Frage an Edgar Franke von Christine K. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Dr. Franke,
ich habe Fragen zu einzelnen Punkten des ESM und würde mich freuen, Ihre Sicht zu erfahren.
Art. 8 Abs. 2 des ESM bestimmt, dass der Gouverneursrat den Ausgabekurs des ESM-Kapitals beliebig erhöhen kann. Das bedeutet, dass die Höhe der deutschen Haftung auch beliebig höher sein kann als die bisher diskutierten unfassbaren 190 Milliarden Euro.
Art. 25 Abs. 2 legt eine Nachschußpflicht fest, wir dürfen heute davon ausgehen, dass uns diese Pflicht realistischerweise auferlegt wird, bspw. wenn Spanien,Portugal oder Griechenland ihre eigenen Einzahlungen nicht leisten können. Zusätzlich kann der ESM lt. Artikel 21 unbeschränkt Kredite aufnehmen - also faktisch Eurobonds.
Sind die Kosten aus Ihrer Sicht damit noch kalkulierbar? Wie hoch kalkulieren Sie die Kosten ?
In der FAZ von heute http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/schuldenkrise-retten-ohne-ende-11832561.html ist beschrieben, wie im Fall von "Dringlichkeitsbeschlüssen" (Art. 4 Abs. 4, eine genaue Definition von "Dringlichkeit" fehlt) wohl vorgegangen werden muss. Der Finanzminister, Mitglied im Gouverneursrat, wird sein Parlament bitten müssen, die "Dringlichkeitsbeschlüsse" nachträglich zu genehmigen. Tut das Parlament das nicht, so hat das den Regelungen des ESM nach keine Folgen. Der ESM, niemandem zur Rechenschaft verpflichtet, unbegrenzter Geheimhaltung unterlegen, deren Manager lebenslange Immunität geniessen, wird seine "Dringlichkeitsbeschlüsse" umsetzen. Unbeschadet der Beschlüsse des Deutschen Bundestages.
Sind damit die Parlamentsbeteiligungsrechte aus Ihrer Sicht noch gewährleistet?
Es würde mich freuen, wenn Sie inhaltlich auf die von mir aufgeführten Punkte des ESM eingehen und Ihre Sicht darlegen könnten.
Mit freundlichem Gruß
Christine Kirchhoff
Sehr geehrte Frau Kirchhof,
die SPD war weder an der Erarbeitung noch an der Verhandlung dieses Vertrages beteiligt. Seit Januar 2011 waren wir, die SPD-Bundestagsfraktion, gezwungen, in jeder Sitzung des Haushaltsausschusses nach dem aktuellen Stand der Verhandlungen zu fragen, um dann im Juni 2011 lediglich einen ersten Entwurf zu erhalten. Wir haben uns diesen Vertrag daher nicht zu eigen gemacht, weder während der Verhandlungen noch im Anschluss, als nach Ansicht der Bundesregierung keine Änderung des Vertrages mehr möglich war. Einige seiner Bestimmungen sind in der Tat problematisch und werfen Fragen auf. Im Bundestag stand aber nur die Zustimmung oder die Ablehnung dieses Vertrages zur Abstimmung, eine Möglichkeit für Nachverhandlungen gab es nicht.
Wir haben daher hohe und strenge parlamentarische Hürden in das ESM-Ausführungsgesetz („ESM-Finanzierungsgesetz“) eingezogen. Die beiden deutschen Vertreter im Gouverneursrat und im Direktorium müssen vor wichtigen Entscheidungen die Zustimmung des Deutschen Bundestages einholen. Gleiches gilt, wenn einem Mitgliedstaat Finanzhilfe gewährt werden und mit dem in Not geratenen Staat eine Vereinbarung über diese Hilfen geschlossen werden soll. In allen diesen Fällen muss der Deutsche Bundestag vorher zustimmen, sonst ist die Bundesregierung gezwungen, in Brüssel abzulehnen.
Wenn der "Ausgabekurs" erhöht würde, also wenn die Finanzmittel oder das Kapital des ESM erhöht werden sollen, bedarf es sogar vorher eines Bundesgesetzes: Gemäß Art. 2 des deutschen Ratifizierungsgesetzes zum ESM muss der Bundesfinanzminister durch Bundesgesetz ermächtigt werden, einer Kapitalerhöhung, aber auch einem neuen ESM-Instrument nach Art. 19 des ESM-Vertrages zuzustimmen. Die haushalterische Gesamtverantwortung des Parlaments, die das Bundesverfassungsgericht zu Recht stets betont, fordert unserer Auffassung nach, dass der Deutsche Bundestag stets zu beteiligen ist und die Verantwortung für die Verwendung der ESM-Gelder gerade nicht allein beim "Gouverneursrat" liegt.
Diese Parlamentsrechte sind im ESM-Finanzierungsgesetz ausdrücklich geregelt. Entscheidend ist, dass das Parlament als die von den Bürgerinnen und Bürger gewählte Volksvertretung mitentscheiden und mitbestimmen muss und es keine Entscheidung am Bundestag vorbei gibt.
Der Bundestag hat auf seine haushalterische Gesamtverantwortung gerade nicht verzichtet. Das Parlament hat Finanzmittel bis zur Höhe von 190 Milliarden Euro genehmigt, davon knapp 22 Milliarden Euro als Bareinlage. Eine Erhöhung dieser Summe ist nur durch ein neues bzw. geändertes Bundesgesetz möglich. Für die Verpflichtungen, die der ESM eingeht, haftet er mit dem genehmigten Kapital der Mitgliedstaaten selbst. Es gibt keine Haftung in den Bundeshaushalt hinein und keine Haftung für Deutschland, die über die 190 Milliarden Euro hinausgeht. Es gibt keine Haftung Deutschlands für die Schulden anderer Staaten gibt. Für die Notfallmaßnahmen des ESM erwirbt der ESM eine Forderung gegen den betreffenden Mitgliedstaat. Auch für deren Ausfall haftet Deutschland nicht unmittelbar, Verluste würden, wenn sie aufträten, aus dem ESM beglichen.
Lassen Sie mich abschließend auf die Krisenverursacher eingehen: Die SPD-Fraktion hat klargestellt, dass es für Banken, Bankeneigentümer und Finanzakteure keine bedingungslose Rettung mit dem Geld der Steuerzahler mehr geben darf. Das muss jedem klar sein. Wir brauchen grundlegende und strenge Reformen des Bankensektors, bei denen die Verluste, die Lasten und die Risikovorsorge von der Branche selbst getragen werden. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit, aber auch der ökonomischen Tragfähigkeit. Nicht zuletzt geht es dabei um die fundamentalen Prinzipien einer sozialen Marktwirtschaft, in der auch haften muss, wer Risiken eingeht.
Viele Grüße
Dr. Edgar Franke