eine solche Entscheidung kann nicht im Voraus gefällt werden, weil die Betroffenen gar keine realistischen Voraussagen machen können, wie ihr Befinden, wie die Rahmenbedingungen tatsächlich sein werden, wenn der in der Patientenverfügung vorausgesagte Fall eintritt. Allzu große Freiheit bei der Abfassung der Verfügung kann dazu führen, dass im Ergebnis dem Patientenwillen sogar zuwider gehandelt wird. Patientenverfügungen sollen, wenn sie auf die Situation zutreffen, als verbindlich gelten. Soweit sie jedoch über die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen verfügen, also den Tod herbeiführen, sollen sie nur dann gelten, wenn die Krankheit einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat.
Diese Argumente müssen in den nächsten Monaten klug gegeneinander abgewogen werden. Wie auch immer der Deutsche Bundestag sich entscheidet, für uns steht fest:
Auch am Lebensende muss ein würdevolles Leben ohne Schmerzen möglich sein, und zwar an dem Ort, den die Betroffenen wünschen. Die Rahmenbedingungen für ein Sterben in Würde bedürfen in Deutschland weiterhin deutlicher Verbesserungen. Bündnis 90/Die Grünen wollen eine individuelle Sterbebegleitung mit einem hohen Maß an Selbstbestimmung. Dazu gehören für uns vor allem die Stärkung der Palliativmedizin und Schmerztherapie sowie die Weiterentwicklung der Hospizarbeit und der Möglichkeiten, Schwerstkranke auf Wunsch auch zuhause zu pflegen. Die Sterbebegleitung muss darauf ausgerichtet sein, vor allem durch die Linderung von Schmerzen und anderen Krankheitsbeschwerden, den Patientinnen und Patienten so viel Lebensqualität und Rechte wie möglich zu erhalten, um ihnen auf diese Weise auch ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Gerade schwerstkranken Menschen und ihren Betreuenden muss nicht nur die bestmögliche medizinische Hilfe, sondern auch die bestmögliche psychologische bzw. psychotherapeutische Unterstützung zuteil werden.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch den Hinweis auf den parlamentarischen Antrag der grünen Bundestagsfraktion "Leben am Lebensende" (unter: http://www.gruene-bundestag.de/cms/initiativen/dok/189/189141.antrag_leben_am_lebensende.html) sowie eine ausführliche Diskussion des Themas Patientenverfügung auf unserer Homepage (unter: http://www.gruene-bundestag.de/cms/patientenverfuegung/rubrik/10/10857.patientenverfuegung.html)
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Scharfenberg