Frage an Edgar Franke von Dirk H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Herr Dr. Franke,
teilen Sie die Ängste vieler Bürger die Herr Sarrazin mit seinen Thesen angeblich vertritt?
Finden Sie einen Parteiausschluss von Herrn Sarrazin gerechtfertigt?
Sind Sie der Ansicht, dass die Integration in Deutschland auf dem richtigen Weg ist?
Sollten die Behörden härtere Sanktionen gegenüber integrationsunwilligen Personen verhängen dürfen, auch wenn diese deutsche Staatsbürger sind?
Zu den oben genannten Fragen bitte ich um Ihre Meinung. Bitte keinen Verweis auf die Beruhigungspillen von Frau Nahles oder Herrn Gabriel.
Schöne Grüße
Dirk Hainbuch
Sehr geehrter Herr Hainbuch,
gerne antworte ich Ihnen auf Ihre Fragen.
Teilen Sie die Ängste vieler Bürger die Herr Sarrazin mit seinen Thesen angeblich vertritt?
Ich frage mich zunächst einmal, warum Sarrazin jetzt mit diesem Buch und seinen umstrittenen Thesen sowie angeblichen Tabubrüchen aufwartet. Warum hat er nicht, als er selbst in poltischer Verantwortung als Berliner Senator stehend, die von ihm geforderte Integrationspolitik betrieben bzw. gefordert? Nun trägt er nicht die Verantwortung für die Wirkung seiner Worte. Das ist Populismus.
Die Zahl der Menschen, die ihm hinter vorgehaltener oder nicht vorgehaltener Hand Recht geben, scheint beachtlich zu sein. Das Buch Sarrazins stärkt dabei allerdings weniger die Integration sondern spaltet die Gesellschaft. Davor habe ich Angst. Leider zeigt die Erfahrung, dass immer wieder eine latent vorhandene ausländerfeindliche Stimmung genutzt wird, um einen politisch öffentlichkeitswirksamen Auftritt zu erzeugen. Koch und Rüttgers wurden damit Ministerpräsidenten.
Doch Sarrazins Empfehlungen der Verbesserung Deutschlands, wie die Ganztagsschule, die Entmachtung der Länder bei den Schulkompetenzen, aber auch die Forderung nach einer höheren Geburtenrate unter den Gebildeten, ist kein Biologismus. Das ist Sozial- und Bildungspolitik. Darüber kann gestritten werden. Nicht mit einem Ausschluss sondern politisch sollten wir dem begegnen.
Finden Sie einen Parteiausschluss von Herrn Sarrazin gerechtfertigt?
Man kann inhaltliche Diskussionen nicht durch ein Ausschlussverfahren ersetzen. Das ist meine Meinung.
Die SPD hat vor allem auf ein Interview des Bundesbank-Vorstands in der Welt am Sonntag reagiert: "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden", hatte Sarrazin gesagt. Für solche rassistischen Thesen ist in der SPD kein Platz..
Michel Friedmann hatte ihn in einem Interview gefragt, welche speziellen Gene damit gemeint seien und welche Eigenschaften aus diesen Genen zu erwarten seien. Sarrazin reagierte zunehmend unwirsch und wollte sich den kritischen Fragen nicht stellen. Hiermit hat sich Sarrazin selbst entlarvt.
Faz-Net hat zu Sarrazins Biologismus veröffentlicht:
„Die genetische Ähnlichkeit von Juden ist belegt“, hatte die New York Times nach Erscheinen der (von Sarrazin zitierten, E.F.) Studien getitelt. Zwischen beiden Aussagen - genetisch enge Verwandtschaft auf der einen Seite und ein Gen für alle Juden auf der anderen - liegt nicht weniger als die Kluft zwischen Wahrheit und Dichtung. … Für ein spezielles „Juden-Gen“ trifft dasselbe zu wie auf ein „Intelligenz-Gen“: Es ist die Prosa biologistischer Fälscher. Eben Dichtung.
Wir Sozialdemokraten wollen nicht in der Nähe rassistischer Denkansätze gerückt werden.
Daher: Nicht Sarrazins Kritik an den Fehlern der Integrationspolitik, sondern dessen ´fatales menschenverachtendes Menschenbild´ (so der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel) ist Anlass für ein Ausschlussverfahren.
Sind Sie der Ansicht, dass die Integration in Deutschland auf dem richtigen Weg ist?
Die SPD will das Thema Integration zu einem Schwerpunkt ihres Parteitags am 26. September in Berlin machen. Wir wollen darüber diskutieren, wie Bildungs- und Sprachdefizite vor allem bei Kindern aus Zuwandererfamilien vermindert werden können. Einige fordern die Durchsetzung der Schulpflicht für alle und wollen den Besuch von Kindertagesstätten für die sogenannte U3-Betreuung verbindlich vorschreiben. Die neu aufgeflammte Diskussion zeigt, da ist noch Handlungsbedarf.
Doch eine Pauschalierung ist falsch. Viele Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund, wie es heute heißt, verhalten sich vorbildlich. Die Integration verläuft positiv. Diese Erfahrungen zeigen, dass wir die Sozialisierung in den Schulen und Kintertagesstätten benötigen und fördern müssen. Integrations- und Sprachkurse können diesem Ansinnen ebenfalls entgegenkommen.
Mir ist besonders wichtig, dass sich jeder Mensch, ungeachtet seiner Religion, Herkunft oder Nationalität sicher fühlen kann. Dass er Chancengerechtigkeit und Wertschätzung erfährt, auch wenn er erkennbar muslimisch, jüdisch oder christlich in Erscheinung tritt.
Sollten die Behörden härtere Sanktionen gegenüber integrationsunwilligen Personen verhängen dürfen, auch wenn diese deutsche Staatsbürger sind?
Zeit Online meldet am 6. September 2010: „Der Bundesinnenminister hält nichts von Thilo Sarrazins Thesen. Zugleich droht er aber mit Sanktionen für "Integrationsverweigerer". In der CDU stößt das auf Zustimmung. Allerdings handelt es sich doch auch oft um deutsche Staatsbürger, wie Sie richtig anmerken. Hier kann nicht mit unterschiedlichem Recht vorgegangen werden.
Das im Jahr 2000 eingeführte neue Staatsangehörigkeitsrecht sehe ich nicht als Integrationshemmnis. Es entspricht vielmehr den Erfordernissen eines Einwanderungslandes, wie es Deutschland bereits seit vielen Jahrzehnten ist. Ein Zuwanderungsverbot wäre für die Entwicklung unserer Gesellschaft verheerend.
Mit freundlichen Grüßen,
Edgar Franke