Frage an Dirk Niebel von Hartmut M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Herr Niebel,
in Ihrer Antwort an Herrn Ankert meinen Sie, dass Sie keinen Grund sehen, dass Volk über die weitere EU-Politik abstimmen zu lassen. Wenn ich es richtig sehe, hat kaum jemand einen Austritt aus der EU gefordert. Sondern eine Abstimmung über den Vertrag von Lissabon. Warum ist Ihre Partei ständig pro forma für mehr direkte Demokratie und wenn es ernst wird, ziehen Sie Ihre Meinung quasi zurück!? Kann man Ihrer Meinung nach nach Belieben für oder gegen Volkabstimmungen sein? Je nachdem welchen Ausgang man erwartet? Meines Erachtens wäre das Politik ad absurdum.
In Ihrer Antwort an Herrn Haaske schreiben Sie, dass "jede legale Arbeit" zumutbar sei. Die Frage ist nur, was sie als "legale Arbeit" verstehen?
Eine mir bekannte Reinemachefrau verdiente 1,50 Euro pro Stunde. Ist es Ihrer Meinung nach ok, dass diese Frau so wenig verdient? Ihre Kollegin in einem anderen Hotel verdiente 10 Euro. Die Zimmerpreise waren nahezu gleich. Kann man einem Arbeitgeber zumuten, dass er gute Löhne bezahlt und über die Steuern seinem Konkurrenten die Mitarbeiter mitbezahlt? Wo bleibt da die gebotene Gleichberechtigung des Kapitals?
Ich kann nichts Liberales an Ihrer Weigerung erkennen Mindestlöhne abzulehnen. Zumindest dann nicht, wenn man wie der "Freiburger Kreis" innerhalb Ihrer Partei den Menschen in die Liberalität mit einbeziehen will.
81 Jahre alt bin ich. Aber seit den 1950er Jahren habe ich solche soziale
Fehlentwicklungen nicht erlebt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Mayer
Sehr geehrter Herr Mayer,
Herr Ankert hat die Frage nach dem Austritt aus der EU gestellt. Darauf bezieht sich meine Antwort. Bereits auf dem Bundesparteitag 2000 in Nürnberg hat sich die FDP für die Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden ausgesprochen. Politik wird für die Bürgerinnen und Bürger interessanter und transparenter, wenn sie sich in ihrem unmittelbaren Umfeld stärker an politischen Entscheidungen beteiligen können. Die FDP-Bundestagsfraktion hat den Antrag 16/474 "Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz" in den Deutschen Bundestag eingebracht, den Sie unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/004/1600474.pdf abrufen können. Er wurde im Innenausschuss noch nicht abschließend behandelt.
Mit dem Arbeitslosengeld II haben wir einen faktischen Mindestlohn. Nach der derzeit geltenden Gesetzeslage muss ein Leistungsempfänger praktisch jede Arbeit annehmen, auch wenn sie unter Tarif bezahlt wird. Die Arbeit darf nicht gegen Gesetze oder "die guten Sitten" verstoßen. Allerdings müsse Arbeitslose keine Arbeit weit unter dem Niveau ihrer alten Beschäftigung annehmen. Es gab schon immer Erwerbstätige, deren Einkommen vom Staat ergänzt wurde, z.B. durch Sozialhilfe oder Wohngeld. Eine Studie des DIW zeigt, dass viele gar nicht von einem Mindestlohn von 7,50 Euro profitieren würden, weil sie aufgrund der Größe ihrer Bedarfsgemeinschaft ihre Einkünfte mit Arbeitslosengeld II aufstocken. 50 Prozent der 479.000 vollzeitbeschäftigten Aufstocker haben einen Stundenlohn von neun oder mehr Euro. Insgesamt liegen zwei Drittel der Aufstocker über 7,50 Euro. Höchstens 15.000 allein stehende Erwerbstätige können wegen eines zu geringen Stundenlohns nicht von ihrem Vollzeitjob leben. Und im Baugewerbe stocken 42.000 Bauarbeiter trotz Mindestlohn mit Arbeitslosengeld II auf.
Für Hilfeempfänger muss grundsätzlich jede legale Arbeit zumutbar sein. Eine Festlegung auf eine tarifliche Entlohnung würde - unabhängig von der Qualifikation --zu einem Mindestlohn führen. Geringer entlohnte Tätigkeiten könnten dann legal weder angeboten noch nachgefragt werden. Damit werden gerade Geringqualifizierte aus dem Arbeitsmarkt gedrängt.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Niebel