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Frage von Wolfgang T. •

Frage an Eduard Oswald von Wolfgang T. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Oswald,

ich möchte Ihnen als Vorsitzenden des Finanzausschusses gern eine Frage zum deutschen Steuerecht stellen.
Anlass hierzu ist das letzte Verfassungsgerichtsurteil zum Sonderabzug.
Ein Nichtfachmann und sogar die Mehrzahl der Abgeordneten des Bundestages können unser deutsches Steuerrecht nicht ernsthaft nachvollziehen. Lediglich Fachleute und Fachrichter können nur mit diesem Gesetz umgehen.

Nun zu meiner Frage:
Weshalb sind Sie nicht bereit, das deutsche Steuerrecht grundlegend zu reformieren?
Entsprechende Vorschläge sind vorhanden, z.B. u.a. die vom Verfassungsrichter a.D. und jetzigen amtierenden Professor Kirchhof sowie vom Abgeordneten Merz.

Bei Ihrer Antworten bitte ich folgendes zu bedenken:
1. Ich möchte keine Rechtfertigung zur Kompliziertheit des Steuerrechts und was schließlich auch die Gerichte daraus gemacht haben.
2. Keine Erläuterungen, dass eine ständige Entbürokratisierung für sämtliche Beteiligte erfolgen muss und auch erfolgt sind.
3. Keine Erläuterungen zu den Vor- und Nachteile der Vorschläge von Herrn Prof. Kirchhof und Herrn Merz.
4. Ich erwarte von Ihnen, dass nicht immer gesagt wird, es muss etwas zur Vereinfachung getan werden, sondern, dass endlich konkrete Vorschläge zur Diskussion in der Gesellschaft mit dem Ziel einer grundlegenden Reform gemacht werden. Vorschläge von Sachverständigen können hierfür die Basis einer Diskussion sein.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Tatschke

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Sehr geehrter Herr Tatschke,

Sie verbinden Ihre Frage, weshalb ich nicht bereit sei, das deutsche Steuerrecht grundlegend zu reformieren, mit genauen Anweisungen, was Sie nicht hören wollen. Das lässt mir wenig Spielraum - ich will es aber dennoch versuchen:

Zur Frage:

Ich bin - klipp und klar - bereit, das deutsche Steuerrecht grundlegend zu reformieren. Die Vorschläge von Prof. Kirchhoff und meinem Kollegen Friedrich Merz habe ich als Anregung dazu sehr wohl dankend zur Kenntnis genommen.

Zu Anweisung 1:
Auch ich bin müde, mir ständig vor Augen halten zu lassen, dass unser Steuerrecht im Laufe vieler Jahrzehnte zu diesem komplizierten Gebilde geworden ist, das es heute darstellt. Der Gesetzgeber (Deutscher Bundestag und Bundesrat) macht das Gesetz. Also hat er es komplizierter gemacht - ihm obliegt die Gestaltungshoheit, es wieder zu vereinfachen.

Zu Anweisung 2:
Auch ich weiß, dass zwar bereits Einiges geschehen ist, um das Steuerrecht zu entbürokratisieren und dass - vielleicht auch mit Hilfe des Nationalen Normenkontrollrats - noch einiges geschehen wird, aber dass es eines großen Wurfs bedarf, damit wieder jeder Bürger mit einigermaßen Überblick über seine Einnahmen und Ausgaben in der Lage ist, die notwendigen Angaben zur Festsetzung seines zu versteuernden Einkommens zu machen.

Zu Anweisung 3:
Auch ich möchte nicht mehr nur Vor- und Nachteile vorliegender Vorschläge abwägen, sondern Ergebnisse umsetzen. Wir haben lange genug diskutiert, um zu wissen, dass keine Steuererklärung auf einen Bierdeckel passen wird. Aber das wollte auch Friedrich Merz nie wirklich. Er hat es "zugespitzt", um irgendwas zwischen "Bierdeckel" und derzeitigem Steuerrecht zu erreichen. In der Tat ist aber immer noch zu wenig geschehen.

Zu Anweisung 4:
Auch ich erwarte von mir und meinen Kollegen, dass nicht immer nur gesagt wird, es müsse was getan werden, sondern dass endlich was getan wird. An dieser Stelle bringen Sie mich ein wenig in Schwierigkeiten, wenn Sie schreiben, Sie würden erwarten, dass endlich konkrete Vorschläge zur Diskussion gestellt werden. Das beißt sich ein bisschen mit Anweisung 3.

Was wäre, wenn man folgenden Vorschlag machen würde:

Jeder zahlt auf sein Jahresbruttoeinkommen ohne irgendwelche einkommensmindernden Abzüge 30 Prozent Einkommensteuer. Das entspricht dem derzeitigen Durchschnittssteuersatz und könnte in etwa aufkommensneutral für den Staatshaushalt sein. Das Einkommen weist jeder Bürger gegenüber dem Finanzamt mit seinen zwölf Gehaltsabrechnungen nach.

Was wären die Reaktionen?

