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Eckhard Rothe
Kusch
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Frage von dorothea h. •

Frage an Eckhard Rothe von dorothea h. bezüglich Soziale Sicherung

sehr geehrter herr dr. rothe.

als arzt schätze ich sie sehr, bin jetzt aber irritiert, sie bei der kusch-partei wiederzufinden. meine frage an sie: wie stehen sie zur sterbehilfe? was gedenken sie gegen den fluglärm in niendorf zu tun, wenn ich sie wähle? wie können sie ihren doch sehr ambitionierten beruf mit einer politiker-karriere vereinbaren? wann kann man sie öffentlich mal befragen?

mit freundlichen grüßen
dorothea harenberg
(EX-PATIENTIN HOLZKLASSE)

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Antwort von
Kusch

Sehr geehrte Frau Harenberg,

es freut mich, Ihre Fragen zu beantworten. Sie schreiben, dass Sie irritiert sind. Der Satz von Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, gilt auch heute: Das Gesundheitswesen ist die emotionale Politik, die den Menschen am meisten anspricht. Diese Behauptung erklärt Ihre Gemütswallungen bei dem Thema Gesundheitspolitik.

Auch ich bin skeptisch, ob Arztberuf und Politikerkarriere vereinbar sind. Ich kann Sie beruhigen, ich plane keine Politiker-Karriere. Ich bewege mich ein wenig im politischen Umfeld, weil ich zu der Meinung gekommen bin, dass es keine Politikverdrossenheit gibt, wie uns die Medien vorgaukeln, sondern es gibt eine Politikerverdrossenheit. Ist da ein Arzt mit politischen Aktivitäten nicht eine Alternative? Wie gefährlich das Terrain ist, auf das ich mich begebe, zeigt der Umgang der SPD in Hamburg mit meinem Kollegen Dr. Petersen, ein Allgemeinarzt in Altona.

Für Sie ist der Fluglärm, mit der damit verbundenen Gesundheitsschädigung, ein Thema. Für mich steht dieser Fluglärm zur Zeit nicht im Vordergrund. Die aktuelle Problematik ist, dass die Güterumgehungsbahn ohne nächtliches Fahrverbot, den schon tagsüber bestehenden Fluglärm auch nachts fortsetzt. Sicherlich haben Sie die Proteste der betroffenen Bewohner verfolgt. In München gibt es so eine ähnliche Problematik. Auch wenn eine Magnetschwebebahn technisch die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik interessiert, ist es den Bayern gelungen, die damit verbundene Lärmproblematik darzustellen. Eine Schlagzeile über den Lärm, zum Beispiel in der Erikastraße, habe ich noch in keiner überregionalen Zeitung gelesen. Lärm ist gesundheitsschädlich, gleichgülltig, ob er von einer Magnetschwebebahn oder von einem Güterzug ausgeht.

Der Mut, die Hartnäckigkeit und die Geduld der Gewerkschaft der Lokomotivführer zeigt uns, wie mit der Arroganz, der Ignoranz und der Menschenverachtung der abgehobenen und volksfernen Politiker umzugehen ist. Hier in Hamburg stören mich die halbherzigen, inkompetenten Aktivitäten des Bürgermeisters und des Senats. Der Spötter Heinrich Heine könnte es so ausgedrückt haben: Und als ich auf dem Michel stand, da hörte ich Hamburg schnarchen; es schlief da unten in sanfter Hut eines schönen blonden Monarchen. Vielleicht schnarcht unser Operettentenor, unser Hans-Albers-Verschnitt lauter als seine Untertanen? Bei dem Wort Untertan mögen Sie vielleicht lächeln oder erschrocken zusammenzucken. Ich erinnere mich, dass Sie den Beruf einer Psychologin ausüben. Sind Sie, wie wir Ärzte, bei Ausübung Ihres Berufes gezwungen worden, einer Kammer beizutreten? Wird Ihr Berufsbild in der Öffentlichkeit von ein paar Funktionären geprägt ? Mit anderen Worten: Sind auch Sie untertan? Das ist keinesfalls Polemik. Erinnern Sie sich einmal an die öffentlichen Debatten, die der Tod der Terri Schiavo in den USA hervorrief. Sie haben die Möglichkeit, diese im Internet noch einmal nachzulesen. Unterscheiden sich die Aussagen des Herrn George W. Bush, seines Bruders, des Papstes (er hat den Tod nur indirekt angesprochen) und des Bundesärztekammerpräsidenten in Form und Inhalt?

