Frage an Dirk Becker von Jörg L. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Becker,
für mich persönlich ist das Abstimmungsverhalten der Bundestagsabgeordneten zum Thema ESM entscheidend für meine Stimmabgabe bei den kommenden Landtags (!)- und natürlich erst recht Bundestagswahlen. Sie sind (Bundestags)Abgeordneter meines Wahlkreises, daher folgende Frage:
1.Werden Sie persönlich der Implementierung eines ESM zustimmen, der sich nach dem gegenwärtigen Sachstand wie folgt charakterisieren lässt: "Das ESM-Staatsfinanzinstitut braucht weder eine Banklizenz noch unterliegt es irgendeiner Jurisdiktion. Totale Immunität wird für alle Finanzminister im Gouverneursrat, Direktoren und Mitarbeiter garantiert. Keine Staatsanwaltschaft in der EU ist berechtigt, Räumlichkeiten zu durchsuchen oder Anklage gegen Einzelpersonen zu erheben. Damit steht der ESM außerhalb demokratischer Kontrollen und abendländischer Grundprinzipien.Sollte schnell Kapital von Nöten sein, um etwa Staatsanleihen eines Euro-Risikostaates zu kaufen, kann der Gouverneursrat mit einfacher Mehrheit, also gegen die Stimme Deutschlands, das nichteingezahlte Aktienkapital von vielen hundert Milliarden Euro jederzeit innerhalb von sieben Tagen "unwiderruflich und uneingeschränkt" (Artikel 9) anfordern. Können andere Euro-Staaten nicht zahlen, wird auch Deutschland teilweise deren Anteil der Zuzahlung übernehmen müssen." (Kommentar von Erwin Grandinger in WELT-Online am 31.03.12).
2. Werden Sie einer Aufstockung des ESM um 200 Mrd. Euro zustimmen?
3. Wie stehen Sie zu einer Volksabstimmung zur Frage der politischen und wirtschaftlichen Integration Deutschlands in die EU?
Mit freundlichen Grüßen
Jörg List
Sehr geehrter Herr List,
ich danke Ihnen für Ihren Beitrag auf abgeordneten-watch.de. Sehr gern möchte ich Ihnen meine Position zum Euro-Rettungsschirm erläutern.
Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass wir heute nicht weniger, sondern mehr Europa brauchen, um die Finanzmärkte zu regulieren und unter Kontrolle zu bringen, sodass neue Krisen gar nicht erst entstehen. Unter dem Leitgedanken europäischer Solidarität halte ich es außerdem für geboten, Staaten, die in Notlagen stecken, zu unterstützen. Deshalb bin ich grundsätzlich für den europäischen Rettungsschirm. Zugleich ist mir wichtig, dass die Hilfe nicht in Trippelschritten erfolgt, sondern eine dauerhafte, hinreichende, nachhaltige Lösung gefunden wird, die vor allem die Ursachen dieser Krise wirksam bekämpft und die Gläubiger, die hohe Zinsen einstreichen, an jeder Rettung beteiligt. Risiko und Haftung müssen wieder in einer Hand liegen.
Der Gesetzgebungsprozess zum ESM ist in vollem Gange und die Positionierung der SPD-Fraktion noch nicht abgeschlossen. An der Ausarbeitung des Vertragswerks war die SPD-Fraktion nicht beteiligt, umso gründlicher wird das Gesetzespaket nun geprüft. Fest steht aber, dass die SPD-Bundestagsfraktion dem ESM nur unter dem Vorbehalt zustimmen wird, dass die Beteiligung privater Gläubiger gesichert ist. Bei den Beratungen legt die SPD zudem ein besonderes Augenmerk darauf, dass der Bundestag in jegliche Entscheidungen, auch die Haushaltsfragen betreffend, umfänglich eingebunden wird.
Sie zitieren Erwin Grandinger, der die Immunität des ESM kritisiert. In diesem Punkt unterscheidet sich der ESM nicht von anderen internationalen Finanzinstitutionen. Immunität genießen die Bediensteten für ihre dienstlichen, d.h. offiziellen, Handlungen. Die Immunität der Amtsträger und Bediensteten kann allerdings bei Bedarf durch den Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten sind, bzw. dem Geschäftsführenden Direktor aufgehoben werden. Dadurch soll Missbrauch entgegengewirkt werden. Vergleichbare Regelungen gelten etwa für den IWF, die Weltbank, sowie regionale Entwicklungsbanken wie z. B. die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB).
Eine Aufstockung des ESM um 200 Mrd. Euro ist nicht Gegenstand der Beratungen, so dass ich Ihnen keine Antwort auf Ihre zweite Frage geben kann. Mit dem ESM-Finanzierungsgesetz wird das Finanzministerium ermächtigt, gut 168 Mrd. Euro an Gewährleistungen zu übernehmen sowie knapp 22 Mrd. Euro als Kapital in den ESM einzuzahlen. Eine Erhöhung des finanziellen Beitrags Deutschlands bedarf in jedem Fall eines Bundesgesetzes und somit einer Zustimmung des Bundestages.
Was Ihre Frage zur wirtschaftlichen und politischen Integration Deutschlands in die EU betrifft, so nehme ich an, dass Sie damit insbesondere die finanz- und haushaltspolitische Integration meinen. Das Grundgesetz sieht hier keine Volksabstimmung vor. Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Ich halte es dennoch für dringend notwendig, die Beteiligungsrechte der EU-Bürger zu stärken, etwa durch eine Aufwertung des Europäischen Parlaments.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Becker, MdB