Frage an Eckhardt Rehberg von Alexis S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Rehberg,
wie bewerten Sie die aktuelle Flüchtlings- und Asylpolitik der Bundesrepublik? Welchen Beitrag werden Sie leisten, um 1.) die Staaten an der Peripherie der EU in Bezug auf die Aufnahme von Füchtlingen und Asylbewerber_innen zu entlasten und 2.) die Anzahl verunglückter Flüchtlinge z.B. beim Überqueren des Mittelmeeres kurzfristig drastisch zu senken? Stimmen Sie mit mir überein, dass der Bundestag in der Verantwortung steht, eine Politik zu praktizieren, die es schutzbedürftigen Menschen ermöglicht, unbürokratisch einen Aufenthalt in Deutschland oder einem EU-Staat ihrer Wahl zu bieten? Welche Verbesserungen planen Sie für die Lebensbedingungen Asylsuchender mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus?
Vielen Dank im Voraus für ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Alexis Schwartz
Sehr geehrter Herr Schwartz,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Flüchtlings- und Asylpolitik vom 28.10.2013.
Zunächst möchte ich betonen, dass die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer eine Tragödie darstellt. Der Tod der ertrunkenen Menschen ist zutiefst zu bedauern.
In erster Linie müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, damit die Menschen in ihren Heimatländern eine Zukunft sehen und auch haben. Allein auf dem afrikanischen Kontinent leben viele der etwa eine Milliarde Menschen unter zum Teil schwierigsten humanitären und auch wirtschaftlichen Bedingungen. Der Zuwanderungsdruck kann deshalb letztendlich nur durch eine Verbesserung der Lebensverhältnisse vor Ort und durch Schutzsysteme innerhalb der Region verringert werden.
335.000 Menschen haben 2012 in der Europäischen Union (EU) einen Asylantrag gestellt. Auf Deutschland, Frankreich, Schweden, Großbritannien und Belgien fielen 70 Prozent dieser Anträge. Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr 78.000 Asylanträge gestellt. Bis Ende des Jahres ist mit über 100.000 Anträgen für das Jahr 2013 zu rechnen.
Die Europäische Union hat Mitte des Jahres neugefasste Regelungen zu einem „Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“ in Kraft gesetzt. Diese betreffen die Asylzuständigkeit der Mitgliedstaaten, das Asylverfahren als solches und die Aufnahmebedingungen mit dem Ziel, fairer und schneller Verfahren mit hohen Schutzstandards.
Die Innenminister der Mitgliedstaaten der EU haben zu Beginn des Monats die Einrichtung einer Task Force beschlossen, die kurzfristig unter anderem Maßnahmen zur verbesserten Seenotrettung, vertiefter Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten, zur Unterstützung besonders betroffener Mitgliedstaaten, glaubwürdiger Rückkehrpolitik und zur Bekämpfung von Schleusern und Menschenhändlern initiieren soll.
Humanitäre Wege für Schutzsuchende in Drittstaaten über Korridore oder ein verändertes Visumregime sind nicht der richtige Weg. Solche Forderungen laufen in letzter Konsequenz auf die Abschaffung aller Instrumente zur Migrationssteuerung einschließlich der Abschaffung von Grenzkontrollen insgesamt hinaus. Der „Pulleffekt“ wäre gewaltig, die Migrationsströme unkontrollierbar. Ziel Europas ist es, Sicherheit und Wohlstand zu exportieren und nicht Armut und Unsicherheit zu importieren. Der richtige Weg ist es vielmehr, die Fluchtursachen vor Ort zu verbessern und das kriminelle Schlepperunwesen konsequent zu bekämpfen.