In einem Gemeinwesen, dass sich auf die Trennung von Staat und Kirche gründet, hat die Kirche das gute Recht, ihren Gläubigen zu verbieten, aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Aber keine Kirche dieser Welt darf Millionen von Nichtgläubigen oder Andersgläubigen ihre Meinung überstülpen. In der Bundesrepublik Deutschland dürfen sie es trotzdem. Dieses Recht der Kirchen ist gesetzlich verankert. Der Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII. hat mit dem tausendjährigen Reich einen Vertrag abgeschlossen, der den Kirchen bis in alle Ewigkeit das Recht gibt, die öffentliche Meinung zu prägen; in den Schulen durch den Religionsunterricht, in den Medien durch wesentlichen Einfluß in den Rundfunkbeiräten, in den Universitäten unter anderem bei der Lehrerausbildung. Das gesamte Wohlfahrts- und Jugendhilfswesen ist der geistlichen Willkür fast schutzlos ausgeliefert. Und diese Saat ist aufgegangen, wenn Sie das Agieren der Funktionäre in der Bundesärztekammer verfolgen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass einer meiner Kollegen, der dem islamischen Kulturkreis angehört, Bundesärztekammerpräsident wird, auch wenn er fundamentalistischer Moslem ist. Ich kann mir ebenfalls vorstellen, dass ein jüdischer Kollege, der zufälligerweise ultraorthodoxer Rabbi ist, auch Bundesärztekammerpräsident werden könnte. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass einer von diesen Beiden versuchen würde, seine religiöse Wahrheit der übrigen Ärzteschaft zu verordnen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er seine persönliche religiöse Vorstellung der Öffentlichkeit als Meinung der gesamten Ärzteschaft injeziert. Wäre es nicht endlich an der Zeit, dass auch wir, in der Bundesrepublik Deutschland, vom Säkularismus, dessen Folgen in den USA zu beobachten sind, zum Laizismus übergehen, wie es uns unsere Nachbarn, die Franzosen, vorleben? Aufgrund der Vermischung von Staat und Kirche können die Funktionäre der Ärztekammer postulieren: Aktive Sterbehilfe ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch dann wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein. Mit der Formulierung: ...kann strafbar sein,... betreten diese Funktionäre den Bereich einer Grauzone. Ist die Bezeichnung Grauzone in einem Bereich, der sich der exakten Festlegung verweigert, die richtige Bezeichnung? Ist die Verantwortung eines Arztes, mit dem ihm anvertrauten Leben, in rechtliche Normen zu fassen? Der Arzt steht nicht über der Rechtsordnung; aber alle juristischen Überlegungen bewegen sich in einer ungeheuren Distanz zu der konkreten Situation im Sterbezimmer. Meiner Meinung nach entzieht sich die Gewissensentscheidung des Arztes im konkreten Einzelfall der Einordnung in rechtliche und auch in moralische Kategorien. Die Bitte um Hilfe am Lebensende sind eine Angelegenheit zwischen Arzt und Patient. Kein Gericht und kein Gutachter darf sich da einmischen. Die einzige rechtliche Regelung, die wir Ärzte fordern müssen, ist ein Schutz vor Strafe, wenn wir unseren Patienten adäquat beigestanden haben.

Ich bin Mediziner, kein Philosoph, auch kein Jurist. Ich messe mir aber die Kompetenz zu, den Äußerungen des Bundesgerichtshofes und denen der Bundesärztekammer, eigene hinzuzufügen. Hätte nicht jeder ein besseres Leben, wenn er den Tod wie seinen Freund erwarten dürfte, wenn er sicher wäre, dass in der höchsten Not jemand helfen würde, sein Sterben zu beenden, solange es noch Ähnlichkeit mit seinem Leben hat, solange noch nicht alle Würde verloren ist? Würden nicht Millionen Menschen gelassener ihrer Arbeit nachgehen, wenn sie wüßten, dass ihnen eines Tages ein Arzt zur Seite stünde, der kein Spezialist, sondern ein Hausarzt ist?

Liebe Frau Harenberg, Ihre Frage nach meiner Einstellung zur Sterbehilfe ist doch die klassische Gretchenfrage im Faust: Nun sag´ wie hältst Du´s mit der Religion? Könnte Ihre Antwort nicht die des Mephisto sein? Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Denken Sie daran, liebe Frau Harenberg, dieses Zitat ist auch umkehrbar, wer ist ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will ... Wenn Ihnen die Antwort auf diese faustische Frage gelingt, haben Sie sicherlich kein Kreuz mit dem Kreuz; nicht bei der nächsten Wahl, auch nicht bei Ihrer Gesundheit.

Mit freundlichen Grüßen

Eckhard Rothe