1. Zum Steuertarif:

Die Bezieher kleiner Einkommen werden empört fragen: Wie kann man von mir erwarten, dass ich mit meinem Jahreseinkommen von nur 20.000 Euro auch noch 6.000 Euro Steuern zahle? Das ist ungerecht. Reiche müssen stärker belastet werden, um Arme entlasten zu können.

Lösung: Wir führen einen progressiven Steuertarif ein. Steuerpolitisch versierte Menschen wissen dann, dass es ein steuerfreies Existenzminimum für kleine Einkommen, eine Progressionszone mit steigendem Grenzsteuersatz für die Mittelschicht und eine obere Proportionalzone mit konstantem Grenzsteuersatz (sog. Reichensteuer) gibt. Dass dennoch keine Situation entstehen kann, in der das Einkommen steigt, aber man weniger rausbekommt, weil es sich immer um Grenzsteuersätze handelt, werden viele Menschen schon nicht mehr verstehen, da die Bedeutung des Wortes "Grenzsteuersatz" schwer zu verstehen ist. Das wird zu ungerechtfertigten Unzufriedenheiten führen. Wir können es aber nicht ändern. Andernfalls wäre das System ungerecht. Aber wir veröffentlichen Tabellen, in denen für jedes Einkommen die zu zahlende Steuer abzulesen ist. Somit kann zumindest jeder ganz einfach seine Steuerlast bestimmen.

2. Zur Existenz eines Formulars "Einkommensteuererklärung"

Was machen wir mit denen, die zwei Jobs haben und 24 Gehaltsabrechnungen abgeben müssen?

Lösung: Wir bereiten einen Zettel vor, auf dem jeder Bürger mehrere Jahreseinkommen eintragen kann. Eigentlich wollten wir ja kein Einkommensteuerformular, aber noch ist es wenigstens einfach. Das muss eben sein.

3. Zur Existenz des Einkommensteuerrechts:

Was machen wir mit denen, die als Krankenschwester, als Arzt, als Anlageberater oder mit vielen anderen Berufen gezwungen sind, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen, um sicherzustellen, dass Schäden aus fahrlässigem Verhalten, die Menschenleben oder Existenzen zerstören können, ausgeglichen wird, obwohl der Betroffene selbst in seinem ganzen Leben nicht genug Vermögen dafür aufbringen kann?

Lösung: Wir sehen auf dem sowieso schon vorhandenen Einkommensteuerformular ein Feld vor, in das genau solche Ausgaben eingetragen werden, weil die Kosten für die Berufshaftpflichtversicherung quasi das Einkommen mindern. Das macht das Formular ein bisschen kompliziert, aber ohne diese Möglichkeit wäre es auch nicht fair. Und welche Berufshaftpflichtversicherungen hier abzugsfähig sind und welche nicht, müssen wir im Gesetz genau festlegen, sonst führt das zu Missbrauch. Dazu müssen wir das Einkommensteuergesetz erlassen, was wir eigentlich abschaffen wollten. Außerdem muss das Finanzamt prüfen, ob es sich um eine Versicherung gemäß Gesetz handelt. Das macht Verwaltungsaufwand und führt eventuell zu einem ablehnenden Bescheid, der wiederum Unzufriedenheit bedeutet. Eine andere Lösung sehe ich aber nicht.

4. Zur Förderung bestimmter Dinge, die mit Ausgaben verbunden sind:

Nun stellt sich - als ein weiteres Beispiel - das Problem, dass aufgrund der Überalterung der Gesellschaft die gesetzliche Rentenversicherung in 20 Jahren nur noch Renten auszahlen können wird, die den Menschen im Alter mitunter nicht ausreichen. Daher wäre es wünschenswert, wenn Jeder neben der gesetzlichen Rente privat vorsorgt. Das kann der Staat den Menschen predigen. Erfahrungsgemäß bringt das aber wenig.

Lösung: Wir fördern es steuerlich. Die Abzugsfähigkeit der Versicherungspolicen muss gesetzlich festgeschrieben werden. Die Ausgaben müssen auf dem Einkommensteuerformular eingetragen werden. Die Erklärung muss im Finanzamt geprüft werden. Das Gesetz wird komplizierter, das Formular beginnt erklärungsbedürftig zu werden, der Bescheid des Finanzamts wird die Menschen, die in Rentenpapiere ohne die notwendigen Bindefristen bis ins Alter investiert haben, erbosen.

5. Zur Förderung bestimmter Verhaltensweisen:

Manch einer hält im Sportverein Training für Jugendliche oder engagiert sich in einer anderen Weise ehrenamtlich, was von großem Nutzen für die Gesellschaft ist. Dafür wird mitunter eine Aufwandsentschädigung, z.B. von 6 Euro die Stunde, ausgezahlt. Wenn man darauf auch noch Steuern zahlen muss, springt nicht mal mehr das Benzin raus, was man für die Fahrt zur Turnhalle ausgibt.

Lösung: Wir stellen einzelne Einnahmen steuerfrei. Die listen wir einfach im Einkommensteuergesetz auf (siehe § 3 EStG). Die Einnahmen werden dann in einem eigenen Feld in die Erklärung eingetragen, vom Finanzamt geprüft und entsprechend nicht zum zu versteuernden Einkommen hinzugezählt. Macht Gesetz, Erklärung und Prüfung noch komplizierter. Das Ziel, das damit erreicht wird, ist es aber wert.