Aufgrund der weitreichenden Bedeutung des Asylrechts kann ein Antrag auf Asyl daher nicht in den Auslandsvertretungen, sondern muss weiterhin nur im Inland erfolgen. Auch eine Prüfung der Asylgründe im Herkunfts- oder Transitland entspricht nicht der besonderen Bedeutung des Asylrechts. Zudem kann nur auf dem eigenen Hoheitsgebiet der mit dem Asyl verbundene Schutz gewährt werden. Auslandsvertretungen befinden sich jedoch auf fremdem Hoheitsgebiet und unterliegen grundsätzlich fremder Hoheitsgewalt. Tatsächlich jedoch dürfte eine solche Forderung gefahrvolle Fahrten über das Mittelmeer nicht verhindern. Denn abgelehnte Schutzsuchende würden immer noch versuchen, nach Europa zu gelangen. Der richtige Weg geht vielmehr über das sog. Resettlement.
Deutschland nimmt seit 2012 jährlich 300 Flüchtlinge im Rahmen des Resettlement-Programms auf. Es ist angedacht, das deutsche Resettlement-Programm im Anschluss an die derzeit laufende Pilotphase fortzusetzen und zu verstetigen.
Darüber hinaus hat Deutschland mit der Aufnahme von 5.000 besonders schutzbedürftigen syrischen Flüchtlingen durch das humanitäre Aufnahmeprogramm des Bundes eine Vorreiterrolle in Europa übernommen. Bundesinnenminister Dr. Friedrich setzt sich seit März dieses Jahres bei der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten für eine gesamteuropäische Aufnahmeaktion für syrische Flüchtlinge ein. Auf Anregung von Bundesinnenminister Dr. Friedrich haben fast alle Bundesländer darüber hinaus zusätzliche Landesaufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge mit Verwandten in Deutschland aufgelegt.
Hinsichtlich der Forderung der Installierung eines effektiven Seenotrettungssystems muss allen klar sein, dass keinerlei Bemühungen um eine Seenotrettung gewährleisten können, dass eine Überquerung des Mittelmeers mit völlig ungeeigneten und erheblich überladenen Booten wirklich sicher wird. Wir können lediglich Maßnahmen treffen, um das Risiko für die Migranten auf deren Seeweg nach Europa zu reduzieren. Die hauptsächlich betroffenen und zunächst auch einmal zuständigen nationalen Behörden der südeuropäischen Staaten arbeiten ständig hieran und haben darüber hinaus die Möglichkeit, insbesondere über die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX um Unterstützung durch andere EU-Mitgliedstaaten zu ersuchen. An der Bereitschaft der EU-Mitgliedstaaten, die italienischen Behörden mit Einsatzkräften und Einsatztechnik zu unterstützen, bestehen keinerlei Zweifel.
Seit vielen Jahren erfahren die originär zuständigen jeweiligen EU-Mitgliedstaaten an allen relevanten Migrationsrouten operative Unterstützung anderer EU-Mitgliedstaaten, die von der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX in sogenannten „Joint Operations“ koordiniert wird. Diese Unterstützung bei der Überwachung der Seegrenzen ist insbesondere von Maßnahmen der Seenotrettung geprägt. Allein in den beiden vergangenen Jahren konnten durch FRONTEX-koordinierte Aktionen über 40.000 Menschen aus Seenot gerettet werden. Die maritime Grenzüberwachung leistet einen Beitrag zu effektiven Seenotrettungsoperationen.
Unter Nutzung voraussichtlich zusätzlicher, von der EU kurzfristig bereitgestellter finanzieller Mittel beabsichtigt FRONTEX die Aktivitäten im Mittelmeer und in der Ägäis in enger Abstimmung mit den zuständigen EU-Mitgliedstaaten zu intensivieren. Hierzu wird der konkrete zusätzliche Bedarf an Unterstützung bereits identifiziert.
Weitere Verbesserung wird das Überwachungssystem EUROSUR bringen. Mit der vom Rat bereits politisch konsentierten und nunmehr vom Europäischen Parlament beschlossenen EUROSUR-Verordnung können die zuständigen Behörden künftig Informationen austauschen. Damit wird den Behörden der Mitgliedstaaten aber auch FRONTEX ein wirksames Instrument zur Grenzüberwachung und damit auch zur Rettung Schiffbrüchiger an die Hand gegeben.
