Frage an Dirk Klaus Driesang von Guido L. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Driesang,
das AfD-Vorstandsmitglied Alexander Gauland sagte am 02.09.17 beim sog. AfD-Kyffhäuser-Treffen in Thüringen, dass die Rolle deutscher Soldaten im 2. Weltkrieg neu bewertetet werden und dass "ein Schlusstrich" unter die deutsche Nazi-Vergangenheit gesetzt werden muss (siehe http://www.spiegel.de/politik/deutschland/alexander-gauland-provoziert-mit-rede-zu-deutschlands-nazi-vergangenheit-a-1167750.html und http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/afd-alexander-gauland-relativiert-verbrechen-der-wehrmacht-15199412.html ).
Unstrittig dürfte sein, dass deutsche Wehrmachtssoldaten während des 2. Weltkriegs systematisch Gräueltaten an der Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen begangen haben (siehe z.B. http://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/systematische-verbrechen-der-wehrmacht/ , https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article114693474/Diese-Verbrechen-begingen-Deutsche-in-Russland.html , http://www.n-tv.de/leute/buecher/Die-Plaudereien-der-Wehrmachtssoldaten-article3624951.html und https://de.wikipedia.org/wiki/Verbrechen_der_Wehrmacht ).
Meine Fragen:
- Distanzieren Sie sich vom AfD-Vorstandsmitglied Alexander Gauland?
- Befürworten Sie ein Parteiausschlussverfahren gegen A. Gauland wg. dessen jüngsten Äußerungen zur Rolle der Wehrmacht im 2. WK?
In Erwartung Ihrer Antwort vor den Bundestagswahlen am 24.09.17 verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen aus Eching (Lkr. Freising)
G. L.
Sehr geehrter Herr L.,
Herr Gauland hat seine Rede mit einem bemerkenswerten Satz eingeleitet: "/Wer Geschichte säubert, zerstört unsere Identität./" Dem können wir sicher alle zustimmen. Was er dann zu den deutschen Soldaten in beiden Weltkriegen gesagt hat, folgt in großen Zügen dem, was auch ein Helmut Schmidt und ein Francois Mitterand ausführten. (/Letzterer in seiner großen Rede von 1995: 'Ich bin nicht gekommen, um den Sieg zu feiern, über den ich mich 1945 für mein Land gefreut habe. Ich bin nicht gekommen, um die Niederlage herauszustellen, weil ich wußte, welche Stärken das deutsche Volk hat, welche Tugenden, welcher Mut, und wenig bedeutet mir seine Uniform und auch die Vorstellung in den Köpfen dieser Soldaten, die in so großer Zahl gestorben sind. Sie waren mutig. Sie nahmen den Verlust ihres Lebens hin. Für eine schlechte Sache, aber ihre Taten hatten damit nichts zu tun. Sie liebten ihr Vaterland. Das muß man sich klar machen. Europa bauen wir auf, wir lieben unsere Vaterländer.' /) Neuere Forschungen sagen uns, dass angeblich etwa 95 % der deutschen Soldaten im WK II nicht an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Im Ausland werden die rein militärischen Leistungen deutscher Soldaten bereits seit langem in hohem Maße anerkannt. Bis hierhin kann ich Herrn Gauland, wenn er also auf das korrekte Abbilden der gesamten Vergangenheit abzielt, gut folgen. Dann jedoch sagt er überraschend: '/Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr./'
Zu diesem Satz, der sich in der gesamten AfD-Programmatik nirgends findet und sich daraus auch nicht annähernd ableiten lässt, habe ich bereits vor einigen Tagen auf Facebook öffentlich gechrieben:
" 'Wer Geschichte säubert, zerstört unsere Identität.' (1)
Nur wer die gesamte Geschichte im Blick hat, kann zu einer tragfähigen Identität finden. Es gibt kein Säubern und kein Ausklammern, weder im Positiven noch im Negativen. Ja, man kann Elemente der Geschichte „aufräumen“ im Sinne von sortieren und begreifen, man kann sie hingegen nicht aufräumen im Sinne von wegräumen, wegschließen oder verstecken. Daher betrifft und beeinflusst unsere gesamte Geschichte unsere heutige Identität. Auch jene 12 dunkelsten Jahre sind Teil der deutschen Geschichte und haben ihren Einfluss auf unsere heutige Identität.
'Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiv identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.' (2)
Wer von Stauffenberg spricht, darf über Himmler nicht schweigen. Wer Schindlers Liste preist, darf Eichmann nicht vergessen. Geschichtsbetrachtung ist keine Rosinenpickerei.
Wenn wir, um ein konkretes Beispiel zu nennen, die türkische Tradition kritisieren, den Völkermord an den Armeniern auszuklammern, dann können wir dies nicht aus chauvinistischer Überlegenheit, sondern nur aus der gereiften Erkenntnis eigener Identitiät heraus überhaupt tun. Einer Identität, welche sowohl die positiven als auch die negativen Ereignisse der Vergangenheit einbindet. Jegliche Säuberung unserer Geschichte wird Identitätsfindung - im Extremfall bis hin zum Scheitern – behindern.
Zur herrschenden 'These', die deutsche Identität zu einem übermäßig großen Teil auf die Zeit von 1933 bis 1945 auszurichten, darf keine schlichte Antithese treten, diese Zeit nun als abgehakt zu betrachten. Beides führt nicht zu einer tragfähigen Identität. Das Erstere nicht, weil es keine rein negative Identität geben kann, das zweite weil es auf Verdrängung beruhte.
Das Foto [auf Facebook entsprechend hinzugefügt, hier fehlt es] zeigt die Wartburg, auf der Luther das neue Testament übersetzte. Das Bild wurde am 2.9.2017 anlässlich der Gründung „Alternative Mitte Thüringen“ aufgenommen. Zitate: (1): Alexander Gauland, 2. September 2017, Rede auf dem Kyffhäuser, (2): Bundestagswahlprogramm der AfD, Kapitel 9.3"
Ich sollte Ihre beiden Fragen damit präzise und konkret beantwortet haben. Falls doch Unklarheiten geblieben sind, so würde ich sie bitten, mir nochmals zu schreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Driesang