6. Zur Verhinderung bestimmter Dinge:

Schwarzarbeit stellt ein zunehmend bedeutendes Problem dar, Steuermindereinnahmen sind das eine, viel wichtiger ist aber die fehlende soziale Absicherung der Arbeitenden. Lösung: Wir führen die Abzugsfähigkeit haushaltsnaher Dienstleistungen ein, damit hat jeder Steuerbürger ein Interesse daran, dass die Putz- oder Handwerkerleistung auf Rechnung erbracht wird. Nur so kann er den steuerlichen Vorteil nutzen. Leider muss das aber auch wieder ins Gesetz, auf Formular und in die Finanzamts-Prüfung. Die soziale Absicherung von Putzkräften und Handwerkern sollte uns das aber wert sein.

Wir könnten nun sicherlich noch lange weiter machen, um zu den Punkten 3 bis 6 weitere Beispiele zu finden, die zwingend steuerlich berücksichtigt werden müssen. Anders herum könnten wir das Einkommensteuergesetz durchgehen und Punkte finden, die aus der steuerlichen Sonderbehandlung rausfliegen dürfen. Beides droht aber, den "großen Wurf" zu gefährden. Beispielhaft will ich aber einen Blick in den § 3 EStG ( http://www.gesetze-im-internet.de/estg/__3.html ) werfen, um zu prüfen, ob folgende Einnahmen steuerfrei bleiben sollen:

* Leistungen von Krankenversicherungen (Nr. 1)
Zu Recht ist das steuerfrei! Das sind keine Einkommen, sondern Krankengeld etc. Das zu besteuern wäre widersinnig. Diese Einnahmen müssen aber von anderen Einnahmen, die sinnvollerweise besteuert werden, gesetzlich abgegrenzt werden.

* Arbeitslosengeld (Nr. 2)
Keine Frage - eine Besteuerung wäre nicht sachgerecht.

* Dienstkleidung der Polizei (Nr. 4a)
Steuerfrei? Ja! Aber eine gesetzliche Abgrenzung ist wichtig, damit nicht andere Arbeitgeber Sachleistungen statt Geld auszahlen, um die Besteuerung zu umgehen.

* Reisekostenerstattungen (Nr. 13 und 16)
Es wäre nicht einsehbar, wenn man dienstlich reisen muss und die Flugkosten auslegt, dass man die Rückerstattung versteuern muss.

* Kindergeld (Nr. 24): Keine Diskussion!

* Übungsleiterhonorar (Nr. 26): siehe Nr. 5 oben

* Einnahmen aus ehrenamtlicher Arbeit (Nr. 26a)
Das wurde sogar erst kürzlich unter großem Beifall der Verbände ehrenamtlicher Arbeit eingeführt.

Ich würde es uns nun gerne ersparen, bis zur Nr. 70 (!!) dieses Paragraphen weiterzumachen. Sicherlich würden wir uns bei den allermeisten Einnahmen einig sein, dass eine Besteuerung unterbleiben muss. Als nächstes müssten wir noch die Gewinnermittlung von Selbstständigen (27 Paragraphen) diskutieren. Ganz ohne gesetzliche Regelungen werden wir hier nicht auskommen. Nicht außer Acht bleiben darf, dass auch Angestellten und Arbeitern vergleichbare Abzugsmöglichkeiten wie Selbstständigen eingeräumt werden müssen. Sie wissen selbst, welcher - zum Teil gerechtfertigte - Sturm der Entrüstung derzeit übers Land fegt, weil der Weg zur Arbeit nicht mehr vollständig von der Steuer absetzbar ist. Selbstständige können immerhin auch jeden einzelnen, gefahrenen Kilometer absetzen. Die Sonderausgaben (siehe Nr. 4 oben) sind in zehn Paragraphen geregelt, wovon jeder einzelne seine Berechtigung hat. Und noch gar nicht diskutiert haben wir die anderen Einkommensarten (Land- und Forstwirtschaft, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung).

Daran sehen wir, dass wir es uns zu einfach machen, wenn wir fordern, das Steuerrecht zu vereinfachen, ohne einmal ins Gesetz und auf die Einzelheiten zu gucken. Der Teufel steckt halt doch - wie so oft - im Detail.

Seien Sie versichert, dass ich in meinen Anstrengungen, zur Vereinfachung des Steuerrechts beizutragen, nicht nachlassen werde. Das ist eines der Ziele, die ich mit meiner Aufgabe als Vorsitzender des Finanzausschusses verknüpfe. Aber die Bretter, die ich, meine Kollegen im Ausschuss und im ganzen Parlament sowie der Finanzminister mit seinem Arbeitsstab hierzu bohren müssen, sind erheblich dicker, als dies beim ersten hinsehen scheint. Ich hoffe, meine Ausführungen haben dies ein klein wenig deutlich gemacht.

Mit freundlichem Gruß

Eduard Oswald, MdB