Frage an Elisabeth Scharfenberg von Oliver S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Scharfenberg,
Ich sehe, dass Sie für den ESM abgestimmt haben und bin bestürzt.
Meine Frage: Haben Sie sich dazu auch umfassend mit der Materie befasst, genauer, welche Kriterien lassen Sie bewegen, diese enorme finanzielle Last auf dem Rücken der jetzigen und zukünftigen deutschen Generationen abzuwälzen? Haben Sie die durchaus möglichen Alternativen abgewogen? Und, haben Sie diese Fragestellung in Ihrem Wahlkreis diskutiert und sich Rückendeckung geholt?
Ich bin auf Ihre Rückantwort gespannt, gerne auch zu einer direkten Ausprache bereit, sollte Ihnen für eine schriftliche Diskussion die Zeit fehlen. Bitte geben Sie mir dazu gerne Ihre öffentlichen Termine an.
Alles Gute
Oliver Schubert
Sehr geehrter Herr Schubert,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Vor dem Hintergrund der letzten Abstimmungen zum ESM habe mich natürlich eingehend mit der Materie befasst, die Einschätzungen unserer Experten gelesen und die Beratung in der Fraktion verfolgt. Auch mit meinem Kreisverband habe ich mich beraten. Gerne möchte ich Ihnen die Position meiner Fraktion und meine Überlegungen zum Thema erläutern.
Der dauerhafte ESM soll die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) ablösen. Er soll künftig verhindern, dass Euro-Länder im Krisenfall zum Problem für die gesamte Währungsunion werden können. Im Gegensatz zum EFSF zahlen die Euro-Länder in den ESM tatsächlich Kapital ein und geben nicht nur Garantien aus. Das ermöglicht dem ESM, am Markt Geld zu günstigen Konditionen aufzunehmen und den Zinsvorteil an die Länder in Not weiter zu geben. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Notlage eines Landes für Spekulationsgeschäfte genutzt werden kann. Dabei werden die Kredite vom ESM nur vergeben, wenn der Empfängerstaat strenge Auflagen erfüllt. Gleichzeitig wird das Land einer Schuldentragfähigkeitsprüfung unterzogen, um sicher zu stellen, dass es in naher Zukunft seine Schulden wieder tragen kann. Außerdem wird regelmäßig überprüft, ob die Auflagen eingehalten werden, andernfalls werden keine weitere Zahlungen geleistet. Die Bundestagsfraktion der Grünen ist der Überzeugung, dass der ESM damit wirksam dazu beitragen kann, die Eurozone langfristig zu stabilisieren, denn er schafft verbindliche Regeln und verhindert Spekulationen zu Lasten verschuldeter Länder.
Ein weiterer wichtiger Baustein zur Bekämpfung der Euro-Krise ist der Fiskalpakt. 25 der 27 EU-Staaten haben sich mit diesem Pakt darauf verständigt, nationale Schuldenbremsen einzuführen. Der Fiskalpakt soll Anfang nächsten Jahres in Kraft treten. Dabei war uns Grünen wichtig, die einseitige Sparpolitik der Bundesregierung zu beenden. Denn Länder, die nur sparen, geraten immer tiefer in eine Rezession, wachsende Arbeitslosigkeit und eine Zuspitzung der sozialen Lage. Aus grüner Sicht müssen Sparauflagen sein, aber sie sollten realistisch sein und einhergehen mit langfristigen Strukturreformen und nachhaltigen Investitionen. Die Bundestagsfraktion der Grünen hat sich daher zum einen für eine Finanztransaktionssteuer eingesetzt und zum anderen für einen Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung. Nicht durchsetzen konnten wir uns in der Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds wie vom Sachverständigenrates der Bundesregierung vorgeschlagen, der eine echte und langfristige Perspektive für Schuldenabbau dargestellt hätte.
Das ausschlaggebende Kriterium war für uns, dass keine Entscheidung ohne parlamentarische Mitbestimmung gefällt werden darf. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestag müssen zweimal zustimmen ehe ein Land unter den Rettungsschirm gehen kann. Zunächst darüber, ob einem Mitgliedsstaat grundsätzlich geholfen werden soll und, in einem zweiten Schritt, darüber welche Voraussetzungen für diese Hilfe erfüllt werden müssen. Auch eine Ausweitung des ESM oder eine Änderung der Hilfsinstrumente kann nicht ohne Zustimmung des Parlamentes erfolgen. Das von den Grünen angerufene Bundesverfassungsgericht hat unsere Auffassung bestätigt. Damit konnten wir erreichen, dass das EU-Beteiligungsgesetz, das die Rechte des Bundestags regelt, an die Neuerungen des Fiskalvertrags angepasst worden ist.
Die grundlegende Überlegung, die uns Grüne und mich persönlich dazu bewogen hat, für den ESM zu stimmen, bestehen darin, dass die Europäische Union eine solidarische Wertegemeinschaft ist, der wir in Europa Frieden und Wohlstand verdanken. Gerade eine Exportnation wie Deutschland hat von der Wechselkurs- und Geldwertstabilität des Euro profitiert. Nüchtern betrachtet haben wir bisher auch keine nachteiligen Auswirkungen der Eurokrise erfahren. Im Gegenteil, unsere exportorientierte Wirtschaft hat, wie kaum ein anderes Land im Euroraum, am niedrigen Kurs des Euro gut verdient, denn er verschaffte deutschen Waren einen Preisvorteil auf dem Markt. Anders ausgedrückt, ein Wegfall des Euros und eine eigene starke deutsche Währung würde unsere Waren auf dem Markt verteuern und hätte für unsere Wirtschaft verheerende Folgen.
Dabei birgt die Euro-Krise natürlich Risiken für uns. Unser Anteil am eingezahlten Stammkapital des ESM beträgt 22 Milliarden Euro. Außerdem haben wir Gewährleistungen übernommen, die auf maximal 190 Milliarden Euro begrenzt sind. Bisher können wir davon ausgehen, dass diese Kredite zurückgezahlt werden. Sollte dies nicht so sein, würde es auch für uns teuer. Deutschland müsste einen Verlust, den der ESM erleidet, dann anteilig mittragen.
Am 12. September wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darüber entscheiden, ob der ESM und der EU-Fiskalpakt gegen das Grundgesetz verstoßen. Wenn das Verfassungsgericht dem widerspricht, wovon man ausgehen kann, werden ESM und Fiskalpakt in Kraft treten und einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen habe beantworten können.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Scharfenberg MdB