Für eine „grundlegende“ Änderung des EU-Asylzuständigkeitssystems besteht kein Bedarf. Von einem „Abschieben der Verantwortung“ kann auch keine Rede sein. Vielmehr darf das Dublin-Verfahren, mit dem grundsätzlich der Ersteinreisestaat als zuständiger Staat für das Asylverfahren vorgesehen ist, nicht singularisiert gesehen werden.
Für eine effektive EU-Flüchtlingspolitik stehen bereits zahlreiche Strategien und EU-Finanzinstrumente zur Verfügung: Die Mitte dieses Jahres fortentwickelten Rechtsakte zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) mit der Dublin- und Eurodac-Verordnung sowie der Asylverfahrens- und Aufnahme-Richtlinie – Ziel sind faire und schnelle Verfahren mit hohen Schutzstandards unter Bekämpfung von Missbrauch; das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) auf Malta, das seit Mitte Juni 2011 die Mitgliedstaaten in Flüchtlingsfragen wie z.B. Griechenland und Italien organisatorisch unterstützt; künftig der Asyl-, Migrations-, Integrations- und Rückkehrfonds im Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 mit einem Volumen von fast 3 Mrd. €; und nicht zuletzt der strategische EU-Gesamtansatz Migration und Mobilität (GAMM), der vielfältige Maßnahmen zur Förderung von regulärer Migration, Eindämmung illegaler Einreisen, Aufbau von Flüchtlingsschutz in Herkunfts- und Drittstaaten sowie eine enge Verzahnung von Migration und Entwicklung vorsieht.
Die Solidarität der EU und der Mitgliedstaaten untereinander zeigt sich in einer Reihe von erheblichen personellen, finanziellen und organisatorischen Maßnahmen, bei der das Dublin-Verfahren nur ein Teil ist. So standen unter anderem Italien von 2007 bis 2013 rd. 480 Mio. € an EU-Finanzmittel für die Bereiche Außengrenzen, Flüchtlinge, Integration und Rückkehr zur Verfügung. Deutschland setzt sich dafür ein, dass dieser weitgespante Rahmen von allen Mitgliedstaaten möglichst einheitlich und zeitnah in die Praxis umgesetzt wird. Deutschland sieht die EU-Kommission als „Hüterin der Verträge“ hierbei in einer besonderen Verantwortung.
Grundsätzlich haben sich die Zuständigkeiten des Ersteinreisestaates für das Asylverfahren nach der Dublin-Verordnung bewährt. Das Ersteinreiseland wird angehalten, seiner staatlichen Verantwortung gerecht zu werden und Migranten nicht einfach ungehindert ein– und durchreisen zu lassen. Nur so können wir einen EU-Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen gewährleisten. Deutschland hatte im vergangenen Jahr rund 23 Prozent der in der EU registrierten Asylanträge zu bewältigen, Italien dagegen nur etwa 5 Prozent.
Gemessen am Verhältnis der Zahl der Asylanträge zur Bevölkerungszahl bedeutet das für Deutschland eine Rate von 945 Asylbewerbern pro 1 Mio. Einwohner, für Italien dagegen nur eine Rate von 260 Asylbewerbern pro 1 Mio. Einwohner. Für eine grundlegend andere Verteilung von Asylbewerbern in Europa besteht demzufolge kein Anlass.
Auch bei Einführung eines Verteilungsmechanismus/Quote, die zurzeit immer wieder schnell gefordert wird, würden bestimmte Mitgliedstaaten wie Deutschland wegen des Lebensstandards einschließlich Sozialleistungen von Asylbewerbern bevorzugt. Damit müsste es auch künftig zu Überstellungen von Flüchtlingen innerhalb der EU kommen. Asylbewerber würden die gleichen Anstrengungen unternehmen, in dem erreichten Wunsch-Zielstaat zu bleiben bzw. es zu erreichen. Und eine vermeintlich „gerechtere“ Aufteilung von Asylbewerbern durch eine Quote würde auch keineswegs automatisch zu der erforderlichen Verbesserung der Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten führen.
Mit freundlichen Grüßen
Eckhardt Rehberg MdB