Frage an Eike Hovermann von Günter O. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Hovermann,
wie kann es sein,das trotz "Bildungsnotstand" Hauptschulen geschlossen und Klassen vergrößert werden? Genau das Gegenteil müßte getan werden.
MfG Günter Overbeck
Sehr geehrter Herr Overbeck,
vielen Dank für Ihre Zuschrift vom 16. Juni 2008, in der Sie beklagen, dass trotz der bekannten Defizite in der schulischen Ausbildung Hauptschulen geschlossen und die Schülerzahlen pro Klasse erhöht werden.
Auch während meiner langjährigen Tätigkeit als Lehrer habe ich die Erfahrung gemacht, dass in der Bildungspolitik pragmatische Lösungen zugunsten besserer Bildungschancen häufig durch falsche Problemanalysen der Politik verhindert werden. Deshalb habe ich für Ihren Unmut großes Verständnis.
Sicherlich wissen Sie, dass die Kompetenzen des Bundes in der Bildungspolitik begrenzt sind. Die überwiegende Mehrheit der Entscheidungen wird auf Länderebene getroffen. Dies hat zur Folge, dass im deutschen föderalen System je nach Land die unterschiedlichsten Ansätze in der Bildungspolitik verfolgt werden. Ich hoffe Sie haben deshalb Verständnis dafür, dass ich als Vertreter des Wahlkreises Soest im Deutschen Bundestag im Folgenden nur auf die Situation in NRW Bezug nehme.
Das Image von Hauptschulen hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich gewandelt. Während ein durchschnittlicher Hauptschulabschluss lange Zeit Garant für gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz war, stellt sich die Situation heute ambivalenter dar: Häufig nur noch in ländlichen Regionen sind leistungsstarke Hauptschulen zu finden – die restlichen Bildungseinrichtungen erreichen nur mehr ein niedriges oder mittleres Leistungsniveau. Immer mehr Hauptschulen in Ballungszentren, insbesondere im Ruhrgebiet, müssen zudem als „Problemschulen“ mit äußerst niedrigem Leistungsniveau bezeichnet werden.
Diese Entwicklung ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass der Besuch der Hauptschule mehr und mehr Resultat eines negativen Ausleseprozesses wurde. Während der Anteil der Schüler eines Jahrgangs, die von der Grundschule aufs Gymnasium oder die Realschule wechselten drastisch anstieg, konnten Hauptschulen immer weniger Grundschulabgänger freiwillig für ihren Bildungsgang gewinnen. Hauptschulen fiel mehr und mehr die Rolle einer Pflichtschule zu, die all diejenigen aufnimmt, die sich in den anderen Bildungsgängen nicht zurechtfinden. Kapazitätsanpassungen im Bereich der Hauptschulen sind dementsprechend eine logische Konsequenz des Rückgangs der Nachfrage nach diesem Schultyp.
Problematisch am oben beschriebenen Wandel im Bildungswesen ist meiner Meinung nach, dass Hauptschulen immer mehr zu „Restschulen“ werden. Sie haben vielfach den Ruf als Sammelbecken für Schüler aus schwierigen sozialen Verhältnissen und bildungsfernen Familien, als letzter Hort für Migrantenkinder ohne ausreichende Deutschkenntnisse, als Endstation für Schüler mit negativen Schulkarrieren und Disziplinproblemen. Ein Grund für diese Entwicklung ist die frühe Auslese im gegliederten Schulsystem aus Gymnasium, Real- und Hauptschule. Dieses wird den Anforderungen eines modernen und leistungsfähigen Bildungssystems nicht mehr gerecht.
Die NRW-SPD hat aus diesem Grund die Initiative ergriffen und auf ihrem Bochumer Bildungsparteitag im August letzten Jahres unter dem Motto „Beste Bildung für Alle“ ein ehrgeiziges Bildungskonzept verabschiedet. Im Zentrum steht die Einführung der Gemeinschaftsschule bis zur 10. Klasse, in der Hauptschule, Realschule und Gymnasium unter einem Dach zusammengefasst werden. Durch gemeinsames Lernen und den Wegfall eines frühen Entscheidungsdrucks zugunsten eines Schultyps wollen wir ein integratives Bildungssystem schaffen, dessen vorrangigstes Ziel die Chancengleichheit aller Schüler ist.
Mit freundlichen Grüßen
Eike Hovermann, MdB